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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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der gegen die bitterböse Verleumdung weiter nicht appelliren konnte.
-- Nach dem ersten Acte nahm der jugendliche Nachkomme des "Weit¬
gereisten" die Ohren des Publicums in Beschlag und erzählte mit
unvergleichlicher Zungenfertigkeit und in gebührend epischer Breite
vom ehemaligen Hamburger Theater. Es war natürlich, als er dar¬
auf den Uebergang zum heutigen Spiele machte, daß ihn solches nicht
in allen Stücken "contentirt"; er hatte die Stellung der Coulissen ein
wenig anders gewünscht, -- der' Vorhang hätte präciser aufgezogen
werden müssen und der Held die wattirter Waden nicht so dick auf¬
tragen sollen. Kein Prophet ist je gläubiger gehört worden. Jeder
war nun überzeugt, daß Manches mangelhaft gewesen. Als Alles zu
Ende war, gingen die jungen Leute und einige unordentliche Ehemän¬
ner noch nach der Ressource. Hatte die Gegenwart der Frauen manche
Unzierlichkeit im Theater zurückgehalten, so war jetzt kein Damm mehr
und bald wälzte man sich ganz eigentlich im Kothe. Der Hamburger
-- wie ich ihn der Kürze wegen nennen will -- führte auch da mit seiner
Zunge das große Wort. Sein glücklicher Ahne mußte ein arger Schalk
gewesen sein, versteht sich mit Zopf und Perrücke, -- denn mit wel¬
cher Geschicklichkeit der es verstanden, sich in die Herzen sämmtlicher
Statistinnen, ja sogar in das einer redenden Rolle, damals in
Hamburg einzuschletchen, war auch den jetzigen Zuhörern wunderbar.
Da hatte er einer ein Paar Schuhe mit einer wohlduftenden Liebes¬
erklärung zugeschickt und manche Resultate dadmch errungen, bei
einer andern hatten ein Paar Strümpfe init dito Liebeserklärung glei¬
ches Wohlgefallen an dem schmachtenden Jüngling hervorgebracht u.
s> w. "ES hat ihm manchen harten Thaler gekostet, klagt der erzäh¬
lende Enkel, war aber dafür ein lustiger und gescheidter Bursche mein
Großvater -- wußte, wo Barthel Most holt." Es war spät in der
Nacht, als man sich mit dem stillen Wunsche trennte, gleiche Erfolge
bei den neu angekommenen Schauspielerinnen zu erringen. Und daS
waren keine Statistinnen I --


V.

Als eine Lichtseite der Kleinstädterei wird gewöhnlich das Fami¬
lienleben hervorgehoben. El, nun ja, die Leute haben meist nur legi¬
time Kinder, sind auch, was man so nennt, gute Gatten und Väter
und die Weiber ebenso gute Gattinnen und Mütter, aber damit ist's
auch schon am Ende. Von einer sittlichen Bedeutung der Ehe haben
sie gradezu keine Ahnung. Von Kindheit an sind die zukünftigen


der gegen die bitterböse Verleumdung weiter nicht appelliren konnte.
— Nach dem ersten Acte nahm der jugendliche Nachkomme des „Weit¬
gereisten" die Ohren des Publicums in Beschlag und erzählte mit
unvergleichlicher Zungenfertigkeit und in gebührend epischer Breite
vom ehemaligen Hamburger Theater. Es war natürlich, als er dar¬
auf den Uebergang zum heutigen Spiele machte, daß ihn solches nicht
in allen Stücken „contentirt"; er hatte die Stellung der Coulissen ein
wenig anders gewünscht, — der' Vorhang hätte präciser aufgezogen
werden müssen und der Held die wattirter Waden nicht so dick auf¬
tragen sollen. Kein Prophet ist je gläubiger gehört worden. Jeder
war nun überzeugt, daß Manches mangelhaft gewesen. Als Alles zu
Ende war, gingen die jungen Leute und einige unordentliche Ehemän¬
ner noch nach der Ressource. Hatte die Gegenwart der Frauen manche
Unzierlichkeit im Theater zurückgehalten, so war jetzt kein Damm mehr
und bald wälzte man sich ganz eigentlich im Kothe. Der Hamburger
— wie ich ihn der Kürze wegen nennen will — führte auch da mit seiner
Zunge das große Wort. Sein glücklicher Ahne mußte ein arger Schalk
gewesen sein, versteht sich mit Zopf und Perrücke, — denn mit wel¬
cher Geschicklichkeit der es verstanden, sich in die Herzen sämmtlicher
Statistinnen, ja sogar in das einer redenden Rolle, damals in
Hamburg einzuschletchen, war auch den jetzigen Zuhörern wunderbar.
Da hatte er einer ein Paar Schuhe mit einer wohlduftenden Liebes¬
erklärung zugeschickt und manche Resultate dadmch errungen, bei
einer andern hatten ein Paar Strümpfe init dito Liebeserklärung glei¬
ches Wohlgefallen an dem schmachtenden Jüngling hervorgebracht u.
s> w. „ES hat ihm manchen harten Thaler gekostet, klagt der erzäh¬
lende Enkel, war aber dafür ein lustiger und gescheidter Bursche mein
Großvater — wußte, wo Barthel Most holt." Es war spät in der
Nacht, als man sich mit dem stillen Wunsche trennte, gleiche Erfolge
bei den neu angekommenen Schauspielerinnen zu erringen. Und daS
waren keine Statistinnen I —


V.

Als eine Lichtseite der Kleinstädterei wird gewöhnlich das Fami¬
lienleben hervorgehoben. El, nun ja, die Leute haben meist nur legi¬
time Kinder, sind auch, was man so nennt, gute Gatten und Väter
und die Weiber ebenso gute Gattinnen und Mütter, aber damit ist's
auch schon am Ende. Von einer sittlichen Bedeutung der Ehe haben
sie gradezu keine Ahnung. Von Kindheit an sind die zukünftigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/492>, abgerufen am 24.11.2024.