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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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""ehr Verbrecher zählen, als so der Fall ist. Kür die Binder aus den
obern wie aus den untern Schichten sind deshalb Bewahranstalten ein
sehr dringendes Bedürfniß.

Die Kirche, wie sattsam bekannt, übt gegenwärtig auf die Seelen
der Gläubigen einen ziemlich beschränkten Einfluß aus, weshalb ich
gegen statistische Beziehungen der Art einiges Mißtrauen hege. Das
Volk liest viel und das Verfänglichste, das Verbotene am eifrigsten
und liebsten, und wer nicht selbst liefet oder lesen kann, hört wenig¬
stens von dem Gelesenen. Das Uebel wurzelt oft tief an Stellen,
an denen es der dein vertrauten Umgänge mit dem Volke sich Entzie-
hende gar nicht sucht. So gehören zu den Schriften, welche die er¬
staunlichste Umwälzung in der religiösen, der kirchlichen, selbst in der
politischen Sinnesweise des Volks erzeugt haben, die im rechten Volks¬
tone gehaltenen naturwissenschaftlichen und nächst ihnen die erdkund¬
lichen, die technologischen und landwirtschaftlichen, wegen des Anreizes
zum Weiterdenken, welchen sie uach allen Richtungen des gemeinen Lebens
geben. Eines der zahlreichen Beispiele, welche ich kenne, möge veran¬
schaulichen, was ich meine. Auf einer Gebirgsreihe durch Schlesien
traf ich mit einem -- wie ich glaube -- katholischen Bauer zusammen.
Wir plauderten Vielerlei mit einander. Aus meinen Fragen nach dem
landesgemäßen Vorkommen von Steinen, Pflanzen und Thieren, deren
Beschaffenheit, Benutzung und Lebensweise, meinte er entnehmen zu
dürfen, daß ich Gelehrter sei. Es entspann sich hierauf ungefähr fol¬
gendes Gespräch zwischen uns, dem ich leider die eigenthümliche Fär¬
bung des naiven Bolksausdrucks nicht verleihen kann.

Der Bauer. Also die Planeten da droben sind wirklich Erden.
Nun, das habe ich schon gelesen und von unserm Schulmeister gehört,
der ein großer Sterngucker ist. Auch Menschen sollen da droben woh¬
nen. Sagen Sie mir doch, gibt's auch gut katholische Christen un¬
ter ihnen?

Ich. Das weiß ich nicht zu sagen.

Der Bauer. Nicht? --- Ja doch! so steht's mit den Gelehrten,
sie wissen sonst Alles; aber wenn's auf den Christusglauben ankommt,
da wissen sie nicht mehr, als unser eins. Und kann doch nicht anders
sein, ich mag hin und her denken, wie ich will. Wenn's einmal Men¬
schen da droben gibt, werden sie auch sündigen, wie wir hier unten,
und der liebe Herrgott wird sie in seiner Allbarmherzigkeit auch erlösin
wollen. Unser Herr CKristuS ist also gewiß schon dort gewesen oder


3?"

»»ehr Verbrecher zählen, als so der Fall ist. Kür die Binder aus den
obern wie aus den untern Schichten sind deshalb Bewahranstalten ein
sehr dringendes Bedürfniß.

Die Kirche, wie sattsam bekannt, übt gegenwärtig auf die Seelen
der Gläubigen einen ziemlich beschränkten Einfluß aus, weshalb ich
gegen statistische Beziehungen der Art einiges Mißtrauen hege. Das
Volk liest viel und das Verfänglichste, das Verbotene am eifrigsten
und liebsten, und wer nicht selbst liefet oder lesen kann, hört wenig¬
stens von dem Gelesenen. Das Uebel wurzelt oft tief an Stellen,
an denen es der dein vertrauten Umgänge mit dem Volke sich Entzie-
hende gar nicht sucht. So gehören zu den Schriften, welche die er¬
staunlichste Umwälzung in der religiösen, der kirchlichen, selbst in der
politischen Sinnesweise des Volks erzeugt haben, die im rechten Volks¬
tone gehaltenen naturwissenschaftlichen und nächst ihnen die erdkund¬
lichen, die technologischen und landwirtschaftlichen, wegen des Anreizes
zum Weiterdenken, welchen sie uach allen Richtungen des gemeinen Lebens
geben. Eines der zahlreichen Beispiele, welche ich kenne, möge veran¬
schaulichen, was ich meine. Auf einer Gebirgsreihe durch Schlesien
traf ich mit einem — wie ich glaube — katholischen Bauer zusammen.
Wir plauderten Vielerlei mit einander. Aus meinen Fragen nach dem
landesgemäßen Vorkommen von Steinen, Pflanzen und Thieren, deren
Beschaffenheit, Benutzung und Lebensweise, meinte er entnehmen zu
dürfen, daß ich Gelehrter sei. Es entspann sich hierauf ungefähr fol¬
gendes Gespräch zwischen uns, dem ich leider die eigenthümliche Fär¬
bung des naiven Bolksausdrucks nicht verleihen kann.

Der Bauer. Also die Planeten da droben sind wirklich Erden.
Nun, das habe ich schon gelesen und von unserm Schulmeister gehört,
der ein großer Sterngucker ist. Auch Menschen sollen da droben woh¬
nen. Sagen Sie mir doch, gibt's auch gut katholische Christen un¬
ter ihnen?

Ich. Das weiß ich nicht zu sagen.

Der Bauer. Nicht? —- Ja doch! so steht's mit den Gelehrten,
sie wissen sonst Alles; aber wenn's auf den Christusglauben ankommt,
da wissen sie nicht mehr, als unser eins. Und kann doch nicht anders
sein, ich mag hin und her denken, wie ich will. Wenn's einmal Men¬
schen da droben gibt, werden sie auch sündigen, wie wir hier unten,
und der liebe Herrgott wird sie in seiner Allbarmherzigkeit auch erlösin
wollen. Unser Herr CKristuS ist also gewiß schon dort gewesen oder


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[0275] »»ehr Verbrecher zählen, als so der Fall ist. Kür die Binder aus den obern wie aus den untern Schichten sind deshalb Bewahranstalten ein sehr dringendes Bedürfniß. Die Kirche, wie sattsam bekannt, übt gegenwärtig auf die Seelen der Gläubigen einen ziemlich beschränkten Einfluß aus, weshalb ich gegen statistische Beziehungen der Art einiges Mißtrauen hege. Das Volk liest viel und das Verfänglichste, das Verbotene am eifrigsten und liebsten, und wer nicht selbst liefet oder lesen kann, hört wenig¬ stens von dem Gelesenen. Das Uebel wurzelt oft tief an Stellen, an denen es der dein vertrauten Umgänge mit dem Volke sich Entzie- hende gar nicht sucht. So gehören zu den Schriften, welche die er¬ staunlichste Umwälzung in der religiösen, der kirchlichen, selbst in der politischen Sinnesweise des Volks erzeugt haben, die im rechten Volks¬ tone gehaltenen naturwissenschaftlichen und nächst ihnen die erdkund¬ lichen, die technologischen und landwirtschaftlichen, wegen des Anreizes zum Weiterdenken, welchen sie uach allen Richtungen des gemeinen Lebens geben. Eines der zahlreichen Beispiele, welche ich kenne, möge veran¬ schaulichen, was ich meine. Auf einer Gebirgsreihe durch Schlesien traf ich mit einem — wie ich glaube — katholischen Bauer zusammen. Wir plauderten Vielerlei mit einander. Aus meinen Fragen nach dem landesgemäßen Vorkommen von Steinen, Pflanzen und Thieren, deren Beschaffenheit, Benutzung und Lebensweise, meinte er entnehmen zu dürfen, daß ich Gelehrter sei. Es entspann sich hierauf ungefähr fol¬ gendes Gespräch zwischen uns, dem ich leider die eigenthümliche Fär¬ bung des naiven Bolksausdrucks nicht verleihen kann. Der Bauer. Also die Planeten da droben sind wirklich Erden. Nun, das habe ich schon gelesen und von unserm Schulmeister gehört, der ein großer Sterngucker ist. Auch Menschen sollen da droben woh¬ nen. Sagen Sie mir doch, gibt's auch gut katholische Christen un¬ ter ihnen? Ich. Das weiß ich nicht zu sagen. Der Bauer. Nicht? —- Ja doch! so steht's mit den Gelehrten, sie wissen sonst Alles; aber wenn's auf den Christusglauben ankommt, da wissen sie nicht mehr, als unser eins. Und kann doch nicht anders sein, ich mag hin und her denken, wie ich will. Wenn's einmal Men¬ schen da droben gibt, werden sie auch sündigen, wie wir hier unten, und der liebe Herrgott wird sie in seiner Allbarmherzigkeit auch erlösin wollen. Unser Herr CKristuS ist also gewiß schon dort gewesen oder 3?»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/275>, abgerufen am 23.07.2024.