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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Freuden der ewig herrlichen Poesie der Natur. Heitrer als seit Wochen
ging ich wieder über die nil"-2" liet vuomo. Siehe, da schritten zwei
lustige Italienerinnen, laut sprechend und lachend, an mir vorüber. Ich
sah ihnen in's Gesicht -- in der That, das war Italien in seiner
schönsten Offenbarung. Ich verließ sie nicht wieder und folgte ihnen
auf allen krummen Wegen, die sie in ihrer Laune einschlugen und die
immer mehr irrlichterartig wurden, sobald sie bemerften, daß sie ein
Mann verfolgte. Unter den Arcaden, die sich rechts vom Dome in
eine Gasse hineinziehen, blieben sie vor einem Juweliergewölbe stehen
und betrachteten mit mädchenhaft lüsternen Augen all' die hundert
schönen Sachen, die da schimmernd ausgelegt waren. Ich stellte mich
hinter sie und beobachtete sie im Spiegel des Auslegekastens. Die
schlankere, und wie es schien die ältere, war es, die mich am meisten
fesselte. Sie war nicht sehr schön, aber eine Italienerin durch und
durch. Ihre Augen glänzten mitten aus den Juwelen heraus, als
wären es die herrlichsten Diamanten. Ihr Gesicht war dunkelbraun
und hatte etwas von jenem altklassischer, ausgegrabenen Marmor,
der den Statuen den düstern Ernst und das geheimnißvolle Leben gibt.
Als sie die schimmernden Juwelen betrachtete, flog von Zeit zu Zeit
ein so sonderbarer Zug darüber hin, daß man erschrak; man sah ihr
an, sie wäre im Stande, Manches zu thun, was in der bürgerlichen
Welt für unmoralisch gilt, nur um eins der kleinen Dinge in ihr schö¬
nes, dickes, blauschimmernd-schwarzes Haar stecken zu können. Um die
vollen Flechten, die die große silberne Nadel nur mit Mühe zusam¬
menhielt, schlang sich ein schwarzes Spitzennctz, das als Schleier über
die linke Schulter herabfiel. Ein kurzes, braunes Kleid ließ die nied¬
lichsten Füßchen von der Welt erblicken und um die Arme schlangen
sich, etwas wild, rothcorallene Armbänder, die bei jeder Bewegung wie
Castagnetten zusammenklappten. In der Hand trug sie einen riesigen
Fächer, mit dem sie trotz einer Sevillanerin zu manövriren wußte.
Sobald sie mich im Spiegel hinter sich erblickte, begann sie ihn mit
1v bewundernswürdiger Geschicklichkeit zu handhaben, daß ich bald ihr
scyarses Profil, bald nur ihre Stirne, bald ihr ganzes, wildbewegteö,
aber stets lächelndes Gesicht zu sehen bekam. Am liebsten hielt sie
den Fächer wie eine halbe Maske bis an die Augen, oder so, daß ich
keinen Strahl derselben erblicken konnte und mich nur mit den glän¬
zend weißen, lächelnden Zähnen begnügen mußte. Dann mit einem
Male fiel er wieder gänzlich und sie ließ alle Reize ihres herrlichen
Gesichtes auf einmal spielen und ergötzte sich an der überraschten


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Freuden der ewig herrlichen Poesie der Natur. Heitrer als seit Wochen
ging ich wieder über die nil»-2» liet vuomo. Siehe, da schritten zwei
lustige Italienerinnen, laut sprechend und lachend, an mir vorüber. Ich
sah ihnen in's Gesicht — in der That, das war Italien in seiner
schönsten Offenbarung. Ich verließ sie nicht wieder und folgte ihnen
auf allen krummen Wegen, die sie in ihrer Laune einschlugen und die
immer mehr irrlichterartig wurden, sobald sie bemerften, daß sie ein
Mann verfolgte. Unter den Arcaden, die sich rechts vom Dome in
eine Gasse hineinziehen, blieben sie vor einem Juweliergewölbe stehen
und betrachteten mit mädchenhaft lüsternen Augen all' die hundert
schönen Sachen, die da schimmernd ausgelegt waren. Ich stellte mich
hinter sie und beobachtete sie im Spiegel des Auslegekastens. Die
schlankere, und wie es schien die ältere, war es, die mich am meisten
fesselte. Sie war nicht sehr schön, aber eine Italienerin durch und
durch. Ihre Augen glänzten mitten aus den Juwelen heraus, als
wären es die herrlichsten Diamanten. Ihr Gesicht war dunkelbraun
und hatte etwas von jenem altklassischer, ausgegrabenen Marmor,
der den Statuen den düstern Ernst und das geheimnißvolle Leben gibt.
Als sie die schimmernden Juwelen betrachtete, flog von Zeit zu Zeit
ein so sonderbarer Zug darüber hin, daß man erschrak; man sah ihr
an, sie wäre im Stande, Manches zu thun, was in der bürgerlichen
Welt für unmoralisch gilt, nur um eins der kleinen Dinge in ihr schö¬
nes, dickes, blauschimmernd-schwarzes Haar stecken zu können. Um die
vollen Flechten, die die große silberne Nadel nur mit Mühe zusam¬
menhielt, schlang sich ein schwarzes Spitzennctz, das als Schleier über
die linke Schulter herabfiel. Ein kurzes, braunes Kleid ließ die nied¬
lichsten Füßchen von der Welt erblicken und um die Arme schlangen
sich, etwas wild, rothcorallene Armbänder, die bei jeder Bewegung wie
Castagnetten zusammenklappten. In der Hand trug sie einen riesigen
Fächer, mit dem sie trotz einer Sevillanerin zu manövriren wußte.
Sobald sie mich im Spiegel hinter sich erblickte, begann sie ihn mit
1v bewundernswürdiger Geschicklichkeit zu handhaben, daß ich bald ihr
scyarses Profil, bald nur ihre Stirne, bald ihr ganzes, wildbewegteö,
aber stets lächelndes Gesicht zu sehen bekam. Am liebsten hielt sie
den Fächer wie eine halbe Maske bis an die Augen, oder so, daß ich
keinen Strahl derselben erblicken konnte und mich nur mit den glän¬
zend weißen, lächelnden Zähnen begnügen mußte. Dann mit einem
Male fiel er wieder gänzlich und sie ließ alle Reize ihres herrlichen
Gesichtes auf einmal spielen und ergötzte sich an der überraschten


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[0435] Freuden der ewig herrlichen Poesie der Natur. Heitrer als seit Wochen ging ich wieder über die nil»-2» liet vuomo. Siehe, da schritten zwei lustige Italienerinnen, laut sprechend und lachend, an mir vorüber. Ich sah ihnen in's Gesicht — in der That, das war Italien in seiner schönsten Offenbarung. Ich verließ sie nicht wieder und folgte ihnen auf allen krummen Wegen, die sie in ihrer Laune einschlugen und die immer mehr irrlichterartig wurden, sobald sie bemerften, daß sie ein Mann verfolgte. Unter den Arcaden, die sich rechts vom Dome in eine Gasse hineinziehen, blieben sie vor einem Juweliergewölbe stehen und betrachteten mit mädchenhaft lüsternen Augen all' die hundert schönen Sachen, die da schimmernd ausgelegt waren. Ich stellte mich hinter sie und beobachtete sie im Spiegel des Auslegekastens. Die schlankere, und wie es schien die ältere, war es, die mich am meisten fesselte. Sie war nicht sehr schön, aber eine Italienerin durch und durch. Ihre Augen glänzten mitten aus den Juwelen heraus, als wären es die herrlichsten Diamanten. Ihr Gesicht war dunkelbraun und hatte etwas von jenem altklassischer, ausgegrabenen Marmor, der den Statuen den düstern Ernst und das geheimnißvolle Leben gibt. Als sie die schimmernden Juwelen betrachtete, flog von Zeit zu Zeit ein so sonderbarer Zug darüber hin, daß man erschrak; man sah ihr an, sie wäre im Stande, Manches zu thun, was in der bürgerlichen Welt für unmoralisch gilt, nur um eins der kleinen Dinge in ihr schö¬ nes, dickes, blauschimmernd-schwarzes Haar stecken zu können. Um die vollen Flechten, die die große silberne Nadel nur mit Mühe zusam¬ menhielt, schlang sich ein schwarzes Spitzennctz, das als Schleier über die linke Schulter herabfiel. Ein kurzes, braunes Kleid ließ die nied¬ lichsten Füßchen von der Welt erblicken und um die Arme schlangen sich, etwas wild, rothcorallene Armbänder, die bei jeder Bewegung wie Castagnetten zusammenklappten. In der Hand trug sie einen riesigen Fächer, mit dem sie trotz einer Sevillanerin zu manövriren wußte. Sobald sie mich im Spiegel hinter sich erblickte, begann sie ihn mit 1v bewundernswürdiger Geschicklichkeit zu handhaben, daß ich bald ihr scyarses Profil, bald nur ihre Stirne, bald ihr ganzes, wildbewegteö, aber stets lächelndes Gesicht zu sehen bekam. Am liebsten hielt sie den Fächer wie eine halbe Maske bis an die Augen, oder so, daß ich keinen Strahl derselben erblicken konnte und mich nur mit den glän¬ zend weißen, lächelnden Zähnen begnügen mußte. Dann mit einem Male fiel er wieder gänzlich und sie ließ alle Reize ihres herrlichen Gesichtes auf einmal spielen und ergötzte sich an der überraschten 54»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/435>, abgerufen am 27.11.2024.