Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band."Hier waltet ein eigenthümlicher Irrthum; ich versichere Ihnen, "Das thut durchaus nichts zur Sache," -- fuhr jener heftig Noch denselben Abend hieß es im Casino: Dr. Richard ist ver¬ III. Nördlich vom Städtchen schlängelt sich ein Wiesenthal längs den "Das ist Reichenau," -- erwiderte sie in augenscheinlicher Verwun¬ "Nein, ich bin aus M. und erst seit einiger Zeit in dem "Du gülden Kind," -- nahm sie er treuherziger Geschwätzigkeit „Hier waltet ein eigenthümlicher Irrthum; ich versichere Ihnen, „Das thut durchaus nichts zur Sache," — fuhr jener heftig Noch denselben Abend hieß es im Casino: Dr. Richard ist ver¬ III. Nördlich vom Städtchen schlängelt sich ein Wiesenthal längs den „Das ist Reichenau," — erwiderte sie in augenscheinlicher Verwun¬ „Nein, ich bin aus M. und erst seit einiger Zeit in dem „Du gülden Kind," — nahm sie er treuherziger Geschwätzigkeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182726"/> <p xml:id="ID_830"> „Hier waltet ein eigenthümlicher Irrthum; ich versichere Ihnen,<lb/> daß ich gar keine Tochter besitze, und — "</p><lb/> <p xml:id="ID_831"> „Das thut durchaus nichts zur Sache," — fuhr jener heftig<lb/> fort, — „meine Liebe steht dennoch fest, und beruht außerdem auf so<lb/> sichern Hcirathsprincipien, daß sie vor dem moralischen Richterstuhle<lb/> unserer ehrenwerthesten Hausfrauen bestehen kann. Bald mehr. —<lb/> Leben Sie wohl!"</p><lb/> <p xml:id="ID_832"> Noch denselben Abend hieß es im Casino: Dr. Richard ist ver¬<lb/> rückt. —</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> III.</head><lb/> <p xml:id="ID_833"> Nördlich vom Städtchen schlängelt sich ein Wiesenthal längs den<lb/> Krümmungen eines mit Erlen bewachsenen Baches hin. Zu beiden<lb/> Seiten erheben sich waldige Höhen, links weich und schwellend, rechts<lb/> schroff und steil. Auf dem Fußpfade, der an dem Bette deö Flüß-<lb/> chens hinläuft, finden wir zuerst Richard wieder, sein Auge ruht auf<lb/> dem vor ihm liegenden Weiler, dessen weiße Giebel nett und reinlich<lb/> zwischen den grünen Obstbäumen hervorblicken. Das reiche Früh¬<lb/> lingsleben, das über die Wiesen und Wälder ausgegossen war, feierte<lb/> den Morgen des ersten Pfingsttages in andächtiger Stille. Der Ge¬<lb/> sang der Lerche, der klare, blaue Morgenhimmel und vor allem die<lb/> glänzende Sonne, welche mit so milden, verklärenden Strahlen in<lb/> das erwachte Leben der Natur hereinschien, konnte dem stumpfsten All¬<lb/> tagsmenschen sage», daß heute Pfingsten war, selbst wenn es auch der<lb/> Kalender nicht ausgewiesen hätte. Ob auch in Richard's Innerem<lb/> Feiertagöglocken erklangen? — Er schritt emsig darauf los, und ver¬<lb/> lor das Dörfchen nicht aus dem Auge. Als er jetzt um eine Krüm¬<lb/> mung des Baches einbog, begegnete er einem alten Mütterchen, das<lb/> sonntäglich geputzt so langsam und behaglich über die Flur hinschlen¬<lb/> derte, daß man ihr ansah, sie besuchte heute das Feld nicht, um zu<lb/> arbeiten, Hitze und Mühe zu ertragen, sondern um sich auf einmal<lb/> sorglos an der schönen Natur zu erfreuen, wie die reichen Leute.<lb/> Richard fragte nach dem Namen des Weilers.</p><lb/> <p xml:id="ID_834"> „Das ist Reichenau," — erwiderte sie in augenscheinlicher Verwun¬<lb/> derung über diese Frage, — „Sie sind wohl nicht aus dieser Gegend,<lb/> daß Sie das nicht wissen?"</p><lb/> <p xml:id="ID_835"> „Nein, ich bin aus M. und erst seit einiger Zeit in dem<lb/> Städtchen." —</p><lb/> <p xml:id="ID_836" next="#ID_837"> „Du gülden Kind," — nahm sie er treuherziger Geschwätzigkeit</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0303]
„Hier waltet ein eigenthümlicher Irrthum; ich versichere Ihnen,
daß ich gar keine Tochter besitze, und — "
„Das thut durchaus nichts zur Sache," — fuhr jener heftig
fort, — „meine Liebe steht dennoch fest, und beruht außerdem auf so
sichern Hcirathsprincipien, daß sie vor dem moralischen Richterstuhle
unserer ehrenwerthesten Hausfrauen bestehen kann. Bald mehr. —
Leben Sie wohl!"
Noch denselben Abend hieß es im Casino: Dr. Richard ist ver¬
rückt. —
III.
Nördlich vom Städtchen schlängelt sich ein Wiesenthal längs den
Krümmungen eines mit Erlen bewachsenen Baches hin. Zu beiden
Seiten erheben sich waldige Höhen, links weich und schwellend, rechts
schroff und steil. Auf dem Fußpfade, der an dem Bette deö Flüß-
chens hinläuft, finden wir zuerst Richard wieder, sein Auge ruht auf
dem vor ihm liegenden Weiler, dessen weiße Giebel nett und reinlich
zwischen den grünen Obstbäumen hervorblicken. Das reiche Früh¬
lingsleben, das über die Wiesen und Wälder ausgegossen war, feierte
den Morgen des ersten Pfingsttages in andächtiger Stille. Der Ge¬
sang der Lerche, der klare, blaue Morgenhimmel und vor allem die
glänzende Sonne, welche mit so milden, verklärenden Strahlen in
das erwachte Leben der Natur hereinschien, konnte dem stumpfsten All¬
tagsmenschen sage», daß heute Pfingsten war, selbst wenn es auch der
Kalender nicht ausgewiesen hätte. Ob auch in Richard's Innerem
Feiertagöglocken erklangen? — Er schritt emsig darauf los, und ver¬
lor das Dörfchen nicht aus dem Auge. Als er jetzt um eine Krüm¬
mung des Baches einbog, begegnete er einem alten Mütterchen, das
sonntäglich geputzt so langsam und behaglich über die Flur hinschlen¬
derte, daß man ihr ansah, sie besuchte heute das Feld nicht, um zu
arbeiten, Hitze und Mühe zu ertragen, sondern um sich auf einmal
sorglos an der schönen Natur zu erfreuen, wie die reichen Leute.
Richard fragte nach dem Namen des Weilers.
„Das ist Reichenau," — erwiderte sie in augenscheinlicher Verwun¬
derung über diese Frage, — „Sie sind wohl nicht aus dieser Gegend,
daß Sie das nicht wissen?"
„Nein, ich bin aus M. und erst seit einiger Zeit in dem
Städtchen." —
„Du gülden Kind," — nahm sie er treuherziger Geschwätzigkeit
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