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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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deutig hält, daß jedes freimüthige Wort, oder auch jedes dumme
Geschwätz, sogleich schlimme Folgen haben könnte, ist eine Belei¬
digung gegen ein Volk, das, wie die Oesterreicher, seien es Deutsche,
Böhmen oder Ungarn, so viele glänzende Beweise von kernhafter Ge¬
sinnung, von selbstaufopfernder Treue für die Dynastie, gegeben hat.
Wenn die Preußen stets auf ihr 1813 hinweisen, so dürfen wir
Oesterreicher mit nicht minderem Selbstbewußtsein aus 1809 und die
ganze darauf folgende Zeit hinweisen, wo Oesterreich eine Aufopferung
bewiesen, die selbst das traurige Finanzpatent von 181 l nicht erschüttert
hat. Man denke an Tyrol, man denke an die Antwort der Ungarn auf
die Anträge Napoleons, man denke an die tausend Aelchen von Hin¬
gebung, die Böhmen und Oesterreich dem verstorbenen Kaiser Franz
bis zu seinem Tode geliefert. Und solchen bewährten Völkern gegen¬
über glaubt man mißtrauisch jedes Wort undisciplinirter Art, je¬
den Gedanken, der von dem polizeilichen Stempel abweicht, absperren
zu müssen. Solchen geprüften Nationen läßt man durch die Erbärm¬
lichkeit der österreichischen Journalistik, durch die rothen Striche, die
der Censor in den unbedeutendsten Aufsätzen der letzten Feuilletonisten
macht, ein testimmnum pini^ertatis jeden Tag ausstellen?

Wir sind berechtigt zu glauben, daß der neue, ungewöhnliche
Weg, den der österreichische Beobachter eingeschlagen hat, indem er die
absichtlichsten Verläumdungen der Regierung und die gefährlichsten,
die Ruhe der Gesellschaft bedrohenden Theorien dem öffentlichen Ur¬
theil überlieferte, hierin dem Beispiel der officiellen Presse in Preußen
gefolgt ist; möchte man doch noch einige Schritte weiter gehen und
Preußen nicht blos in außergewöhnlichen Lagen, sondern auch in nor¬
malen Zuständen sich zum Muster nehmen. Es kostet uns Ueberwindung,
dem alten Oesterreich, das Jahrhunderte lang an der Spitze Deutsch¬
lands gestanden, zur Nachahmung seines viel jüngeren Nebenbuhlers
rathen zu müssen. Aber die Wahrheit geht uns über die patriotische
Eitelkeit!

Um mit einer lustigen Geschichte zu schließen, will ich ein Bei¬
spiel erzählen wie ungeschickt sich unsere Presse benimmt, wenn sie
ein Mal das ungewohnte Kleid politischer Bedeutung anlegen soll.
Bekanntlich hat die preußische Staatszeitung oder Allgem. Preußische,
wie sie sich jetzt nennt, die Lügenbcrichte der französischen Presse (na¬
mentlich des Courier Franyais) mitgetheilt und dem Gelächter des
Publicums Preis gegeben. Wie ganz in der Ordnung, hat sie die
Preußen betreffende Lügennachrichten (wie z. B., in Cöln bilden sich
öffentliche Vereine, um den Polen zu Hilfe zu eilen") mit durch¬
schossener Schrift gedruckt, während sie die Oesterreich betreffenden
Lügen ("der General-Gouverneur Erzherzog von Este soll nach Prag
geflüchtet sein" -- "der Prinz Rohan und der Graf Thun sind arre-
tirt worden") in gewöhnlicher Schrift druckte. Dies ist wie gesagt


deutig hält, daß jedes freimüthige Wort, oder auch jedes dumme
Geschwätz, sogleich schlimme Folgen haben könnte, ist eine Belei¬
digung gegen ein Volk, das, wie die Oesterreicher, seien es Deutsche,
Böhmen oder Ungarn, so viele glänzende Beweise von kernhafter Ge¬
sinnung, von selbstaufopfernder Treue für die Dynastie, gegeben hat.
Wenn die Preußen stets auf ihr 1813 hinweisen, so dürfen wir
Oesterreicher mit nicht minderem Selbstbewußtsein aus 1809 und die
ganze darauf folgende Zeit hinweisen, wo Oesterreich eine Aufopferung
bewiesen, die selbst das traurige Finanzpatent von 181 l nicht erschüttert
hat. Man denke an Tyrol, man denke an die Antwort der Ungarn auf
die Anträge Napoleons, man denke an die tausend Aelchen von Hin¬
gebung, die Böhmen und Oesterreich dem verstorbenen Kaiser Franz
bis zu seinem Tode geliefert. Und solchen bewährten Völkern gegen¬
über glaubt man mißtrauisch jedes Wort undisciplinirter Art, je¬
den Gedanken, der von dem polizeilichen Stempel abweicht, absperren
zu müssen. Solchen geprüften Nationen läßt man durch die Erbärm¬
lichkeit der österreichischen Journalistik, durch die rothen Striche, die
der Censor in den unbedeutendsten Aufsätzen der letzten Feuilletonisten
macht, ein testimmnum pini^ertatis jeden Tag ausstellen?

Wir sind berechtigt zu glauben, daß der neue, ungewöhnliche
Weg, den der österreichische Beobachter eingeschlagen hat, indem er die
absichtlichsten Verläumdungen der Regierung und die gefährlichsten,
die Ruhe der Gesellschaft bedrohenden Theorien dem öffentlichen Ur¬
theil überlieferte, hierin dem Beispiel der officiellen Presse in Preußen
gefolgt ist; möchte man doch noch einige Schritte weiter gehen und
Preußen nicht blos in außergewöhnlichen Lagen, sondern auch in nor¬
malen Zuständen sich zum Muster nehmen. Es kostet uns Ueberwindung,
dem alten Oesterreich, das Jahrhunderte lang an der Spitze Deutsch¬
lands gestanden, zur Nachahmung seines viel jüngeren Nebenbuhlers
rathen zu müssen. Aber die Wahrheit geht uns über die patriotische
Eitelkeit!

Um mit einer lustigen Geschichte zu schließen, will ich ein Bei¬
spiel erzählen wie ungeschickt sich unsere Presse benimmt, wenn sie
ein Mal das ungewohnte Kleid politischer Bedeutung anlegen soll.
Bekanntlich hat die preußische Staatszeitung oder Allgem. Preußische,
wie sie sich jetzt nennt, die Lügenbcrichte der französischen Presse (na¬
mentlich des Courier Franyais) mitgetheilt und dem Gelächter des
Publicums Preis gegeben. Wie ganz in der Ordnung, hat sie die
Preußen betreffende Lügennachrichten (wie z. B., in Cöln bilden sich
öffentliche Vereine, um den Polen zu Hilfe zu eilen") mit durch¬
schossener Schrift gedruckt, während sie die Oesterreich betreffenden
Lügen („der General-Gouverneur Erzherzog von Este soll nach Prag
geflüchtet sein" — „der Prinz Rohan und der Graf Thun sind arre-
tirt worden") in gewöhnlicher Schrift druckte. Dies ist wie gesagt


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[0090] deutig hält, daß jedes freimüthige Wort, oder auch jedes dumme Geschwätz, sogleich schlimme Folgen haben könnte, ist eine Belei¬ digung gegen ein Volk, das, wie die Oesterreicher, seien es Deutsche, Böhmen oder Ungarn, so viele glänzende Beweise von kernhafter Ge¬ sinnung, von selbstaufopfernder Treue für die Dynastie, gegeben hat. Wenn die Preußen stets auf ihr 1813 hinweisen, so dürfen wir Oesterreicher mit nicht minderem Selbstbewußtsein aus 1809 und die ganze darauf folgende Zeit hinweisen, wo Oesterreich eine Aufopferung bewiesen, die selbst das traurige Finanzpatent von 181 l nicht erschüttert hat. Man denke an Tyrol, man denke an die Antwort der Ungarn auf die Anträge Napoleons, man denke an die tausend Aelchen von Hin¬ gebung, die Böhmen und Oesterreich dem verstorbenen Kaiser Franz bis zu seinem Tode geliefert. Und solchen bewährten Völkern gegen¬ über glaubt man mißtrauisch jedes Wort undisciplinirter Art, je¬ den Gedanken, der von dem polizeilichen Stempel abweicht, absperren zu müssen. Solchen geprüften Nationen läßt man durch die Erbärm¬ lichkeit der österreichischen Journalistik, durch die rothen Striche, die der Censor in den unbedeutendsten Aufsätzen der letzten Feuilletonisten macht, ein testimmnum pini^ertatis jeden Tag ausstellen? Wir sind berechtigt zu glauben, daß der neue, ungewöhnliche Weg, den der österreichische Beobachter eingeschlagen hat, indem er die absichtlichsten Verläumdungen der Regierung und die gefährlichsten, die Ruhe der Gesellschaft bedrohenden Theorien dem öffentlichen Ur¬ theil überlieferte, hierin dem Beispiel der officiellen Presse in Preußen gefolgt ist; möchte man doch noch einige Schritte weiter gehen und Preußen nicht blos in außergewöhnlichen Lagen, sondern auch in nor¬ malen Zuständen sich zum Muster nehmen. Es kostet uns Ueberwindung, dem alten Oesterreich, das Jahrhunderte lang an der Spitze Deutsch¬ lands gestanden, zur Nachahmung seines viel jüngeren Nebenbuhlers rathen zu müssen. Aber die Wahrheit geht uns über die patriotische Eitelkeit! Um mit einer lustigen Geschichte zu schließen, will ich ein Bei¬ spiel erzählen wie ungeschickt sich unsere Presse benimmt, wenn sie ein Mal das ungewohnte Kleid politischer Bedeutung anlegen soll. Bekanntlich hat die preußische Staatszeitung oder Allgem. Preußische, wie sie sich jetzt nennt, die Lügenbcrichte der französischen Presse (na¬ mentlich des Courier Franyais) mitgetheilt und dem Gelächter des Publicums Preis gegeben. Wie ganz in der Ordnung, hat sie die Preußen betreffende Lügennachrichten (wie z. B., in Cöln bilden sich öffentliche Vereine, um den Polen zu Hilfe zu eilen") mit durch¬ schossener Schrift gedruckt, während sie die Oesterreich betreffenden Lügen („der General-Gouverneur Erzherzog von Este soll nach Prag geflüchtet sein" — „der Prinz Rohan und der Graf Thun sind arre- tirt worden") in gewöhnlicher Schrift druckte. Dies ist wie gesagt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/90>, abgerufen am 23.07.2024.