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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Geschäfte, und unzähligen andern Bedenklichkeiten, eine solche Ver¬
sammlung organisiren könnte, so fiel endlich nach einer starken Debatte
(an welcher ich sehr thätigen Antheil nahm), der Entschluß dahin ans,
daß man gänzlich darauf Verzicht thun müsse. Der Congreß, als
solcher, ist daher blos durch seine Schlußacte in's Leben getreten.

Die große Conferenz deS Comite der Acht ward überhaupt, be¬
sonders aber in den ersten Monaten, auch nur selten versammelt; die
wichtigsten Angelegenheiten wurden durch Schriftenwechsel, in sepa-
rat-Conferenzen, und in geheimen Besprechungen verhandelt; und die
große Conferenz war fast nur damit beschäftigt, das, was auf diesen
Wegen schon beschlossen war, zu Protokolliren und festzusetzen. So
wurde in den beiden Sitzungen vom 13. und 17. November die Ueber,
tragung von Genua an den König von Sardinien entschieden.

Die größte und schwierigste Sache, welche die Höfe in der ersten
Periode des Congresses beschäftigte, war die der Territorial-Nestitutio-
nen, und vor Allem die Ansprüche, welche Rußland auf einen großen
Theil von Polen, und Preußen auf das Königreich Sachsen machte.
Der Plan des Kaisers von Rußland, ein neues Königreich Polen un¬
ter seiner Protektion zu errichten, war längst unwiderruflich beschlossen;
seine Truppen hatten den größten Theil dieses Landes besetzt; und ob¬
gleich gegen diesen Plan eine Menge von Stimmen sich erhoben, we¬
der Oesterreich, noch Frankreich, noch England, noch Deutschland da¬
bei gleichgültig bleiben konnten, so zeigte sich doch bald, daß Nußland
und Preußen darüber einig waren, und daß, ohne Krieg mit beiden,
die gefahrvolle Acquisition nicht mehr hintertrieben werden konnte.
Lord Castlereagh allein leistete eine Zeitlang scheinbar tapferen Wider¬
stand, und führte in den Monaten October und November mit dem
Kaiser eine merkwürdige und nachdrückliche Correspondenz, die aber
so wenig wie Talleyrand's Deklarationen und Sarkasmen und Oester¬
reichs Vorstellungen fruchteten. Wir mußten zuletzt froh sein, nur
Gallizien für Oesterreich, und das Großherzogthum Posen für Preu¬
ßen gerettet, und die armselige Republik Krakau geschaffen zu haben.




Hier endet der übersichtliche Auszug, welchen Gentz aus seinen
ersten Notaten angefertigt hat. Die weiteren Notate aber, die dem Verfolg
des Congresses gewidmet worden, sowie mehrere spätere Jahrgänge
derselben, dürften wohl noch einst sich vorfinden, und vielleicht in ge¬
Der Eins. legener Zeit auch an das Licht treten!




Geschäfte, und unzähligen andern Bedenklichkeiten, eine solche Ver¬
sammlung organisiren könnte, so fiel endlich nach einer starken Debatte
(an welcher ich sehr thätigen Antheil nahm), der Entschluß dahin ans,
daß man gänzlich darauf Verzicht thun müsse. Der Congreß, als
solcher, ist daher blos durch seine Schlußacte in's Leben getreten.

Die große Conferenz deS Comite der Acht ward überhaupt, be¬
sonders aber in den ersten Monaten, auch nur selten versammelt; die
wichtigsten Angelegenheiten wurden durch Schriftenwechsel, in sepa-
rat-Conferenzen, und in geheimen Besprechungen verhandelt; und die
große Conferenz war fast nur damit beschäftigt, das, was auf diesen
Wegen schon beschlossen war, zu Protokolliren und festzusetzen. So
wurde in den beiden Sitzungen vom 13. und 17. November die Ueber,
tragung von Genua an den König von Sardinien entschieden.

Die größte und schwierigste Sache, welche die Höfe in der ersten
Periode des Congresses beschäftigte, war die der Territorial-Nestitutio-
nen, und vor Allem die Ansprüche, welche Rußland auf einen großen
Theil von Polen, und Preußen auf das Königreich Sachsen machte.
Der Plan des Kaisers von Rußland, ein neues Königreich Polen un¬
ter seiner Protektion zu errichten, war längst unwiderruflich beschlossen;
seine Truppen hatten den größten Theil dieses Landes besetzt; und ob¬
gleich gegen diesen Plan eine Menge von Stimmen sich erhoben, we¬
der Oesterreich, noch Frankreich, noch England, noch Deutschland da¬
bei gleichgültig bleiben konnten, so zeigte sich doch bald, daß Nußland
und Preußen darüber einig waren, und daß, ohne Krieg mit beiden,
die gefahrvolle Acquisition nicht mehr hintertrieben werden konnte.
Lord Castlereagh allein leistete eine Zeitlang scheinbar tapferen Wider¬
stand, und führte in den Monaten October und November mit dem
Kaiser eine merkwürdige und nachdrückliche Correspondenz, die aber
so wenig wie Talleyrand's Deklarationen und Sarkasmen und Oester¬
reichs Vorstellungen fruchteten. Wir mußten zuletzt froh sein, nur
Gallizien für Oesterreich, und das Großherzogthum Posen für Preu¬
ßen gerettet, und die armselige Republik Krakau geschaffen zu haben.




Hier endet der übersichtliche Auszug, welchen Gentz aus seinen
ersten Notaten angefertigt hat. Die weiteren Notate aber, die dem Verfolg
des Congresses gewidmet worden, sowie mehrere spätere Jahrgänge
derselben, dürften wohl noch einst sich vorfinden, und vielleicht in ge¬
Der Eins. legener Zeit auch an das Licht treten!




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[0111] Geschäfte, und unzähligen andern Bedenklichkeiten, eine solche Ver¬ sammlung organisiren könnte, so fiel endlich nach einer starken Debatte (an welcher ich sehr thätigen Antheil nahm), der Entschluß dahin ans, daß man gänzlich darauf Verzicht thun müsse. Der Congreß, als solcher, ist daher blos durch seine Schlußacte in's Leben getreten. Die große Conferenz deS Comite der Acht ward überhaupt, be¬ sonders aber in den ersten Monaten, auch nur selten versammelt; die wichtigsten Angelegenheiten wurden durch Schriftenwechsel, in sepa- rat-Conferenzen, und in geheimen Besprechungen verhandelt; und die große Conferenz war fast nur damit beschäftigt, das, was auf diesen Wegen schon beschlossen war, zu Protokolliren und festzusetzen. So wurde in den beiden Sitzungen vom 13. und 17. November die Ueber, tragung von Genua an den König von Sardinien entschieden. Die größte und schwierigste Sache, welche die Höfe in der ersten Periode des Congresses beschäftigte, war die der Territorial-Nestitutio- nen, und vor Allem die Ansprüche, welche Rußland auf einen großen Theil von Polen, und Preußen auf das Königreich Sachsen machte. Der Plan des Kaisers von Rußland, ein neues Königreich Polen un¬ ter seiner Protektion zu errichten, war längst unwiderruflich beschlossen; seine Truppen hatten den größten Theil dieses Landes besetzt; und ob¬ gleich gegen diesen Plan eine Menge von Stimmen sich erhoben, we¬ der Oesterreich, noch Frankreich, noch England, noch Deutschland da¬ bei gleichgültig bleiben konnten, so zeigte sich doch bald, daß Nußland und Preußen darüber einig waren, und daß, ohne Krieg mit beiden, die gefahrvolle Acquisition nicht mehr hintertrieben werden konnte. Lord Castlereagh allein leistete eine Zeitlang scheinbar tapferen Wider¬ stand, und führte in den Monaten October und November mit dem Kaiser eine merkwürdige und nachdrückliche Correspondenz, die aber so wenig wie Talleyrand's Deklarationen und Sarkasmen und Oester¬ reichs Vorstellungen fruchteten. Wir mußten zuletzt froh sein, nur Gallizien für Oesterreich, und das Großherzogthum Posen für Preu¬ ßen gerettet, und die armselige Republik Krakau geschaffen zu haben. Hier endet der übersichtliche Auszug, welchen Gentz aus seinen ersten Notaten angefertigt hat. Die weiteren Notate aber, die dem Verfolg des Congresses gewidmet worden, sowie mehrere spätere Jahrgänge derselben, dürften wohl noch einst sich vorfinden, und vielleicht in ge¬ Der Eins. legener Zeit auch an das Licht treten!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/111>, abgerufen am 23.07.2024.