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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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hier eines absonderlichen Gedeihens; man pflanzt bei uns die Wälder
nach der Schnur: wollte man vielleicht auch ein System der Gedanken
in dieser Weise pflanzen? Herr Geheimerath Schleiermacher in Darm¬
stadt schien dergleichen anzustreben; wenigstens tadelte er in einem
gegen den Studienplan gerichteten Brochürchen, daß, da mehrere Do¬
centen Logik lasen, nicht angegeben sei, welche Logik den Zwecken der
Regierung am meisten entspräche. Wenn die Sachen so stehen, so
haben wir also 38 Logiker in Deutschland und sind somit von
Haus aus unlogisch. Da lohnte es sich wirklich der Mühe, nach dem
Muster des Zollvereins, "unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes
schützenden Privilegien" eine allgemeine deutsche Bundeslogik
zu organisiren.

Der Geist der Reformen, welcher schon seit längerer Zeit unsere
Hochschulen umzuschaffen bemüht ist, konnte auch Gießen nicht unbe¬
rührt lassen. Allein auch hier strebte man früh, dem akademischen
Embryo die bunte Schlafkappe über die Ohren zu ziehen. Die wei¬
land "Allemannen" trugen sich mit Ideen zu einem akademischen Lese¬
verein, man wies sie jedoch an die Landeszeitung und das Frankfurter
Journal, das "ja in jedem Wirthshause zu finden sei." Einige Zei¬
tungen wurden später doch von der Opposition gehalten; allein jetzt
ist das auch schon wieder vorbei.

Es läßt sich übrigens nicht verkennen, daß diese Opposition für
Gießen sehr segensreich gewesen ist. Fängt auch nachgerade innerhalb
ihrer selbst der Corpskobold wieder an zu spuken; ist auch das akade¬
mische Tribunal, das sie errichtete, nur eine Carricatur und mehr eine
kokette Concession an die Forderungen der Zeit, als ernstlich gemeint:
so ist doch durch diese Opposition ein regerer Sinn für Wissenschaft
und Sitte erwacht. Diese Opposition frißt keine Franzosen, lebt nicht
blos von Meth und Arndt'schen Liedern und betrachtet das Turnen
nur als eine gesunde Motion. Man kann überhaupt von Gießen
tagen, daß gegenwärtig ein frischer, strebsamer Geist dort zu Hause ist.
Der Geist der Slud'entenwelt ist im Ganzen ein gesunder. Die Gie¬
ßener Gemüthlichkeit artet jedoch zu oft in faulen Nihilismus ans;
als Hauptrepräsentanten derselben betrachten sich die Oberhessen. Man
setzt sich oft Tage lang auf das Zimmer eines Bekannten, plaudert,
raucht Tabak und begnügt sich mir der aschgrauen Fachwissenschaft,
über welche die allgemeine Bildung nicht selten schnöde vernachlässigt
wird. In dieser Beziehung könnten die Gießener Studenten bei ihren
Commilitonen in Heidelberg und Berlin in die Schule gehe".


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hier eines absonderlichen Gedeihens; man pflanzt bei uns die Wälder
nach der Schnur: wollte man vielleicht auch ein System der Gedanken
in dieser Weise pflanzen? Herr Geheimerath Schleiermacher in Darm¬
stadt schien dergleichen anzustreben; wenigstens tadelte er in einem
gegen den Studienplan gerichteten Brochürchen, daß, da mehrere Do¬
centen Logik lasen, nicht angegeben sei, welche Logik den Zwecken der
Regierung am meisten entspräche. Wenn die Sachen so stehen, so
haben wir also 38 Logiker in Deutschland und sind somit von
Haus aus unlogisch. Da lohnte es sich wirklich der Mühe, nach dem
Muster des Zollvereins, „unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes
schützenden Privilegien" eine allgemeine deutsche Bundeslogik
zu organisiren.

Der Geist der Reformen, welcher schon seit längerer Zeit unsere
Hochschulen umzuschaffen bemüht ist, konnte auch Gießen nicht unbe¬
rührt lassen. Allein auch hier strebte man früh, dem akademischen
Embryo die bunte Schlafkappe über die Ohren zu ziehen. Die wei¬
land „Allemannen" trugen sich mit Ideen zu einem akademischen Lese¬
verein, man wies sie jedoch an die Landeszeitung und das Frankfurter
Journal, das „ja in jedem Wirthshause zu finden sei." Einige Zei¬
tungen wurden später doch von der Opposition gehalten; allein jetzt
ist das auch schon wieder vorbei.

Es läßt sich übrigens nicht verkennen, daß diese Opposition für
Gießen sehr segensreich gewesen ist. Fängt auch nachgerade innerhalb
ihrer selbst der Corpskobold wieder an zu spuken; ist auch das akade¬
mische Tribunal, das sie errichtete, nur eine Carricatur und mehr eine
kokette Concession an die Forderungen der Zeit, als ernstlich gemeint:
so ist doch durch diese Opposition ein regerer Sinn für Wissenschaft
und Sitte erwacht. Diese Opposition frißt keine Franzosen, lebt nicht
blos von Meth und Arndt'schen Liedern und betrachtet das Turnen
nur als eine gesunde Motion. Man kann überhaupt von Gießen
tagen, daß gegenwärtig ein frischer, strebsamer Geist dort zu Hause ist.
Der Geist der Slud'entenwelt ist im Ganzen ein gesunder. Die Gie¬
ßener Gemüthlichkeit artet jedoch zu oft in faulen Nihilismus ans;
als Hauptrepräsentanten derselben betrachten sich die Oberhessen. Man
setzt sich oft Tage lang auf das Zimmer eines Bekannten, plaudert,
raucht Tabak und begnügt sich mir der aschgrauen Fachwissenschaft,
über welche die allgemeine Bildung nicht selten schnöde vernachlässigt
wird. In dieser Beziehung könnten die Gießener Studenten bei ihren
Commilitonen in Heidelberg und Berlin in die Schule gehe».


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/135>, abgerufen am 24.07.2024.