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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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lieb lehren ließ und nun da er kommt, und ihrer nicht achtend mit der
Nebenbuhlerin verkehrt, in allen Steigerungen der Leidenschaft, von
der kindisch frohen Hoffnung des Gelingens bis zur trostlosesten Ge¬
wißheit des Verlustes die Worte wiederholt: "Jason, ich weiß ein
Lied!" Diese Scene wird lächerlich, wenn man die sentimentale Me-
dea des Drama's mit der mordgeübten Tochter des Königs Acetes
verwechselt, die dem sie verfolgenden Vater den zerstückten Leib ihres
Bruders als Hinderniß in den Weg warf, und die Scene wird erha¬
ben, wenn mau in Medea nur das Weib steht, in seiner urgewaltigen
Leidenschaft, mit schmerzbeflügelter Hand den Schleier ziehend von den
Schönheiten, aber auch von allen Schrecken und Abgründen des weib¬
lichen Herzens. Dazu kommt Grillparzer'S heiße Sprache, die sich im
Gefäß antiker Formen vergebens abkühlen will, und durch den grie¬
chisch-mythischen Stoff hinpulset, als ob warmes rothes Blut durch
eine Statue des Phidias flösse. Diese Sprache ist so eigenthümlich
würzigsüß, daß man ihr die haarsträubende Tragik, die sie unterdrücken
will, gar nicht recht glauben kann, und verfolgt man sie bis zu ihrer
Urquelle, so entdeckt man das überschäumende Meer von Poesie, das
in Grillparzer'S Seele erhabene lyrische Wellen wirft.

Endlich schien es, als wolle Grillparzer einen realem Boden für
seinen Kothurn suchen, als im Nebel schwimmende griechische Mythen.
Zugleich war zu hoffen, daß er sich durch die Wahl eines Stoffes aus
deutscher, aus österreichischer Geschichte zum ächten National-Dichter
erheben werde. Er schrieb das Trauerspiel: "KönigOttokar's Glück
und Ende," das, in der Charakteristik markiger und mit festerer Hand
gezeichnet, als seine früheren Dramen, bei unläugbar großen Vorzü¬
gen, von welchen die mancherlei Mängel überschattet werden, die we¬
niger dem Dichter, als einer nicht ganz unparteiischen historischen
Auffassung zuzuschreiben, das würdige Vorspiel zu einem Cyclus hi¬
storischer Nationaldramen hätte, bilden können, die bei Ermangelung
eines Shakespeare als Dichter, doch denselben nationalen Werth für
Deutschland errungen hätten, den Shakspeare's historische Dramen in
allen Zeiten für England besitzen. Allein die großen Schwierigkeiten,
die sich der Aufführung anfänglich entgegenthürmten (sie fand im Jahre
1825 statt und zwar nur auf dringende Verwendung der Erzherzogin
Sophie, der man auch die Aufführung von Wilhelm Tell im Hof¬
burgtheater zu danken hat), die vielen Kränkungen, die ihm bei dieser
Gelegenheit mochten zugefügt worden sein, bewogen ihn, nicht etwa
Oesterreich zu verlassen, das sich des einzigen großen Dichters, den es


lieb lehren ließ und nun da er kommt, und ihrer nicht achtend mit der
Nebenbuhlerin verkehrt, in allen Steigerungen der Leidenschaft, von
der kindisch frohen Hoffnung des Gelingens bis zur trostlosesten Ge¬
wißheit des Verlustes die Worte wiederholt: „Jason, ich weiß ein
Lied!" Diese Scene wird lächerlich, wenn man die sentimentale Me-
dea des Drama's mit der mordgeübten Tochter des Königs Acetes
verwechselt, die dem sie verfolgenden Vater den zerstückten Leib ihres
Bruders als Hinderniß in den Weg warf, und die Scene wird erha¬
ben, wenn mau in Medea nur das Weib steht, in seiner urgewaltigen
Leidenschaft, mit schmerzbeflügelter Hand den Schleier ziehend von den
Schönheiten, aber auch von allen Schrecken und Abgründen des weib¬
lichen Herzens. Dazu kommt Grillparzer'S heiße Sprache, die sich im
Gefäß antiker Formen vergebens abkühlen will, und durch den grie¬
chisch-mythischen Stoff hinpulset, als ob warmes rothes Blut durch
eine Statue des Phidias flösse. Diese Sprache ist so eigenthümlich
würzigsüß, daß man ihr die haarsträubende Tragik, die sie unterdrücken
will, gar nicht recht glauben kann, und verfolgt man sie bis zu ihrer
Urquelle, so entdeckt man das überschäumende Meer von Poesie, das
in Grillparzer'S Seele erhabene lyrische Wellen wirft.

Endlich schien es, als wolle Grillparzer einen realem Boden für
seinen Kothurn suchen, als im Nebel schwimmende griechische Mythen.
Zugleich war zu hoffen, daß er sich durch die Wahl eines Stoffes aus
deutscher, aus österreichischer Geschichte zum ächten National-Dichter
erheben werde. Er schrieb das Trauerspiel: „KönigOttokar's Glück
und Ende," das, in der Charakteristik markiger und mit festerer Hand
gezeichnet, als seine früheren Dramen, bei unläugbar großen Vorzü¬
gen, von welchen die mancherlei Mängel überschattet werden, die we¬
niger dem Dichter, als einer nicht ganz unparteiischen historischen
Auffassung zuzuschreiben, das würdige Vorspiel zu einem Cyclus hi¬
storischer Nationaldramen hätte, bilden können, die bei Ermangelung
eines Shakespeare als Dichter, doch denselben nationalen Werth für
Deutschland errungen hätten, den Shakspeare's historische Dramen in
allen Zeiten für England besitzen. Allein die großen Schwierigkeiten,
die sich der Aufführung anfänglich entgegenthürmten (sie fand im Jahre
1825 statt und zwar nur auf dringende Verwendung der Erzherzogin
Sophie, der man auch die Aufführung von Wilhelm Tell im Hof¬
burgtheater zu danken hat), die vielen Kränkungen, die ihm bei dieser
Gelegenheit mochten zugefügt worden sein, bewogen ihn, nicht etwa
Oesterreich zu verlassen, das sich des einzigen großen Dichters, den es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/187>, abgerufen am 26.08.2024.