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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Sie gehörten, wie wir von einem deutschen, in Neapel ansässigen
Musiker erfuhren, zu den vornehmsten Familien, und gaben einer
Marchesa, die mit ihrem Manne nach Paris reiste, das Geleit. Das
Vornehmthun gelingt dem Italiener sehr schlecht, er ist dazu viel zu
lebhaft, neugierig und harmlos, und dann stehen alle Klassen der Ge¬
sellschaft, vom König bis zum Bettler mit geringer Nüancirung auf
demselben Niveau körperlicher und geistiger Ausbildung. -- Dieselbe
Unwissenheit, aber auch dieselbe Lebhaftigkeit des Geistes und Schön¬
heit des Körpers findet sich etwa mit Ausnahme der Frauen in Ne¬
apel überall, und dürfte im Gegentheil an Witz und Auffassungsgabe
das gemeine Volk den Reichen und Vornehmen noch überlegen sein. --
Die vornehmen Herrschaften auf dem Schiffe hatten Bediente in rei¬
cher Livree bei sich, die man aber schwerlich für solche gehalten hätte
ohne die Livree, so vertraulich ging man mit ihnen um. -- Ein Ber¬
liner Gardelieutenant würde dies für sehr unanständig halten, in Ita¬
lien ist aber der Bediente meistens der Vertraute seines Herrn, und
das mit Recht, denn einer ist so gebildet wie der andere.

, Die zweite Gruppe bestand aus Musikern und Mitgliedern, der
Oper in San Carlo zu Neapel, die um einen jungen Mann Cirkel
bildeten, dem sie ihre Huldigung und ihr Lebewohl darzubringen schie¬
nen. -- Dies ist Verdi, sagte unser deutscher Musiker, der seine Oper
Alsira, die das San Carlo bei ihm bestellt hatte, hier dirigirte und
nun nach seiner Vaterstadt Mailand zurückkehrt. -- Der musikalische
Tagesheld von ganz Italien sollte also mit uns die Reise machen. --
Seine Opern i I^ont)in<ki, I^mani und line I?o8c"ri beherrschten seit
mehrern Jahren die italienischen Bühnen und hatten Donizetti fast
gänzlich verdrängt. Augenblicklich warm es die "tue k?o8<:-n-i, welche
überall und an jedem Abend gegeben wurden; auch in Neapel, wo die
andern Opern von Verdi verboten waren, und zwar mit solcher Strenge,
daß in einem Concerte ein Chor aus den I^om!":u-ti aus dem Pro¬
gramm gestrichen wurde und untersagt blieb, sogar nach dem Anerbie¬
ten der Concertgeber, einen andern Text unterzulegen. -- Dies Cen¬
surwesen in Neapel ist überhaupt die Blüthe dieses edlen Institutes
für ganz Europa. Was in Mailand und Rom erlaubt, ist hier ver¬
boten. Als ich vor acht Jahren hier war, hatte man ein Ballet "Faust"
nach Goethe's Tragödie bearbeitet, auf San Carlo gegeben. Der
Erzbischof von Neapel erfährt dies und eilt sofort zum König: "Sire!
Staat und Religion sind in Gefahr, denn der Teufel spaziert über die
Bühne! Man kann unmöglich dulden, daß das Heiligste so profanirt


Grcnjbote". IV. 18i<!.

Sie gehörten, wie wir von einem deutschen, in Neapel ansässigen
Musiker erfuhren, zu den vornehmsten Familien, und gaben einer
Marchesa, die mit ihrem Manne nach Paris reiste, das Geleit. Das
Vornehmthun gelingt dem Italiener sehr schlecht, er ist dazu viel zu
lebhaft, neugierig und harmlos, und dann stehen alle Klassen der Ge¬
sellschaft, vom König bis zum Bettler mit geringer Nüancirung auf
demselben Niveau körperlicher und geistiger Ausbildung. — Dieselbe
Unwissenheit, aber auch dieselbe Lebhaftigkeit des Geistes und Schön¬
heit des Körpers findet sich etwa mit Ausnahme der Frauen in Ne¬
apel überall, und dürfte im Gegentheil an Witz und Auffassungsgabe
das gemeine Volk den Reichen und Vornehmen noch überlegen sein. —
Die vornehmen Herrschaften auf dem Schiffe hatten Bediente in rei¬
cher Livree bei sich, die man aber schwerlich für solche gehalten hätte
ohne die Livree, so vertraulich ging man mit ihnen um. — Ein Ber¬
liner Gardelieutenant würde dies für sehr unanständig halten, in Ita¬
lien ist aber der Bediente meistens der Vertraute seines Herrn, und
das mit Recht, denn einer ist so gebildet wie der andere.

, Die zweite Gruppe bestand aus Musikern und Mitgliedern, der
Oper in San Carlo zu Neapel, die um einen jungen Mann Cirkel
bildeten, dem sie ihre Huldigung und ihr Lebewohl darzubringen schie¬
nen. — Dies ist Verdi, sagte unser deutscher Musiker, der seine Oper
Alsira, die das San Carlo bei ihm bestellt hatte, hier dirigirte und
nun nach seiner Vaterstadt Mailand zurückkehrt. — Der musikalische
Tagesheld von ganz Italien sollte also mit uns die Reise machen. —
Seine Opern i I^ont)in<ki, I^mani und line I?o8c»ri beherrschten seit
mehrern Jahren die italienischen Bühnen und hatten Donizetti fast
gänzlich verdrängt. Augenblicklich warm es die «tue k?o8<:-n-i, welche
überall und an jedem Abend gegeben wurden; auch in Neapel, wo die
andern Opern von Verdi verboten waren, und zwar mit solcher Strenge,
daß in einem Concerte ein Chor aus den I^om!»:u-ti aus dem Pro¬
gramm gestrichen wurde und untersagt blieb, sogar nach dem Anerbie¬
ten der Concertgeber, einen andern Text unterzulegen. — Dies Cen¬
surwesen in Neapel ist überhaupt die Blüthe dieses edlen Institutes
für ganz Europa. Was in Mailand und Rom erlaubt, ist hier ver¬
boten. Als ich vor acht Jahren hier war, hatte man ein Ballet „Faust"
nach Goethe's Tragödie bearbeitet, auf San Carlo gegeben. Der
Erzbischof von Neapel erfährt dies und eilt sofort zum König: „Sire!
Staat und Religion sind in Gefahr, denn der Teufel spaziert über die
Bühne! Man kann unmöglich dulden, daß das Heiligste so profanirt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/21>, abgerufen am 26.08.2024.