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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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es sie auch nicht für sich selber wollte/ darf es diese Beutestücke Ru߬
land überlassen? GewiA wenn das je, -- es ist freilich undenkbar, --
geschehen sollte, wenn der Knutenstaat mit seinein Niesenleibe Oester¬
reich auch von der Seite umgarnte, wenn er die Donau, das schwarze
Meer ganz in seinen Klauen hat, dann dürfte Oesterreich nicht allzu¬
viel Zeit vergönnt sein, an sein Testament als europäische Großmacht
zu denken.

Es folgt hieraus, daß um nur überhaupt eine Lösung der orien¬
talischen Frage, sei es nun eine friedliche oder nicht friedliche, möglich
zu machen, vor Allem eine Umbildung im Heerlager der europäischen
Großmächte nöthig ist, d. h. daß die bislang verbundenen, deren In¬
teressen in dieser Angelegenheit keine Ausgleichung zulassen, sich trennen
und mit der Macht alliiren, mit welcher eine solche Ausgleichung aller¬
dings möglich ist, und wenn ich nicht sehr irre, so hat die Heirath
Montpensier's den Anstoß zu dieser Umbildung gegeben. Hier sind
nun allerdings verschiedene Combinationen möglich; es kann Oester¬
reich mit England, es kann Frankreich mit Nußland sich verbinden.
Bleiben nur zuvörderst bei diesen Allianzen stehen. Welchen Nutzen
hat Oesterreich von einem Bündnisse mit Großbritannien? welchen hat
dieses von einer Allianz mit dem Hause Habsburg in der Angelegen¬
heit zu erwarten? Die geschichtliche Erfahrung gibt darauf eine ganz
unzweideutige Antwort. In den letzten Kriegen war nicht nur Eng¬
land, sondern das halbe Europa mit Oesterreich verbündet, ohne die
Franzosen abhalten zu können, diesem nicht nur Italien zu entreißen,
sondern sogar bis Wien vorzudringen. Stürzt sich Frankreich auf diese
Halbinsel, was England, was das ganze übrige Europa völlig außer
Stande ist zu verhindern, so wird Oesterreichs Kraft gegen Rußland
total paralysirt, jedes erfolgreiche Auftreten gegen dieses in den türki¬
schen Provinzen ihm unmöglich. Ebenso sind die Franzosen zu einer
Zeit, wo ihre Seemacht noch lange nicht ihre gegenwärtige Höhe er¬
klommen, als sie Algier noch nicht besaßen, mit großer Heeresmacht
nach Aegypten gekommen, welches nebst Syrien zu erobern und gegen
die vereinte Kraft Frankreichs und deS von dem letztern Lande nicht
allzufernen Moskowitenstaates zu behaupten das alsdann auf sich al¬
lein angewiesene Großbritannien denn doch zu schwach sein dürfte.

Größer" Nutzen hat Nußland allerdings, wie sich schon aus dem
Vorstehenden ergibt, von einer Allianz mit Frankreich gegen Oesterreich
zu erwarten, aber keineswegs auch gegen England, mit welchem jenes
zur See schon für sich genug zu thun haben würde. Ohne Groß-


es sie auch nicht für sich selber wollte/ darf es diese Beutestücke Ru߬
land überlassen? GewiA wenn das je, — es ist freilich undenkbar, —
geschehen sollte, wenn der Knutenstaat mit seinein Niesenleibe Oester¬
reich auch von der Seite umgarnte, wenn er die Donau, das schwarze
Meer ganz in seinen Klauen hat, dann dürfte Oesterreich nicht allzu¬
viel Zeit vergönnt sein, an sein Testament als europäische Großmacht
zu denken.

Es folgt hieraus, daß um nur überhaupt eine Lösung der orien¬
talischen Frage, sei es nun eine friedliche oder nicht friedliche, möglich
zu machen, vor Allem eine Umbildung im Heerlager der europäischen
Großmächte nöthig ist, d. h. daß die bislang verbundenen, deren In¬
teressen in dieser Angelegenheit keine Ausgleichung zulassen, sich trennen
und mit der Macht alliiren, mit welcher eine solche Ausgleichung aller¬
dings möglich ist, und wenn ich nicht sehr irre, so hat die Heirath
Montpensier's den Anstoß zu dieser Umbildung gegeben. Hier sind
nun allerdings verschiedene Combinationen möglich; es kann Oester¬
reich mit England, es kann Frankreich mit Nußland sich verbinden.
Bleiben nur zuvörderst bei diesen Allianzen stehen. Welchen Nutzen
hat Oesterreich von einem Bündnisse mit Großbritannien? welchen hat
dieses von einer Allianz mit dem Hause Habsburg in der Angelegen¬
heit zu erwarten? Die geschichtliche Erfahrung gibt darauf eine ganz
unzweideutige Antwort. In den letzten Kriegen war nicht nur Eng¬
land, sondern das halbe Europa mit Oesterreich verbündet, ohne die
Franzosen abhalten zu können, diesem nicht nur Italien zu entreißen,
sondern sogar bis Wien vorzudringen. Stürzt sich Frankreich auf diese
Halbinsel, was England, was das ganze übrige Europa völlig außer
Stande ist zu verhindern, so wird Oesterreichs Kraft gegen Rußland
total paralysirt, jedes erfolgreiche Auftreten gegen dieses in den türki¬
schen Provinzen ihm unmöglich. Ebenso sind die Franzosen zu einer
Zeit, wo ihre Seemacht noch lange nicht ihre gegenwärtige Höhe er¬
klommen, als sie Algier noch nicht besaßen, mit großer Heeresmacht
nach Aegypten gekommen, welches nebst Syrien zu erobern und gegen
die vereinte Kraft Frankreichs und deS von dem letztern Lande nicht
allzufernen Moskowitenstaates zu behaupten das alsdann auf sich al¬
lein angewiesene Großbritannien denn doch zu schwach sein dürfte.

Größer« Nutzen hat Nußland allerdings, wie sich schon aus dem
Vorstehenden ergibt, von einer Allianz mit Frankreich gegen Oesterreich
zu erwarten, aber keineswegs auch gegen England, mit welchem jenes
zur See schon für sich genug zu thun haben würde. Ohne Groß-


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[0251] es sie auch nicht für sich selber wollte/ darf es diese Beutestücke Ru߬ land überlassen? GewiA wenn das je, — es ist freilich undenkbar, — geschehen sollte, wenn der Knutenstaat mit seinein Niesenleibe Oester¬ reich auch von der Seite umgarnte, wenn er die Donau, das schwarze Meer ganz in seinen Klauen hat, dann dürfte Oesterreich nicht allzu¬ viel Zeit vergönnt sein, an sein Testament als europäische Großmacht zu denken. Es folgt hieraus, daß um nur überhaupt eine Lösung der orien¬ talischen Frage, sei es nun eine friedliche oder nicht friedliche, möglich zu machen, vor Allem eine Umbildung im Heerlager der europäischen Großmächte nöthig ist, d. h. daß die bislang verbundenen, deren In¬ teressen in dieser Angelegenheit keine Ausgleichung zulassen, sich trennen und mit der Macht alliiren, mit welcher eine solche Ausgleichung aller¬ dings möglich ist, und wenn ich nicht sehr irre, so hat die Heirath Montpensier's den Anstoß zu dieser Umbildung gegeben. Hier sind nun allerdings verschiedene Combinationen möglich; es kann Oester¬ reich mit England, es kann Frankreich mit Nußland sich verbinden. Bleiben nur zuvörderst bei diesen Allianzen stehen. Welchen Nutzen hat Oesterreich von einem Bündnisse mit Großbritannien? welchen hat dieses von einer Allianz mit dem Hause Habsburg in der Angelegen¬ heit zu erwarten? Die geschichtliche Erfahrung gibt darauf eine ganz unzweideutige Antwort. In den letzten Kriegen war nicht nur Eng¬ land, sondern das halbe Europa mit Oesterreich verbündet, ohne die Franzosen abhalten zu können, diesem nicht nur Italien zu entreißen, sondern sogar bis Wien vorzudringen. Stürzt sich Frankreich auf diese Halbinsel, was England, was das ganze übrige Europa völlig außer Stande ist zu verhindern, so wird Oesterreichs Kraft gegen Rußland total paralysirt, jedes erfolgreiche Auftreten gegen dieses in den türki¬ schen Provinzen ihm unmöglich. Ebenso sind die Franzosen zu einer Zeit, wo ihre Seemacht noch lange nicht ihre gegenwärtige Höhe er¬ klommen, als sie Algier noch nicht besaßen, mit großer Heeresmacht nach Aegypten gekommen, welches nebst Syrien zu erobern und gegen die vereinte Kraft Frankreichs und deS von dem letztern Lande nicht allzufernen Moskowitenstaates zu behaupten das alsdann auf sich al¬ lein angewiesene Großbritannien denn doch zu schwach sein dürfte. Größer« Nutzen hat Nußland allerdings, wie sich schon aus dem Vorstehenden ergibt, von einer Allianz mit Frankreich gegen Oesterreich zu erwarten, aber keineswegs auch gegen England, mit welchem jenes zur See schon für sich genug zu thun haben würde. Ohne Groß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/251>, abgerufen am 23.07.2024.