Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Naturwissenschaften, Medicin u. tgi. nichts specielles sagend, weil die.
selben nicht unseres Faches sind. Wir müssen übrigens wünschen, die
Universität möge sich vor österreichischem Realismus bewahren. Auffallend
ist die Erscheinung, daß die Professoren dieser Disciplinen sich noch
vor den übrigen durch aristokratisches Benehmen auszeichnen. Wenn
doch die deutschen Docenten endlich einmal von dem irrigen Wahne
abließen, als eristirten Universitäten und Studenten nur deshalb, da¬
mit sie desto bequemer dominiren und ihre Gelehrsamkeit auskramen
könnten! Ein deutscher Professor ist gar zu häufig ein Louis XlV.
en miniuture: "iVuniversitv o'ost um!"

Diese Professorenaristokratie sperrt die armen Studenten auf eine
bedauerliche Weise von allen Bildungsquellen ab. In Gießen haben
sie noch dazu kein Museum, wie in Marburg und Heidelberg, und an
der Universitätsbibliothek wegen der Illiberalität der Direction die
allerdürftigste Ressource. Rechnet man dazu, daß Gießen ein Kräh¬
winkel ist, wo sich nur in einigen höhern Kreisen ein gewisser Fond
von Bildung findet, so begreift man leicht, daß es Zeiten geben konnte,
wo die Gießener und Würzburger Prüderie Sprichwort war. Die
Bürger geriren sich den Studenten gegenüber sehr massiv; sogar in
dem städtischen Clubb ist nur das philiströse Element, das burschikose
dagegen nicht einmal mit einer berathenden Stimme vertreten.

So muß denn gar manches frische, jugendliche Talent in diesem
Universitätsbann verschrumpfen. Denn es ist in der That bedauerlich,
daß grade auf Gießen ein so ausdörrender Mehlthau gefallen ist. Wir
möchten behaupten, daß in keinem deutschen Lande verhältnißmäßtg ein
so großer Reichthum an ungeläuterten Talenten, an gebundener Kraft,
an frischer Originalität vorhanden sei, als in Hessendarmstadt. Das
Volk vereinigt auf die glücklichste Weise die Vorzüge der nord- und
süddeutschen Stämme in sich; der Geist der Studentenwelt wird
trotz aller Schnürbrüste und beengenden Hemmnisse mit jedem
Tage strebsamer, und eine zeitgemäße Reorganisation der höhern
Bildungsanstalten würde jedenfalls Treffliches erzielen. Doch wird die
neue Eisenbahn, von Frankfurt nach Cassel, schon das Ihrige beitra¬
gen, Gießen wie Marburg in das große Wellculturnetz hineinzuziehen.



*) Wir müssen dies sehr bedauern, da grade diese Fächer elln glänzende
Seite der Gießener Universität bilden. Wir werden trachten, in einer spätern
D. Red. Lieferung diese Lücke von anderer Seite ergänzen zu lassen-

Naturwissenschaften, Medicin u. tgi. nichts specielles sagend, weil die.
selben nicht unseres Faches sind. Wir müssen übrigens wünschen, die
Universität möge sich vor österreichischem Realismus bewahren. Auffallend
ist die Erscheinung, daß die Professoren dieser Disciplinen sich noch
vor den übrigen durch aristokratisches Benehmen auszeichnen. Wenn
doch die deutschen Docenten endlich einmal von dem irrigen Wahne
abließen, als eristirten Universitäten und Studenten nur deshalb, da¬
mit sie desto bequemer dominiren und ihre Gelehrsamkeit auskramen
könnten! Ein deutscher Professor ist gar zu häufig ein Louis XlV.
en miniuture: „iVuniversitv o'ost um!"

Diese Professorenaristokratie sperrt die armen Studenten auf eine
bedauerliche Weise von allen Bildungsquellen ab. In Gießen haben
sie noch dazu kein Museum, wie in Marburg und Heidelberg, und an
der Universitätsbibliothek wegen der Illiberalität der Direction die
allerdürftigste Ressource. Rechnet man dazu, daß Gießen ein Kräh¬
winkel ist, wo sich nur in einigen höhern Kreisen ein gewisser Fond
von Bildung findet, so begreift man leicht, daß es Zeiten geben konnte,
wo die Gießener und Würzburger Prüderie Sprichwort war. Die
Bürger geriren sich den Studenten gegenüber sehr massiv; sogar in
dem städtischen Clubb ist nur das philiströse Element, das burschikose
dagegen nicht einmal mit einer berathenden Stimme vertreten.

So muß denn gar manches frische, jugendliche Talent in diesem
Universitätsbann verschrumpfen. Denn es ist in der That bedauerlich,
daß grade auf Gießen ein so ausdörrender Mehlthau gefallen ist. Wir
möchten behaupten, daß in keinem deutschen Lande verhältnißmäßtg ein
so großer Reichthum an ungeläuterten Talenten, an gebundener Kraft,
an frischer Originalität vorhanden sei, als in Hessendarmstadt. Das
Volk vereinigt auf die glücklichste Weise die Vorzüge der nord- und
süddeutschen Stämme in sich; der Geist der Studentenwelt wird
trotz aller Schnürbrüste und beengenden Hemmnisse mit jedem
Tage strebsamer, und eine zeitgemäße Reorganisation der höhern
Bildungsanstalten würde jedenfalls Treffliches erzielen. Doch wird die
neue Eisenbahn, von Frankfurt nach Cassel, schon das Ihrige beitra¬
gen, Gießen wie Marburg in das große Wellculturnetz hineinzuziehen.



*) Wir müssen dies sehr bedauern, da grade diese Fächer elln glänzende
Seite der Gießener Universität bilden. Wir werden trachten, in einer spätern
D. Red. Lieferung diese Lücke von anderer Seite ergänzen zu lassen-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183727"/>
            <p xml:id="ID_379" prev="#ID_378"> Naturwissenschaften, Medicin u. tgi. nichts specielles sagend, weil die.<lb/>
selben nicht unseres Faches sind. Wir müssen übrigens wünschen, die<lb/>
Universität möge sich vor österreichischem Realismus bewahren. Auffallend<lb/>
ist die Erscheinung, daß die Professoren dieser Disciplinen sich noch<lb/>
vor den übrigen durch aristokratisches Benehmen auszeichnen. Wenn<lb/>
doch die deutschen Docenten endlich einmal von dem irrigen Wahne<lb/>
abließen, als eristirten Universitäten und Studenten nur deshalb, da¬<lb/>
mit sie desto bequemer dominiren und ihre Gelehrsamkeit auskramen<lb/>
könnten! Ein deutscher Professor ist gar zu häufig ein Louis XlV.<lb/>
en miniuture: &#x201E;iVuniversitv o'ost um!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_380"> Diese Professorenaristokratie sperrt die armen Studenten auf eine<lb/>
bedauerliche Weise von allen Bildungsquellen ab. In Gießen haben<lb/>
sie noch dazu kein Museum, wie in Marburg und Heidelberg, und an<lb/>
der Universitätsbibliothek wegen der Illiberalität der Direction die<lb/>
allerdürftigste Ressource. Rechnet man dazu, daß Gießen ein Kräh¬<lb/>
winkel ist, wo sich nur in einigen höhern Kreisen ein gewisser Fond<lb/>
von Bildung findet, so begreift man leicht, daß es Zeiten geben konnte,<lb/>
wo die Gießener und Würzburger Prüderie Sprichwort war. Die<lb/>
Bürger geriren sich den Studenten gegenüber sehr massiv; sogar in<lb/>
dem städtischen Clubb ist nur das philiströse Element, das burschikose<lb/>
dagegen nicht einmal mit einer berathenden Stimme vertreten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_381" next="#ID_382"> So muß denn gar manches frische, jugendliche Talent in diesem<lb/>
Universitätsbann verschrumpfen. Denn es ist in der That bedauerlich,<lb/>
daß grade auf Gießen ein so ausdörrender Mehlthau gefallen ist. Wir<lb/>
möchten behaupten, daß in keinem deutschen Lande verhältnißmäßtg ein<lb/>
so großer Reichthum an ungeläuterten Talenten, an gebundener Kraft,<lb/>
an frischer Originalität vorhanden sei, als in Hessendarmstadt. Das<lb/>
Volk vereinigt auf die glücklichste Weise die Vorzüge der nord- und<lb/>
süddeutschen Stämme in sich; der Geist der Studentenwelt wird<lb/>
trotz aller Schnürbrüste und beengenden Hemmnisse mit jedem<lb/>
Tage strebsamer, und eine zeitgemäße Reorganisation der höhern<lb/>
Bildungsanstalten würde jedenfalls Treffliches erzielen. Doch wird die<lb/>
neue Eisenbahn, von Frankfurt nach Cassel, schon das Ihrige beitra¬<lb/>
gen, Gießen wie Marburg in das große Wellculturnetz hineinzuziehen.</p><lb/>
            <note xml:id="FID_11" place="foot"> *) Wir müssen dies sehr bedauern, da grade diese Fächer elln glänzende<lb/>
Seite der Gießener Universität bilden. Wir werden trachten, in einer spätern<lb/><note type="byline"> D. Red.</note> Lieferung diese Lücke von anderer Seite ergänzen zu lassen- </note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] Naturwissenschaften, Medicin u. tgi. nichts specielles sagend, weil die. selben nicht unseres Faches sind. Wir müssen übrigens wünschen, die Universität möge sich vor österreichischem Realismus bewahren. Auffallend ist die Erscheinung, daß die Professoren dieser Disciplinen sich noch vor den übrigen durch aristokratisches Benehmen auszeichnen. Wenn doch die deutschen Docenten endlich einmal von dem irrigen Wahne abließen, als eristirten Universitäten und Studenten nur deshalb, da¬ mit sie desto bequemer dominiren und ihre Gelehrsamkeit auskramen könnten! Ein deutscher Professor ist gar zu häufig ein Louis XlV. en miniuture: „iVuniversitv o'ost um!" Diese Professorenaristokratie sperrt die armen Studenten auf eine bedauerliche Weise von allen Bildungsquellen ab. In Gießen haben sie noch dazu kein Museum, wie in Marburg und Heidelberg, und an der Universitätsbibliothek wegen der Illiberalität der Direction die allerdürftigste Ressource. Rechnet man dazu, daß Gießen ein Kräh¬ winkel ist, wo sich nur in einigen höhern Kreisen ein gewisser Fond von Bildung findet, so begreift man leicht, daß es Zeiten geben konnte, wo die Gießener und Würzburger Prüderie Sprichwort war. Die Bürger geriren sich den Studenten gegenüber sehr massiv; sogar in dem städtischen Clubb ist nur das philiströse Element, das burschikose dagegen nicht einmal mit einer berathenden Stimme vertreten. So muß denn gar manches frische, jugendliche Talent in diesem Universitätsbann verschrumpfen. Denn es ist in der That bedauerlich, daß grade auf Gießen ein so ausdörrender Mehlthau gefallen ist. Wir möchten behaupten, daß in keinem deutschen Lande verhältnißmäßtg ein so großer Reichthum an ungeläuterten Talenten, an gebundener Kraft, an frischer Originalität vorhanden sei, als in Hessendarmstadt. Das Volk vereinigt auf die glücklichste Weise die Vorzüge der nord- und süddeutschen Stämme in sich; der Geist der Studentenwelt wird trotz aller Schnürbrüste und beengenden Hemmnisse mit jedem Tage strebsamer, und eine zeitgemäße Reorganisation der höhern Bildungsanstalten würde jedenfalls Treffliches erzielen. Doch wird die neue Eisenbahn, von Frankfurt nach Cassel, schon das Ihrige beitra¬ gen, Gießen wie Marburg in das große Wellculturnetz hineinzuziehen. *) Wir müssen dies sehr bedauern, da grade diese Fächer elln glänzende Seite der Gießener Universität bilden. Wir werden trachten, in einer spätern D. Red. Lieferung diese Lücke von anderer Seite ergänzen zu lassen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/145>, abgerufen am 23.07.2024.