Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

günstige Anschauungsweise der meisten wiener Berichterstatter in Betreff
des Gesetzes über das summarische Rechtsverfahren bei Civilklagen bis
zu 200 si. und so wenig wir auch Grund finden mögen, die von ihr
angedeuteten Mangel dieser Mündlichkeit in Zweifel zu ziehen, so können
wir doch nicht glauben, daß damit der Siehe selbst der Stab gebrochen
sei, denn es handelt sich bei dem bekannten Zustand des österreichischen
Staatslebens ohne Widerrede mehr um die Anregung als um die Schö¬
pfung, mehr um die Concession, als um den Werth derselben. Hat sich
das Gewährte einmal in dem beschränkten Kreise, der ihm vorerst ange¬
wiesen ist, als praktisch tüchtig und geradezu unschädlich erwiesen, so hat
das probeweise adopcirte Princip gewiß eine, vielleicht anfangs gar nicht
beabsichtigte Ausdehnung in der Praxis zu erwarten (?); auch der zweite
Theil des Einwurfs, die Gefahr richterlicher Willkür betreffend und den
Grundsatz bewahrend, daß es auch dem Armen weniger um eine schnelle,
als um eine gerechte Justizhandlung zu thun sei, zerfallt an dem Beden¬
ken, daß es den Parteien ja gestattet ist, sich durch rechtskundige Perso¬
nen vertreten zu lassen und das Vorkommniß mehrfacher Mißbräuche in
Bezug auf die richterliche Gewalt in dieser Hinsicht eine Einrichtung
getroffen werden dürfte, wodurch die befürchtete Willkür beengt und doch
dabei das Princip der Mündlichkeit als solche gerettet und einer künsti¬
gen*) Entwickelung vorbehalten bliebe.

Die Vermählung des Dichters Hebbel mit der Hofschauspielerin
Enghaus, die mit 4000 si. auf Lebenszeit am Burgtheater engagirt ist,
wurde heute vollzogen und Hebbel gedenkt, nach seiner Reise nach Berlin,
hierorts seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Die Auszeichnung, welche dem
gemüthlichen Sänger Castelli vom Könige von Dänemark zu Theil wurde,
dürfte Ihnen bereits bekannt sein, weniger aber, daß der Hoforganist
Sechter, ein alter Musikus und ausgezeichneter Contrapunktist, der sich
nie über Reichthum an Glücksgütern beklagen konnte, plötzlich durch das
Testament eines Engländers, Namens Lindley, der einst sein Schüler
gewesen, ein wohlhabender Mann geworden.

Die hiesigen Hausbesitzer haben überdies die strengste Weisung er¬
halten alle jene Gassenläden, welche nicht in Wirklichkeit zu Verkaufs¬
zwecken benutzt werden, binnen drei Monaten umzugestalten, d. h. die
auf die Straße gehende Thüre in ein Fenster zu verwandeln, oder ganz
zu vermauern, da es sich gezeigt hat, daß in diesen durch Niemand con-
trollirten Localitäten, welche sehr häufig blos als Wohnungen benutzt
werden, viel unterstandsloses Gesindel sich über Nacht aufhielt und so
der obrigkeitlichen Nachforschung entzog, was mit einem geordneten Si-
cherhcitszustand unverträglich ist.


Die Red.



Verlag von Fv. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich AndrS.
Künftig! und immerhin künftig!

günstige Anschauungsweise der meisten wiener Berichterstatter in Betreff
des Gesetzes über das summarische Rechtsverfahren bei Civilklagen bis
zu 200 si. und so wenig wir auch Grund finden mögen, die von ihr
angedeuteten Mangel dieser Mündlichkeit in Zweifel zu ziehen, so können
wir doch nicht glauben, daß damit der Siehe selbst der Stab gebrochen
sei, denn es handelt sich bei dem bekannten Zustand des österreichischen
Staatslebens ohne Widerrede mehr um die Anregung als um die Schö¬
pfung, mehr um die Concession, als um den Werth derselben. Hat sich
das Gewährte einmal in dem beschränkten Kreise, der ihm vorerst ange¬
wiesen ist, als praktisch tüchtig und geradezu unschädlich erwiesen, so hat
das probeweise adopcirte Princip gewiß eine, vielleicht anfangs gar nicht
beabsichtigte Ausdehnung in der Praxis zu erwarten (?); auch der zweite
Theil des Einwurfs, die Gefahr richterlicher Willkür betreffend und den
Grundsatz bewahrend, daß es auch dem Armen weniger um eine schnelle,
als um eine gerechte Justizhandlung zu thun sei, zerfallt an dem Beden¬
ken, daß es den Parteien ja gestattet ist, sich durch rechtskundige Perso¬
nen vertreten zu lassen und das Vorkommniß mehrfacher Mißbräuche in
Bezug auf die richterliche Gewalt in dieser Hinsicht eine Einrichtung
getroffen werden dürfte, wodurch die befürchtete Willkür beengt und doch
dabei das Princip der Mündlichkeit als solche gerettet und einer künsti¬
gen*) Entwickelung vorbehalten bliebe.

Die Vermählung des Dichters Hebbel mit der Hofschauspielerin
Enghaus, die mit 4000 si. auf Lebenszeit am Burgtheater engagirt ist,
wurde heute vollzogen und Hebbel gedenkt, nach seiner Reise nach Berlin,
hierorts seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Die Auszeichnung, welche dem
gemüthlichen Sänger Castelli vom Könige von Dänemark zu Theil wurde,
dürfte Ihnen bereits bekannt sein, weniger aber, daß der Hoforganist
Sechter, ein alter Musikus und ausgezeichneter Contrapunktist, der sich
nie über Reichthum an Glücksgütern beklagen konnte, plötzlich durch das
Testament eines Engländers, Namens Lindley, der einst sein Schüler
gewesen, ein wohlhabender Mann geworden.

Die hiesigen Hausbesitzer haben überdies die strengste Weisung er¬
halten alle jene Gassenläden, welche nicht in Wirklichkeit zu Verkaufs¬
zwecken benutzt werden, binnen drei Monaten umzugestalten, d. h. die
auf die Straße gehende Thüre in ein Fenster zu verwandeln, oder ganz
zu vermauern, da es sich gezeigt hat, daß in diesen durch Niemand con-
trollirten Localitäten, welche sehr häufig blos als Wohnungen benutzt
werden, viel unterstandsloses Gesindel sich über Nacht aufhielt und so
der obrigkeitlichen Nachforschung entzog, was mit einem geordneten Si-
cherhcitszustand unverträglich ist.


Die Red.



Verlag von Fv. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich AndrS.
Künftig! und immerhin künftig!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182839"/>
            <p xml:id="ID_1192" prev="#ID_1191"> günstige Anschauungsweise der meisten wiener Berichterstatter in Betreff<lb/>
des Gesetzes über das summarische Rechtsverfahren bei Civilklagen bis<lb/>
zu 200 si. und so wenig wir auch Grund finden mögen, die von ihr<lb/>
angedeuteten Mangel dieser Mündlichkeit in Zweifel zu ziehen, so können<lb/>
wir doch nicht glauben, daß damit der Siehe selbst der Stab gebrochen<lb/>
sei, denn es handelt sich bei dem bekannten Zustand des österreichischen<lb/>
Staatslebens ohne Widerrede mehr um die Anregung als um die Schö¬<lb/>
pfung, mehr um die Concession, als um den Werth derselben. Hat sich<lb/>
das Gewährte einmal in dem beschränkten Kreise, der ihm vorerst ange¬<lb/>
wiesen ist, als praktisch tüchtig und geradezu unschädlich erwiesen, so hat<lb/>
das probeweise adopcirte Princip gewiß eine, vielleicht anfangs gar nicht<lb/>
beabsichtigte Ausdehnung in der Praxis zu erwarten (?); auch der zweite<lb/>
Theil des Einwurfs, die Gefahr richterlicher Willkür betreffend und den<lb/>
Grundsatz bewahrend, daß es auch dem Armen weniger um eine schnelle,<lb/>
als um eine gerechte Justizhandlung zu thun sei, zerfallt an dem Beden¬<lb/>
ken, daß es den Parteien ja gestattet ist, sich durch rechtskundige Perso¬<lb/>
nen vertreten zu lassen und das Vorkommniß mehrfacher Mißbräuche in<lb/>
Bezug auf die richterliche Gewalt in dieser Hinsicht eine Einrichtung<lb/>
getroffen werden dürfte, wodurch die befürchtete Willkür beengt und doch<lb/>
dabei das Princip der Mündlichkeit als solche gerettet und einer künsti¬<lb/>
gen*) Entwickelung vorbehalten bliebe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1193"> Die Vermählung des Dichters Hebbel mit der Hofschauspielerin<lb/>
Enghaus, die mit 4000 si. auf Lebenszeit am Burgtheater engagirt ist,<lb/>
wurde heute vollzogen und Hebbel gedenkt, nach seiner Reise nach Berlin,<lb/>
hierorts seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Die Auszeichnung, welche dem<lb/>
gemüthlichen Sänger Castelli vom Könige von Dänemark zu Theil wurde,<lb/>
dürfte Ihnen bereits bekannt sein, weniger aber, daß der Hoforganist<lb/>
Sechter, ein alter Musikus und ausgezeichneter Contrapunktist, der sich<lb/>
nie über Reichthum an Glücksgütern beklagen konnte, plötzlich durch das<lb/>
Testament eines Engländers, Namens Lindley, der einst sein Schüler<lb/>
gewesen, ein wohlhabender Mann geworden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1194"> Die hiesigen Hausbesitzer haben überdies die strengste Weisung er¬<lb/>
halten alle jene Gassenläden, welche nicht in Wirklichkeit zu Verkaufs¬<lb/>
zwecken benutzt werden, binnen drei Monaten umzugestalten, d. h. die<lb/>
auf die Straße gehende Thüre in ein Fenster zu verwandeln, oder ganz<lb/>
zu vermauern, da es sich gezeigt hat, daß in diesen durch Niemand con-<lb/>
trollirten Localitäten, welche sehr häufig blos als Wohnungen benutzt<lb/>
werden, viel unterstandsloses Gesindel sich über Nacht aufhielt und so<lb/>
der obrigkeitlichen Nachforschung entzog, was mit einem geordneten Si-<lb/>
cherhcitszustand unverträglich ist.</p><lb/>
            <note type="byline"> Die Red.</note><lb/>
            <note xml:id="FID_32" place="foot"> Künftig! und immerhin künftig!</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <note type="byline"> Verlag von Fv. Ludw. Herbig. &#x2014; Redacteur I. Kuranda.<lb/>
Druck von Friedrich AndrS.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0416] günstige Anschauungsweise der meisten wiener Berichterstatter in Betreff des Gesetzes über das summarische Rechtsverfahren bei Civilklagen bis zu 200 si. und so wenig wir auch Grund finden mögen, die von ihr angedeuteten Mangel dieser Mündlichkeit in Zweifel zu ziehen, so können wir doch nicht glauben, daß damit der Siehe selbst der Stab gebrochen sei, denn es handelt sich bei dem bekannten Zustand des österreichischen Staatslebens ohne Widerrede mehr um die Anregung als um die Schö¬ pfung, mehr um die Concession, als um den Werth derselben. Hat sich das Gewährte einmal in dem beschränkten Kreise, der ihm vorerst ange¬ wiesen ist, als praktisch tüchtig und geradezu unschädlich erwiesen, so hat das probeweise adopcirte Princip gewiß eine, vielleicht anfangs gar nicht beabsichtigte Ausdehnung in der Praxis zu erwarten (?); auch der zweite Theil des Einwurfs, die Gefahr richterlicher Willkür betreffend und den Grundsatz bewahrend, daß es auch dem Armen weniger um eine schnelle, als um eine gerechte Justizhandlung zu thun sei, zerfallt an dem Beden¬ ken, daß es den Parteien ja gestattet ist, sich durch rechtskundige Perso¬ nen vertreten zu lassen und das Vorkommniß mehrfacher Mißbräuche in Bezug auf die richterliche Gewalt in dieser Hinsicht eine Einrichtung getroffen werden dürfte, wodurch die befürchtete Willkür beengt und doch dabei das Princip der Mündlichkeit als solche gerettet und einer künsti¬ gen*) Entwickelung vorbehalten bliebe. Die Vermählung des Dichters Hebbel mit der Hofschauspielerin Enghaus, die mit 4000 si. auf Lebenszeit am Burgtheater engagirt ist, wurde heute vollzogen und Hebbel gedenkt, nach seiner Reise nach Berlin, hierorts seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Die Auszeichnung, welche dem gemüthlichen Sänger Castelli vom Könige von Dänemark zu Theil wurde, dürfte Ihnen bereits bekannt sein, weniger aber, daß der Hoforganist Sechter, ein alter Musikus und ausgezeichneter Contrapunktist, der sich nie über Reichthum an Glücksgütern beklagen konnte, plötzlich durch das Testament eines Engländers, Namens Lindley, der einst sein Schüler gewesen, ein wohlhabender Mann geworden. Die hiesigen Hausbesitzer haben überdies die strengste Weisung er¬ halten alle jene Gassenläden, welche nicht in Wirklichkeit zu Verkaufs¬ zwecken benutzt werden, binnen drei Monaten umzugestalten, d. h. die auf die Straße gehende Thüre in ein Fenster zu verwandeln, oder ganz zu vermauern, da es sich gezeigt hat, daß in diesen durch Niemand con- trollirten Localitäten, welche sehr häufig blos als Wohnungen benutzt werden, viel unterstandsloses Gesindel sich über Nacht aufhielt und so der obrigkeitlichen Nachforschung entzog, was mit einem geordneten Si- cherhcitszustand unverträglich ist. Die Red. Verlag von Fv. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich AndrS. Künftig! und immerhin künftig!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/416
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/416>, abgerufen am 23.07.2024.