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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Geschichte der Menschen, seit Athen und Rom, ist eine Geschichte ihrer
Absurditäten geworden;"... "warum versetzt Quinet nicht lieber
gleich alle Heiligen unter die Pickelhärittge, als daß er auf eine
Abgeschmacktheit (die Kaiwnisinmg alter Päpste) einen welthisto¬
rischen Annette legt?".... "Die Theologie hatte mit ihrem Circestabe
unsere Gelehrten ihrer Menschheit entäußert, und ganze Bibliotheken,
die jetzt nur noch deö Verbrennens werth sind, mit ihrem Wahnwitz
angefüllt. Die protestantische Scholastik ist noch werthloser als die
katholische." D. h. die Menschen sind achtzehn Jahrhunderte lang
verrückt gewesen, eS wäre demnach eigentlich nicht der Mühe werth,
pas was ihre Kopfe und Herzen bewegt hat, verstehen zu lernen,
außer eben um es zu stürzen. Die Resultate dieser "absurden", ver¬
rückten Geschichte, richtet Ruge kurzweg damit hin, daß er sie "roh"
und ihre Macht "übelbegründet" nennt; z. B. die Unterdrückung der
Jahrbücher findet er dadurch erklärt, daß "das Journal, trotz des
rohesten Censurdrucks, zur wirklichen Befreiung von alten übelbegrün-
deten Autoritäten so viel gewirkt" habe.

Betrachten wir den Inhalt der beiden Ruge'schen Principien, des
guten, nobel", vernünftigen, wahren, humanen und des bösen, ver¬
kehrten, niederträchtigen, rohen, abgeschmackten Princips näher! Das
böse Princip ist ihm das mittelalterliche, religiöse; dieses offenbart sich
ihm in unserer Zeit in zwiefacher Form, als der "militärische" und
als der "pfäffische" Geist. "Der militärische und der Pfäffischc
Geist, beide opfern den freien Menschen auf; ihr Prineip ist das
Commando und der Glaube." Ans dem Mittelalter stammt die¬
ses "finstere" Wesen her, voll dein sich Rüge z. B. in Nürnberg beim
Allblick der alten Kirchen, Gräber, Burgen, Marterkammem :c unsäg¬
lich angewidert findet. An dem "r. Pollio filtdet er dort recht seinen
Mann, der Untersuch ungen angestellt hat über "die Gräuel des christ¬
lichen Mittelalters, über Blutaltäre in den Kapellen, über Kinder, die
als Opfer fielen", der beWeifen zu können erklärt, daß "aller Aber¬
glaube, von dem Todtenvogel, der an das Fenster der Kranken fliegt,
bis zu dem Rattenfänger von Hameln wahre Geschichte, nicht blos
Mythe ist," dein das Christenthum (wie er es nennt, "die syrische Rich¬
tung") eine "Woge der Geschichte" ist, "welche das Menschengeschlecht
mit einem ungeheuern Sturz in den Abgrund (dieser Abgrund ist das
Mittelalter) schleuderte, daraus eine zweitausendjährige Arbeit kaum
vermocht hat, die armen Menschen endlich wieder an das freie Tages-


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Geschichte der Menschen, seit Athen und Rom, ist eine Geschichte ihrer
Absurditäten geworden;"... „warum versetzt Quinet nicht lieber
gleich alle Heiligen unter die Pickelhärittge, als daß er auf eine
Abgeschmacktheit (die Kaiwnisinmg alter Päpste) einen welthisto¬
rischen Annette legt?".... „Die Theologie hatte mit ihrem Circestabe
unsere Gelehrten ihrer Menschheit entäußert, und ganze Bibliotheken,
die jetzt nur noch deö Verbrennens werth sind, mit ihrem Wahnwitz
angefüllt. Die protestantische Scholastik ist noch werthloser als die
katholische." D. h. die Menschen sind achtzehn Jahrhunderte lang
verrückt gewesen, eS wäre demnach eigentlich nicht der Mühe werth,
pas was ihre Kopfe und Herzen bewegt hat, verstehen zu lernen,
außer eben um es zu stürzen. Die Resultate dieser „absurden", ver¬
rückten Geschichte, richtet Ruge kurzweg damit hin, daß er sie „roh"
und ihre Macht „übelbegründet" nennt; z. B. die Unterdrückung der
Jahrbücher findet er dadurch erklärt, daß „das Journal, trotz des
rohesten Censurdrucks, zur wirklichen Befreiung von alten übelbegrün-
deten Autoritäten so viel gewirkt" habe.

Betrachten wir den Inhalt der beiden Ruge'schen Principien, des
guten, nobel», vernünftigen, wahren, humanen und des bösen, ver¬
kehrten, niederträchtigen, rohen, abgeschmackten Princips näher! Das
böse Princip ist ihm das mittelalterliche, religiöse; dieses offenbart sich
ihm in unserer Zeit in zwiefacher Form, als der „militärische" und
als der „pfäffische" Geist. „Der militärische und der Pfäffischc
Geist, beide opfern den freien Menschen auf; ihr Prineip ist das
Commando und der Glaube." Ans dem Mittelalter stammt die¬
ses „finstere" Wesen her, voll dein sich Rüge z. B. in Nürnberg beim
Allblick der alten Kirchen, Gräber, Burgen, Marterkammem :c unsäg¬
lich angewidert findet. An dem »r. Pollio filtdet er dort recht seinen
Mann, der Untersuch ungen angestellt hat über „die Gräuel des christ¬
lichen Mittelalters, über Blutaltäre in den Kapellen, über Kinder, die
als Opfer fielen", der beWeifen zu können erklärt, daß „aller Aber¬
glaube, von dem Todtenvogel, der an das Fenster der Kranken fliegt,
bis zu dem Rattenfänger von Hameln wahre Geschichte, nicht blos
Mythe ist," dein das Christenthum (wie er es nennt, „die syrische Rich¬
tung") eine „Woge der Geschichte" ist, „welche das Menschengeschlecht
mit einem ungeheuern Sturz in den Abgrund (dieser Abgrund ist das
Mittelalter) schleuderte, daraus eine zweitausendjährige Arbeit kaum
vermocht hat, die armen Menschen endlich wieder an das freie Tages-


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[0243] Geschichte der Menschen, seit Athen und Rom, ist eine Geschichte ihrer Absurditäten geworden;"... „warum versetzt Quinet nicht lieber gleich alle Heiligen unter die Pickelhärittge, als daß er auf eine Abgeschmacktheit (die Kaiwnisinmg alter Päpste) einen welthisto¬ rischen Annette legt?".... „Die Theologie hatte mit ihrem Circestabe unsere Gelehrten ihrer Menschheit entäußert, und ganze Bibliotheken, die jetzt nur noch deö Verbrennens werth sind, mit ihrem Wahnwitz angefüllt. Die protestantische Scholastik ist noch werthloser als die katholische." D. h. die Menschen sind achtzehn Jahrhunderte lang verrückt gewesen, eS wäre demnach eigentlich nicht der Mühe werth, pas was ihre Kopfe und Herzen bewegt hat, verstehen zu lernen, außer eben um es zu stürzen. Die Resultate dieser „absurden", ver¬ rückten Geschichte, richtet Ruge kurzweg damit hin, daß er sie „roh" und ihre Macht „übelbegründet" nennt; z. B. die Unterdrückung der Jahrbücher findet er dadurch erklärt, daß „das Journal, trotz des rohesten Censurdrucks, zur wirklichen Befreiung von alten übelbegrün- deten Autoritäten so viel gewirkt" habe. Betrachten wir den Inhalt der beiden Ruge'schen Principien, des guten, nobel», vernünftigen, wahren, humanen und des bösen, ver¬ kehrten, niederträchtigen, rohen, abgeschmackten Princips näher! Das böse Princip ist ihm das mittelalterliche, religiöse; dieses offenbart sich ihm in unserer Zeit in zwiefacher Form, als der „militärische" und als der „pfäffische" Geist. „Der militärische und der Pfäffischc Geist, beide opfern den freien Menschen auf; ihr Prineip ist das Commando und der Glaube." Ans dem Mittelalter stammt die¬ ses „finstere" Wesen her, voll dein sich Rüge z. B. in Nürnberg beim Allblick der alten Kirchen, Gräber, Burgen, Marterkammem :c unsäg¬ lich angewidert findet. An dem »r. Pollio filtdet er dort recht seinen Mann, der Untersuch ungen angestellt hat über „die Gräuel des christ¬ lichen Mittelalters, über Blutaltäre in den Kapellen, über Kinder, die als Opfer fielen", der beWeifen zu können erklärt, daß „aller Aber¬ glaube, von dem Todtenvogel, der an das Fenster der Kranken fliegt, bis zu dem Rattenfänger von Hameln wahre Geschichte, nicht blos Mythe ist," dein das Christenthum (wie er es nennt, „die syrische Rich¬ tung") eine „Woge der Geschichte" ist, „welche das Menschengeschlecht mit einem ungeheuern Sturz in den Abgrund (dieser Abgrund ist das Mittelalter) schleuderte, daraus eine zweitausendjährige Arbeit kaum vermocht hat, die armen Menschen endlich wieder an das freie Tages- 30»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/243>, abgerufen am 25.08.2024.