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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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besonders in Religionsangelegenheiten, und darum können wir auch
diesen großh. hessischen Nationalismus nicht sehr hoch anschlagen. Wir
können dies auch deshalb nicht, weil er dem ganzen Leben in allen
Ständen eine so trostlos nüchterne Farbe gibt (obgleich wir Gott dan¬
ken, daß bei uns keine preußische Poesie fortkommt!) Außerdem ist
dieser Rationalismus als officieller von Haus aus intolerant und da,
wo er anfängt, sich tolerant zu geberden, beginnt sein Schwanken, da
es ihm nur mit Accenten und Grammatik wahrhaft Ernst ist, und ein ge¬
heimes Mißtrauen in seine eigne Kraft ihn beunruhigt. Es hat in Hessen-
Darmstadt Zeiten gegeben, wo nicht pietistisch gepredigt werden dnrftei
andererseits entblöden theologische Professoren sich nicht, trotz ihrer Opposi¬
tion gegen Hengstenberg und Tholuck, Privatdocenten, welche der Hegel'-
schen Richtung angehören, die Anwartschaft auf die Professur abzu¬
sprechen. Wir rechnen dahin die Herren Fritzsche und Knobel. Der
erstere ängstigt die ganze theologische Jugend mit seinen griechischen
Accenten. Der letztere überweist in seiner Moral die Kunst als "un¬
männlich" den Frauenzimmern, bringt die Poesie unter die Rubrik:
"Scherzlüge" und verschüchtert die Leute noch mit dem kategorischen
Imperativs eine Willensästhetik und ihre Cultivirung durch Schiller
scheint er nicht zu ahnen; gleicherweise bleiben auch Aristoteles und
Spinoza's Ethik in dieser Moral schier unberücksichtigt. Ein Pendant
zu Fritzsche und Knobel bildet Hasse; er ist jedoch noch zu jung und
unbedeutend, als daß sich etwas Erhebliches von ihm sagen ließe.
Desto mehr läßt sich von Crodn er sagen, welcher wohl auch im Weg-
scheider'schen Nationalismus stecken mag, aber doch ungleich mehr Frei¬
sinn und oppositionelle Courage an den Tag legt, als seine Herren
Collegen. Er ist einer jener zähen, besonnenen Historiker, welche, so¬
bald sie historischen Boden unter den Füßen fühlen, so standhaft und
tapfer sind, wie Michel Mort, der Heros von Kreuznach. Crodner
bewährt sich in seinen neuesten Fehden gegen Herrn Kanzler von Linde
ganz als Michel Mort der historisch-kritischen Forschung. Dieses sein
festes Auftreten ist durchaus tüchtig und ehrenhaft; er ist ein Prote¬
stant mit Leib und Seele. Nur verfällt er in seinen kirchengeschichtli¬
chen Vorträgen bei der Darstellung der mittelalterlichen Verhältnisse
in den Fehler der meisten rationalistischen Historiker; er hat keinen liebe¬
voll innigen Sinn für die Auffassung der Individualitäten. Sobald
er den Katholicismus zu Gesicht bekommt, verfolgt er ihn mit seiner
ganzen kritischen Schärfe durch das ganze Gebiet der Kirchengeschichte,
welche so zu einer bloßen, einseitigen Kritik wird. Darüber geht denn


besonders in Religionsangelegenheiten, und darum können wir auch
diesen großh. hessischen Nationalismus nicht sehr hoch anschlagen. Wir
können dies auch deshalb nicht, weil er dem ganzen Leben in allen
Ständen eine so trostlos nüchterne Farbe gibt (obgleich wir Gott dan¬
ken, daß bei uns keine preußische Poesie fortkommt!) Außerdem ist
dieser Rationalismus als officieller von Haus aus intolerant und da,
wo er anfängt, sich tolerant zu geberden, beginnt sein Schwanken, da
es ihm nur mit Accenten und Grammatik wahrhaft Ernst ist, und ein ge¬
heimes Mißtrauen in seine eigne Kraft ihn beunruhigt. Es hat in Hessen-
Darmstadt Zeiten gegeben, wo nicht pietistisch gepredigt werden dnrftei
andererseits entblöden theologische Professoren sich nicht, trotz ihrer Opposi¬
tion gegen Hengstenberg und Tholuck, Privatdocenten, welche der Hegel'-
schen Richtung angehören, die Anwartschaft auf die Professur abzu¬
sprechen. Wir rechnen dahin die Herren Fritzsche und Knobel. Der
erstere ängstigt die ganze theologische Jugend mit seinen griechischen
Accenten. Der letztere überweist in seiner Moral die Kunst als „un¬
männlich" den Frauenzimmern, bringt die Poesie unter die Rubrik:
„Scherzlüge" und verschüchtert die Leute noch mit dem kategorischen
Imperativs eine Willensästhetik und ihre Cultivirung durch Schiller
scheint er nicht zu ahnen; gleicherweise bleiben auch Aristoteles und
Spinoza's Ethik in dieser Moral schier unberücksichtigt. Ein Pendant
zu Fritzsche und Knobel bildet Hasse; er ist jedoch noch zu jung und
unbedeutend, als daß sich etwas Erhebliches von ihm sagen ließe.
Desto mehr läßt sich von Crodn er sagen, welcher wohl auch im Weg-
scheider'schen Nationalismus stecken mag, aber doch ungleich mehr Frei¬
sinn und oppositionelle Courage an den Tag legt, als seine Herren
Collegen. Er ist einer jener zähen, besonnenen Historiker, welche, so¬
bald sie historischen Boden unter den Füßen fühlen, so standhaft und
tapfer sind, wie Michel Mort, der Heros von Kreuznach. Crodner
bewährt sich in seinen neuesten Fehden gegen Herrn Kanzler von Linde
ganz als Michel Mort der historisch-kritischen Forschung. Dieses sein
festes Auftreten ist durchaus tüchtig und ehrenhaft; er ist ein Prote¬
stant mit Leib und Seele. Nur verfällt er in seinen kirchengeschichtli¬
chen Vorträgen bei der Darstellung der mittelalterlichen Verhältnisse
in den Fehler der meisten rationalistischen Historiker; er hat keinen liebe¬
voll innigen Sinn für die Auffassung der Individualitäten. Sobald
er den Katholicismus zu Gesicht bekommt, verfolgt er ihn mit seiner
ganzen kritischen Schärfe durch das ganze Gebiet der Kirchengeschichte,
welche so zu einer bloßen, einseitigen Kritik wird. Darüber geht denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/142>, abgerufen am 23.07.2024.