Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.verschieden, sie geht nic^t, wie diese, aus dem naiven Volksgeiste un¬ Ich muß es hier bekennen, daß es mich zu der Art und Weise, verschieden, sie geht nic^t, wie diese, aus dem naiven Volksgeiste un¬ Ich muß es hier bekennen, daß es mich zu der Art und Weise, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182683"/> <p xml:id="ID_736" prev="#ID_735"> verschieden, sie geht nic^t, wie diese, aus dem naiven Volksgeiste un¬<lb/> mittelbar hervor, sondern sie entsteht in Sphären, die das Volk „heben"<lb/> wollen und die über das, was das „Volk" ist, eben ganz verschiedener<lb/> Ansicht sind. Aber auch diese Nomanliteratur, die alle Sphären der<lb/> Gesellschaft auf ihren Mittelpunkt zur Einwirkung bringen kann, ver¬<lb/> liert sich allzu häufig, beinahe noch immer in einem ständischen Inter¬<lb/> esse, sie schließt den Begriff des „Volkes" viel zu eng ab und gelangt<lb/> dann zu nichts Anderem, als zu einer Verherrlichung der „Masse".<lb/> Durch diesen ständischen Abschluß, durch die Jsolirung und Auöschmük-<lb/> kung der Masse, wird dann jede allgemeine Bewegung von vornherein<lb/> abgebunden und wir werden gewöhnlich nur mit Jammerbildern und<lb/> mit socialen Principien, auch mit sentimentalen Ergüssen, aber nicht<lb/> mit einem vollen, die ganze Gesellschaft durchgreifenden Leben beschenkt.<lb/> Die Masse wird als Stand cultivirt und den bevorrechteten Ständen<lb/> mit Rechten, Forderungen und Leiden gegenüber gestellt, man muß das<lb/> Volk nicht in der Gesammtheit und Durchdringung aller verschiedenen<lb/> Lebensverhältnisse, in der Wechselwirkung zwischen oben und unten<lb/> fassen, sondern nur in seinem Niederschlage, dessen Elend zum Stande<lb/> geworden ist. Dazu kommt es denn gar noch häufig, daß man diesen<lb/> Niederschlag zum Träger einer abstracten Sittlichkeit macht und daß<lb/> man die Masse mit sittlicher Tüchtigkeit ausschmückt, um sie als den<lb/> Stand der Sittlichkeit den bevorrechteten Ständen der Unsittlichkeit<lb/> gegenüber zu stellen. Wie verkehrt und falsch ein solches Thun und<lb/> Streben ist, braucht wohl kaum gesagt zu werden. Die Masse ist<lb/> eben so wenig das Volk allein, wie sie auch die abstracte Sittlich¬<lb/> keit, als ein ihr eignes ständisches Element, ausschließlich in sich faßt,<lb/> das Volk ist in den Bewegungen der Gesammtheit. Die Sittlichkeit<lb/> und die Unsittlichkett, die Kraft und die Verderbtheit sind nicht auf<lb/> einer, sondern auf allen Seiten. Indem unsere socialen Poeten diese<lb/> Wahrheit allzu häufig übersehen, indem sie die Masse als das Volk<lb/> verherrlichen, indem sie für die sociale» Conflicte keinen großartigen<lb/> Standpunkt einnehmen, laufen sie Gefahr, sich von der allgemeinen Be¬<lb/> wegung eben so sehr in eine ständische Pferche zu entfernen, wie die<lb/> oben erwähnte Nomanliteratur der Aristokratie und der Bourgeoisie.<lb/> Auch hier sucht das ständische Element einer allgemeinen und gro߬<lb/> artig ausgreifenden Durchdringung Herr zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_737" next="#ID_738"> Ich muß es hier bekennen, daß es mich zu der Art und Weise,<lb/> welche die Poesie nur in Gefühlsmomente und in eine, nur allzu häufig<lb/> daraus hervorgehende Sentimentalität und Romantik setzt, in einem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0260]
verschieden, sie geht nic^t, wie diese, aus dem naiven Volksgeiste un¬
mittelbar hervor, sondern sie entsteht in Sphären, die das Volk „heben"
wollen und die über das, was das „Volk" ist, eben ganz verschiedener
Ansicht sind. Aber auch diese Nomanliteratur, die alle Sphären der
Gesellschaft auf ihren Mittelpunkt zur Einwirkung bringen kann, ver¬
liert sich allzu häufig, beinahe noch immer in einem ständischen Inter¬
esse, sie schließt den Begriff des „Volkes" viel zu eng ab und gelangt
dann zu nichts Anderem, als zu einer Verherrlichung der „Masse".
Durch diesen ständischen Abschluß, durch die Jsolirung und Auöschmük-
kung der Masse, wird dann jede allgemeine Bewegung von vornherein
abgebunden und wir werden gewöhnlich nur mit Jammerbildern und
mit socialen Principien, auch mit sentimentalen Ergüssen, aber nicht
mit einem vollen, die ganze Gesellschaft durchgreifenden Leben beschenkt.
Die Masse wird als Stand cultivirt und den bevorrechteten Ständen
mit Rechten, Forderungen und Leiden gegenüber gestellt, man muß das
Volk nicht in der Gesammtheit und Durchdringung aller verschiedenen
Lebensverhältnisse, in der Wechselwirkung zwischen oben und unten
fassen, sondern nur in seinem Niederschlage, dessen Elend zum Stande
geworden ist. Dazu kommt es denn gar noch häufig, daß man diesen
Niederschlag zum Träger einer abstracten Sittlichkeit macht und daß
man die Masse mit sittlicher Tüchtigkeit ausschmückt, um sie als den
Stand der Sittlichkeit den bevorrechteten Ständen der Unsittlichkeit
gegenüber zu stellen. Wie verkehrt und falsch ein solches Thun und
Streben ist, braucht wohl kaum gesagt zu werden. Die Masse ist
eben so wenig das Volk allein, wie sie auch die abstracte Sittlich¬
keit, als ein ihr eignes ständisches Element, ausschließlich in sich faßt,
das Volk ist in den Bewegungen der Gesammtheit. Die Sittlichkeit
und die Unsittlichkett, die Kraft und die Verderbtheit sind nicht auf
einer, sondern auf allen Seiten. Indem unsere socialen Poeten diese
Wahrheit allzu häufig übersehen, indem sie die Masse als das Volk
verherrlichen, indem sie für die sociale» Conflicte keinen großartigen
Standpunkt einnehmen, laufen sie Gefahr, sich von der allgemeinen Be¬
wegung eben so sehr in eine ständische Pferche zu entfernen, wie die
oben erwähnte Nomanliteratur der Aristokratie und der Bourgeoisie.
Auch hier sucht das ständische Element einer allgemeinen und gro߬
artig ausgreifenden Durchdringung Herr zu werden.
Ich muß es hier bekennen, daß es mich zu der Art und Weise,
welche die Poesie nur in Gefühlsmomente und in eine, nur allzu häufig
daraus hervorgehende Sentimentalität und Romantik setzt, in einem
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