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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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scheint auch ein Bericht über jenen Vorfall mit angelangt zu sein. We¬
nigstens nahm der Polizeioirector von Stettin den Grafen sogleich bei
seiner Ankunft unter Aufsicht, und, trotz der Vorzeigung seiner Karte und
mannichfacher Rechnungen auf seinen Namen, wurde er als verdächtig, ein
polnischer Flüchtling zu sein, angehalten. In dieser Verlegenheit erin¬
nert sich Graf Kaiserling, daß der gegenwartig in Stettin commandi-
rende General früher in Königsberg stand, wo Graf Kaiserling, der da¬
mals bei der Landwehr als Unteroffizier stand, zu einem großen militä¬
rischen Diner bei ihm geladen war. Obgleich dazwischen mehrere Jahre
lagen, und eine so flüchtige Berührung allerdings kaum eine bleibende
Erinnerung und Wiedererkennen voraussetzen ließ, so hoffte Graf K. sich
dennoch vielleicht im Gedachtnisse des Generals zurückrufen zu können,
da er mit dessen Sohn in Bonn studirt und in Folge dessen bei jenen"
Diner eine Eonvcrsation von nicht ganz flüchtiger Art mit dem General
hatte. Der Polizeioirector ließ den Grafen in Begleitung eines Polizi¬
sten zum commandirenden General führen. Dort angelangt begann der
Graf seine Angelegenheit auseinander setzen zu wollen, aber da der
Polizist zu gleicher Zeit seine Rede begann, so gebot der General Er¬
sterem Stillschweigen, um zuerst den Polizisten ausreden zu lassen.
Als dieser endlich fertig war, versuchte Graf Kaiserling, der ein Mann
von stattlicher imposanter Gestalt ist, unglücklicher Weise aber einen
großen Bart trägt, sich dem General zu erkennen zu geben. Aber die
Excellenz erinnerte sich an nichts und brach kurz alle Conversation
(während welcher dem in peinlicher Verlegenheit sich befindende" Gra¬
fen kein Stuhl zum Sitzen angeboten wurde) mit den zum Polizisten
gerichteten Worten ab: Sagen Sie, daß man diesen Mann per
Transport nach Berlin zu schicken habe. Nur mit einiger Mühe gelang
es dem Grafen den Polizeidirector zu bewegen, ihm 24 Stunden zu
schenken, weit innerhalb derselben der Paß wahrscheinlich anlangen werde.
Am andern Tage kam richtig der Paß an. --

Was wir hier erzählen, haben wir buchstäblich aus dem Munde
des Grafen Kaiserling, der die Redaction dieser Blätter ersuchte, sie zur
Veröffentlichung zu bringen. Wir haben nur eine Reflexion an diese
Geschichte zu knüpfen. Gesetze, der Graf wäre wirklich ein flüchtiger Pole
gewesen, ist es nicht eine Pflicht der Humanität, einen Mann, der
noch nicht in Untersuchung ist und der, wenn er auch zur Untersuchung
käme, noch nicht schuldig sein muß und wenn er, auch schuldig erkannt
würde, immer doch kein gemeiner Verbrecher, kein Dieb und Mörder ist
mit Milde und mit jener Schonung entgegen zu kommen, die dem Un¬
glück doppelt gebührt? Wie mag es dem wirklich Schuldigen erst er¬
gehen, wenn man schon Denjenigen, der blos verdächtigt ist, ein Ver¬
dächtiger zu sein, in obiger Weise behandelt!




Verlag von Fr. Ludw. Hevbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

scheint auch ein Bericht über jenen Vorfall mit angelangt zu sein. We¬
nigstens nahm der Polizeioirector von Stettin den Grafen sogleich bei
seiner Ankunft unter Aufsicht, und, trotz der Vorzeigung seiner Karte und
mannichfacher Rechnungen auf seinen Namen, wurde er als verdächtig, ein
polnischer Flüchtling zu sein, angehalten. In dieser Verlegenheit erin¬
nert sich Graf Kaiserling, daß der gegenwartig in Stettin commandi-
rende General früher in Königsberg stand, wo Graf Kaiserling, der da¬
mals bei der Landwehr als Unteroffizier stand, zu einem großen militä¬
rischen Diner bei ihm geladen war. Obgleich dazwischen mehrere Jahre
lagen, und eine so flüchtige Berührung allerdings kaum eine bleibende
Erinnerung und Wiedererkennen voraussetzen ließ, so hoffte Graf K. sich
dennoch vielleicht im Gedachtnisse des Generals zurückrufen zu können,
da er mit dessen Sohn in Bonn studirt und in Folge dessen bei jenen»
Diner eine Eonvcrsation von nicht ganz flüchtiger Art mit dem General
hatte. Der Polizeioirector ließ den Grafen in Begleitung eines Polizi¬
sten zum commandirenden General führen. Dort angelangt begann der
Graf seine Angelegenheit auseinander setzen zu wollen, aber da der
Polizist zu gleicher Zeit seine Rede begann, so gebot der General Er¬
sterem Stillschweigen, um zuerst den Polizisten ausreden zu lassen.
Als dieser endlich fertig war, versuchte Graf Kaiserling, der ein Mann
von stattlicher imposanter Gestalt ist, unglücklicher Weise aber einen
großen Bart trägt, sich dem General zu erkennen zu geben. Aber die
Excellenz erinnerte sich an nichts und brach kurz alle Conversation
(während welcher dem in peinlicher Verlegenheit sich befindende» Gra¬
fen kein Stuhl zum Sitzen angeboten wurde) mit den zum Polizisten
gerichteten Worten ab: Sagen Sie, daß man diesen Mann per
Transport nach Berlin zu schicken habe. Nur mit einiger Mühe gelang
es dem Grafen den Polizeidirector zu bewegen, ihm 24 Stunden zu
schenken, weit innerhalb derselben der Paß wahrscheinlich anlangen werde.
Am andern Tage kam richtig der Paß an. —

Was wir hier erzählen, haben wir buchstäblich aus dem Munde
des Grafen Kaiserling, der die Redaction dieser Blätter ersuchte, sie zur
Veröffentlichung zu bringen. Wir haben nur eine Reflexion an diese
Geschichte zu knüpfen. Gesetze, der Graf wäre wirklich ein flüchtiger Pole
gewesen, ist es nicht eine Pflicht der Humanität, einen Mann, der
noch nicht in Untersuchung ist und der, wenn er auch zur Untersuchung
käme, noch nicht schuldig sein muß und wenn er, auch schuldig erkannt
würde, immer doch kein gemeiner Verbrecher, kein Dieb und Mörder ist
mit Milde und mit jener Schonung entgegen zu kommen, die dem Un¬
glück doppelt gebührt? Wie mag es dem wirklich Schuldigen erst er¬
gehen, wenn man schon Denjenigen, der blos verdächtigt ist, ein Ver¬
dächtiger zu sein, in obiger Weise behandelt!




Verlag von Fr. Ludw. Hevbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0328] scheint auch ein Bericht über jenen Vorfall mit angelangt zu sein. We¬ nigstens nahm der Polizeioirector von Stettin den Grafen sogleich bei seiner Ankunft unter Aufsicht, und, trotz der Vorzeigung seiner Karte und mannichfacher Rechnungen auf seinen Namen, wurde er als verdächtig, ein polnischer Flüchtling zu sein, angehalten. In dieser Verlegenheit erin¬ nert sich Graf Kaiserling, daß der gegenwartig in Stettin commandi- rende General früher in Königsberg stand, wo Graf Kaiserling, der da¬ mals bei der Landwehr als Unteroffizier stand, zu einem großen militä¬ rischen Diner bei ihm geladen war. Obgleich dazwischen mehrere Jahre lagen, und eine so flüchtige Berührung allerdings kaum eine bleibende Erinnerung und Wiedererkennen voraussetzen ließ, so hoffte Graf K. sich dennoch vielleicht im Gedachtnisse des Generals zurückrufen zu können, da er mit dessen Sohn in Bonn studirt und in Folge dessen bei jenen» Diner eine Eonvcrsation von nicht ganz flüchtiger Art mit dem General hatte. Der Polizeioirector ließ den Grafen in Begleitung eines Polizi¬ sten zum commandirenden General führen. Dort angelangt begann der Graf seine Angelegenheit auseinander setzen zu wollen, aber da der Polizist zu gleicher Zeit seine Rede begann, so gebot der General Er¬ sterem Stillschweigen, um zuerst den Polizisten ausreden zu lassen. Als dieser endlich fertig war, versuchte Graf Kaiserling, der ein Mann von stattlicher imposanter Gestalt ist, unglücklicher Weise aber einen großen Bart trägt, sich dem General zu erkennen zu geben. Aber die Excellenz erinnerte sich an nichts und brach kurz alle Conversation (während welcher dem in peinlicher Verlegenheit sich befindende» Gra¬ fen kein Stuhl zum Sitzen angeboten wurde) mit den zum Polizisten gerichteten Worten ab: Sagen Sie, daß man diesen Mann per Transport nach Berlin zu schicken habe. Nur mit einiger Mühe gelang es dem Grafen den Polizeidirector zu bewegen, ihm 24 Stunden zu schenken, weit innerhalb derselben der Paß wahrscheinlich anlangen werde. Am andern Tage kam richtig der Paß an. — Was wir hier erzählen, haben wir buchstäblich aus dem Munde des Grafen Kaiserling, der die Redaction dieser Blätter ersuchte, sie zur Veröffentlichung zu bringen. Wir haben nur eine Reflexion an diese Geschichte zu knüpfen. Gesetze, der Graf wäre wirklich ein flüchtiger Pole gewesen, ist es nicht eine Pflicht der Humanität, einen Mann, der noch nicht in Untersuchung ist und der, wenn er auch zur Untersuchung käme, noch nicht schuldig sein muß und wenn er, auch schuldig erkannt würde, immer doch kein gemeiner Verbrecher, kein Dieb und Mörder ist mit Milde und mit jener Schonung entgegen zu kommen, die dem Un¬ glück doppelt gebührt? Wie mag es dem wirklich Schuldigen erst er¬ gehen, wenn man schon Denjenigen, der blos verdächtigt ist, ein Ver¬ dächtiger zu sein, in obiger Weise behandelt! Verlag von Fr. Ludw. Hevbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/328>, abgerufen am 23.07.2024.