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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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heitern Häuser in Pompeji nur zur Freude eingerichtet, diese Malereien
mit Darstellungen üppigster Lebenslust. -- Und noch heute ertönt der
"veite Golf von Neapel von Jubel und Gesang. -- Jeden Morgen
hört Ihr Böller und Kanonen erschallen. "Was gibts?" fragt Ihr
den Marinaro: O^xi v tvstii, <t liesina oder l^orre tsi ^nnuaci^ta,
oder anderswo, oder an drei, vier Orten zugleich: "Kompre tvsti"!"
fügt er lachend hinzu. -- Der gemeine Neapolitaner ist ein wahrer Vir¬
tuose des Genusses, er trinkt und singt bis zum frühen Morgen, welcher
ihn ebenso heiter findet, als er am Abend war. Kein Katzenjammer,
keine Ermüdung, kaum daß er einiger Stunden Schlafes in der Son¬
nenhitze auf einer steinernen Bank, einer Balustrade, oder ähnlichem
Orte bedarf. -- Ja hier kann man eine Ahnung davon bekommen,
wie selig das Leben der Menschen sein könnte, wenn einstens Arbeit
und Genuß zusammenfallen, und nicht mehr eins das andere aufhebt
und tödtet. -- Je complicirter die sociale Maschine, desto specieller
wird die Arbeit der Menschen. Der ganze Mensch wird eingesetzt und
eine Specialität dafür gewonnen, die ihren Werth verliert, sobald der
Mensch aufhören will oder ausi sein besonderes Rädchen an der gro¬
ßen Maschine zu drehen. -- Was hilft der vom ewigen Hauen stark
gewordene Arm dem Bergmann, sobald er nicht mehr Bergmann ist?
Er hat für eine Stärke, die ihm nichts nütze ist, einen siechen Körper
mit dem Keim des Todes eingetauscht. Erst wenn die Maschine an
ihrer eigenen Ueberkünstelung zerbricht, wenn die Geschichte an den
von ihr geschaffenen Gegensätzen und Hebeln zu Grunde geht, kann der
ganze Mensch sowohl in Arbeit wie im Genuß zur Geltung kom¬
men. Die angstvolle Aufgabe der geschichtlichen Völker, die bewußt
oder unbewußt unser aller Brust bewegt, ist das Ausbilden, das
Fortentwickeln der Gegensätze, darum Ade du schöner Golf, mit
deiner menschenfreundlichen Natur, möge es unsern Nachkommen ver¬
gönnt sein, mit ruhiger Seele sich an dir niederlassen zu können.
"Aber/' sagte mein Reisegefährte, dem ich diese Bemerkungen mitgetheilt
hatte, "wie kann man arbeiten in der Ausbildung einer Sache, deren Unwerth
man erkannt hat? Wie kann man etwas aufbauen, damit es zusammen¬
falle? -- Was in der Geschichte gethan ist, das wurde es im guten
Glauben an die Sache und ihren eignen Werth. -- Jede Arbeit, die
ohne diesen Glauben geschieht, muß eben sowohl für den Arbeitenden
als für die Menschheit unfruchtbar bleiben." -- "Es fällt mir auch
nicht ein, mein Freund, mir oder Andern zuzumuthen, sich als Hand¬
langer an die materielle Arbeit einer oder der andern Seite zu geben,


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heitern Häuser in Pompeji nur zur Freude eingerichtet, diese Malereien
mit Darstellungen üppigster Lebenslust. — Und noch heute ertönt der
»veite Golf von Neapel von Jubel und Gesang. — Jeden Morgen
hört Ihr Böller und Kanonen erschallen. „Was gibts?" fragt Ihr
den Marinaro: O^xi v tvstii, <t liesina oder l^orre tsi ^nnuaci^ta,
oder anderswo, oder an drei, vier Orten zugleich: „Kompre tvsti»!"
fügt er lachend hinzu. — Der gemeine Neapolitaner ist ein wahrer Vir¬
tuose des Genusses, er trinkt und singt bis zum frühen Morgen, welcher
ihn ebenso heiter findet, als er am Abend war. Kein Katzenjammer,
keine Ermüdung, kaum daß er einiger Stunden Schlafes in der Son¬
nenhitze auf einer steinernen Bank, einer Balustrade, oder ähnlichem
Orte bedarf. — Ja hier kann man eine Ahnung davon bekommen,
wie selig das Leben der Menschen sein könnte, wenn einstens Arbeit
und Genuß zusammenfallen, und nicht mehr eins das andere aufhebt
und tödtet. — Je complicirter die sociale Maschine, desto specieller
wird die Arbeit der Menschen. Der ganze Mensch wird eingesetzt und
eine Specialität dafür gewonnen, die ihren Werth verliert, sobald der
Mensch aufhören will oder ausi sein besonderes Rädchen an der gro¬
ßen Maschine zu drehen. — Was hilft der vom ewigen Hauen stark
gewordene Arm dem Bergmann, sobald er nicht mehr Bergmann ist?
Er hat für eine Stärke, die ihm nichts nütze ist, einen siechen Körper
mit dem Keim des Todes eingetauscht. Erst wenn die Maschine an
ihrer eigenen Ueberkünstelung zerbricht, wenn die Geschichte an den
von ihr geschaffenen Gegensätzen und Hebeln zu Grunde geht, kann der
ganze Mensch sowohl in Arbeit wie im Genuß zur Geltung kom¬
men. Die angstvolle Aufgabe der geschichtlichen Völker, die bewußt
oder unbewußt unser aller Brust bewegt, ist das Ausbilden, das
Fortentwickeln der Gegensätze, darum Ade du schöner Golf, mit
deiner menschenfreundlichen Natur, möge es unsern Nachkommen ver¬
gönnt sein, mit ruhiger Seele sich an dir niederlassen zu können.
„Aber/' sagte mein Reisegefährte, dem ich diese Bemerkungen mitgetheilt
hatte, „wie kann man arbeiten in der Ausbildung einer Sache, deren Unwerth
man erkannt hat? Wie kann man etwas aufbauen, damit es zusammen¬
falle? — Was in der Geschichte gethan ist, das wurde es im guten
Glauben an die Sache und ihren eignen Werth. — Jede Arbeit, die
ohne diesen Glauben geschieht, muß eben sowohl für den Arbeitenden
als für die Menschheit unfruchtbar bleiben." — „Es fällt mir auch
nicht ein, mein Freund, mir oder Andern zuzumuthen, sich als Hand¬
langer an die materielle Arbeit einer oder der andern Seite zu geben,


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[0023] heitern Häuser in Pompeji nur zur Freude eingerichtet, diese Malereien mit Darstellungen üppigster Lebenslust. — Und noch heute ertönt der »veite Golf von Neapel von Jubel und Gesang. — Jeden Morgen hört Ihr Böller und Kanonen erschallen. „Was gibts?" fragt Ihr den Marinaro: O^xi v tvstii, <t liesina oder l^orre tsi ^nnuaci^ta, oder anderswo, oder an drei, vier Orten zugleich: „Kompre tvsti»!" fügt er lachend hinzu. — Der gemeine Neapolitaner ist ein wahrer Vir¬ tuose des Genusses, er trinkt und singt bis zum frühen Morgen, welcher ihn ebenso heiter findet, als er am Abend war. Kein Katzenjammer, keine Ermüdung, kaum daß er einiger Stunden Schlafes in der Son¬ nenhitze auf einer steinernen Bank, einer Balustrade, oder ähnlichem Orte bedarf. — Ja hier kann man eine Ahnung davon bekommen, wie selig das Leben der Menschen sein könnte, wenn einstens Arbeit und Genuß zusammenfallen, und nicht mehr eins das andere aufhebt und tödtet. — Je complicirter die sociale Maschine, desto specieller wird die Arbeit der Menschen. Der ganze Mensch wird eingesetzt und eine Specialität dafür gewonnen, die ihren Werth verliert, sobald der Mensch aufhören will oder ausi sein besonderes Rädchen an der gro¬ ßen Maschine zu drehen. — Was hilft der vom ewigen Hauen stark gewordene Arm dem Bergmann, sobald er nicht mehr Bergmann ist? Er hat für eine Stärke, die ihm nichts nütze ist, einen siechen Körper mit dem Keim des Todes eingetauscht. Erst wenn die Maschine an ihrer eigenen Ueberkünstelung zerbricht, wenn die Geschichte an den von ihr geschaffenen Gegensätzen und Hebeln zu Grunde geht, kann der ganze Mensch sowohl in Arbeit wie im Genuß zur Geltung kom¬ men. Die angstvolle Aufgabe der geschichtlichen Völker, die bewußt oder unbewußt unser aller Brust bewegt, ist das Ausbilden, das Fortentwickeln der Gegensätze, darum Ade du schöner Golf, mit deiner menschenfreundlichen Natur, möge es unsern Nachkommen ver¬ gönnt sein, mit ruhiger Seele sich an dir niederlassen zu können. „Aber/' sagte mein Reisegefährte, dem ich diese Bemerkungen mitgetheilt hatte, „wie kann man arbeiten in der Ausbildung einer Sache, deren Unwerth man erkannt hat? Wie kann man etwas aufbauen, damit es zusammen¬ falle? — Was in der Geschichte gethan ist, das wurde es im guten Glauben an die Sache und ihren eignen Werth. — Jede Arbeit, die ohne diesen Glauben geschieht, muß eben sowohl für den Arbeitenden als für die Menschheit unfruchtbar bleiben." — „Es fällt mir auch nicht ein, mein Freund, mir oder Andern zuzumuthen, sich als Hand¬ langer an die materielle Arbeit einer oder der andern Seite zu geben, 3*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/23>, abgerufen am 23.07.2024.