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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Gin Stücklein Menschenleben.
Novelle von Elaed Biskamp.



I.

In einem kleinen Städtchen, dessen Namen der Leser vergeblich
auf der Karte suchen würde, da es gar nicht,zur Geographie gehört,
bildete schon ein halbes Jahr lang ein junger Mann, den wir Richard
nennen wollen, das Tagesgespräch und das interessante Räthsel, des¬
sen Lösung sich alle Theegesellschaften zur Lebensaufgabe gestellt hat¬
ten. Wer ist dieser Sonderling, der Casino und Bälle verschmäht,
kaum weiß, ob er grüßen soll und dieses mit einer so impertinenten
Gleichgültigkeit thut, als wisse er durchaus nicht, wie gebildeten Da¬
men zu begegnen sei? Welches abgelebte Gesicht! -- fuhr man fort
-- er muß einen sehr unmoralischen Lebenswandel geführt haben. ---
Weitere Aufklärung vermochte man sich jedoch nicht zu verschaffen, und
der Herr Actuar, der es auf Veranlassung seiner Frau unternommen
hatte, etwas tiefer in das Vertrauen Richard's einzudringen, war auf
eine so schneidende Weise abgefertigt worden, daß allen übrigen der
Muth verging, ähnliche Versuche anzustellen. Die ehrsamen Matro¬
nen begnügten sich daher, seine Unmoralität und Bildungslosigkeit zu
detailliren. Bald konnte jedes Kind an den Fingern herzählen, wie
viel Duelle, Relegationeil und Liebesabenteuer (welche letztere er na¬
mentlich vu ^'"s betrieben haben sollte) der geheimnißvolle Fremde
während seines wüsten Universitätölebenö bestanden, wie viel Schul¬
den er hinterlassen und wie viel weise Ermahnungen er in den Wind
geschlagen hatte.

Dieses war die Stimmung, welche gerade in den höchsten Krei¬
sen der spießbürgerlichen Geselligkeit in kurzer Zeit allgemein wurde


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Gin Stücklein Menschenleben.
Novelle von Elaed Biskamp.



I.

In einem kleinen Städtchen, dessen Namen der Leser vergeblich
auf der Karte suchen würde, da es gar nicht,zur Geographie gehört,
bildete schon ein halbes Jahr lang ein junger Mann, den wir Richard
nennen wollen, das Tagesgespräch und das interessante Räthsel, des¬
sen Lösung sich alle Theegesellschaften zur Lebensaufgabe gestellt hat¬
ten. Wer ist dieser Sonderling, der Casino und Bälle verschmäht,
kaum weiß, ob er grüßen soll und dieses mit einer so impertinenten
Gleichgültigkeit thut, als wisse er durchaus nicht, wie gebildeten Da¬
men zu begegnen sei? Welches abgelebte Gesicht! — fuhr man fort
— er muß einen sehr unmoralischen Lebenswandel geführt haben. —-
Weitere Aufklärung vermochte man sich jedoch nicht zu verschaffen, und
der Herr Actuar, der es auf Veranlassung seiner Frau unternommen
hatte, etwas tiefer in das Vertrauen Richard's einzudringen, war auf
eine so schneidende Weise abgefertigt worden, daß allen übrigen der
Muth verging, ähnliche Versuche anzustellen. Die ehrsamen Matro¬
nen begnügten sich daher, seine Unmoralität und Bildungslosigkeit zu
detailliren. Bald konnte jedes Kind an den Fingern herzählen, wie
viel Duelle, Relegationeil und Liebesabenteuer (welche letztere er na¬
mentlich vu ^'»s betrieben haben sollte) der geheimnißvolle Fremde
während seines wüsten Universitätölebenö bestanden, wie viel Schul¬
den er hinterlassen und wie viel weise Ermahnungen er in den Wind
geschlagen hatte.

Dieses war die Stimmung, welche gerade in den höchsten Krei¬
sen der spießbürgerlichen Geselligkeit in kurzer Zeit allgemein wurde


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[0299] Gin Stücklein Menschenleben. Novelle von Elaed Biskamp. I. In einem kleinen Städtchen, dessen Namen der Leser vergeblich auf der Karte suchen würde, da es gar nicht,zur Geographie gehört, bildete schon ein halbes Jahr lang ein junger Mann, den wir Richard nennen wollen, das Tagesgespräch und das interessante Räthsel, des¬ sen Lösung sich alle Theegesellschaften zur Lebensaufgabe gestellt hat¬ ten. Wer ist dieser Sonderling, der Casino und Bälle verschmäht, kaum weiß, ob er grüßen soll und dieses mit einer so impertinenten Gleichgültigkeit thut, als wisse er durchaus nicht, wie gebildeten Da¬ men zu begegnen sei? Welches abgelebte Gesicht! — fuhr man fort — er muß einen sehr unmoralischen Lebenswandel geführt haben. —- Weitere Aufklärung vermochte man sich jedoch nicht zu verschaffen, und der Herr Actuar, der es auf Veranlassung seiner Frau unternommen hatte, etwas tiefer in das Vertrauen Richard's einzudringen, war auf eine so schneidende Weise abgefertigt worden, daß allen übrigen der Muth verging, ähnliche Versuche anzustellen. Die ehrsamen Matro¬ nen begnügten sich daher, seine Unmoralität und Bildungslosigkeit zu detailliren. Bald konnte jedes Kind an den Fingern herzählen, wie viel Duelle, Relegationeil und Liebesabenteuer (welche letztere er na¬ mentlich vu ^'»s betrieben haben sollte) der geheimnißvolle Fremde während seines wüsten Universitätölebenö bestanden, wie viel Schul¬ den er hinterlassen und wie viel weise Ermahnungen er in den Wind geschlagen hatte. Dieses war die Stimmung, welche gerade in den höchsten Krei¬ sen der spießbürgerlichen Geselligkeit in kurzer Zeit allgemein wurde 37-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/299>, abgerufen am 24.11.2024.