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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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rechtigkeit, hartherziger Druck beim Lohne von der andern, und im
Conflicte Ueberfluchen aller Schranken! Das Verbrechen muß dann
gebüßt werden.

Für Herrn Masser entwickelte sich eine schwere Anklage. Die alte
Greschel hatte beim Verhör angegeben, was ihr irgend auf dem Her¬
zen lag, bei einem Verhafteten hatte sich eine Brieftasche gefunden,
die er aus einem der erbrochenen Eisenkasten in Masser's Zimmer ge¬
raubt, ihr Inhalt döcumentirte sie aber als Eigenthum des verunglück¬
ten Agenten. Mochte dieser sie Herrn Masser zum Aufbewahren an¬
vertraut oder Letzterer sie gefunden haben, warum hatte er keine Anzeige
davon gemacht, sondern sie stillschweigend behalten? Als er auf diese
Frage vor Gericht Antwort geben sollte, wurde er so krank, daß er,
unfähig zu antworten, nach Hause gebracht werden mußte, wo er
seine Furcht wurde endlich zur Wahrheit! -- einem schnell zweimal
repetirenden Schlagflusse erlag. Die schreiende und schluchzende Wirth-
schafterin, die ihr Ziel noch immer nicht erreicht hatte, konnte ihn nicht
retten!

Dem alten Hobländer war der später erfolgende Spruch des Ge¬
richts nur in Bezug auf die Wittwe Greschel interessant, im Uebrigen
hatte er bei sich längst schon abgeurtheilt. Der Brandstifterin konnte
er die Strafe nicht mildern, sie erlebte deren Schluß vielleicht kaum.
Aber für die Hinterlassenen seines Verwandten sorgte er auf die über¬
legtest" Weise.

Im gräflichen Hause hatte dieser zweite Aufruhr in so unmittel-
ba er Nähe die betrüvendsten Gedanken erregt, Gedanken, welche sonst
in Aeser Kreisen selten erwachen, weil diese das Elend der niedern
Klassen nur aus romantischer Lectüre kennen. Die Damen erschöpften
sich in mitleidigen Reden, waren auch zu jeder Hülfe für Nothleidende
ihrer Umgebung bereit und steuern diesen Winter in der Residenz das
Doppelte zur Armenkasse. Der Graf hatte mit Mainhard und Hob¬
länder ernstere Besprechungen, Mainhard reiste bald darauf ab, um
Berathungen beizuwohnen, welche die Lage der arbeitenden Klassen im
Auge haben.

"Geld thut es nicht!" sagte er noch beim Scheiden. "Es mü߬
ten denn ungeheure Schätze, dazu verwandt und -- gut verwaltet
werden. Ich gehe meinen'Weg, die Leute werden mich noch lange
verkennen und lästern, sie werden mich vielleicht mit Masser in eine
Klasse werfen und sich gegen mich auflehnen, aber vielleicht kommen


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rechtigkeit, hartherziger Druck beim Lohne von der andern, und im
Conflicte Ueberfluchen aller Schranken! Das Verbrechen muß dann
gebüßt werden.

Für Herrn Masser entwickelte sich eine schwere Anklage. Die alte
Greschel hatte beim Verhör angegeben, was ihr irgend auf dem Her¬
zen lag, bei einem Verhafteten hatte sich eine Brieftasche gefunden,
die er aus einem der erbrochenen Eisenkasten in Masser's Zimmer ge¬
raubt, ihr Inhalt döcumentirte sie aber als Eigenthum des verunglück¬
ten Agenten. Mochte dieser sie Herrn Masser zum Aufbewahren an¬
vertraut oder Letzterer sie gefunden haben, warum hatte er keine Anzeige
davon gemacht, sondern sie stillschweigend behalten? Als er auf diese
Frage vor Gericht Antwort geben sollte, wurde er so krank, daß er,
unfähig zu antworten, nach Hause gebracht werden mußte, wo er
seine Furcht wurde endlich zur Wahrheit! — einem schnell zweimal
repetirenden Schlagflusse erlag. Die schreiende und schluchzende Wirth-
schafterin, die ihr Ziel noch immer nicht erreicht hatte, konnte ihn nicht
retten!

Dem alten Hobländer war der später erfolgende Spruch des Ge¬
richts nur in Bezug auf die Wittwe Greschel interessant, im Uebrigen
hatte er bei sich längst schon abgeurtheilt. Der Brandstifterin konnte
er die Strafe nicht mildern, sie erlebte deren Schluß vielleicht kaum.
Aber für die Hinterlassenen seines Verwandten sorgte er auf die über¬
legtest« Weise.

Im gräflichen Hause hatte dieser zweite Aufruhr in so unmittel-
ba er Nähe die betrüvendsten Gedanken erregt, Gedanken, welche sonst
in Aeser Kreisen selten erwachen, weil diese das Elend der niedern
Klassen nur aus romantischer Lectüre kennen. Die Damen erschöpften
sich in mitleidigen Reden, waren auch zu jeder Hülfe für Nothleidende
ihrer Umgebung bereit und steuern diesen Winter in der Residenz das
Doppelte zur Armenkasse. Der Graf hatte mit Mainhard und Hob¬
länder ernstere Besprechungen, Mainhard reiste bald darauf ab, um
Berathungen beizuwohnen, welche die Lage der arbeitenden Klassen im
Auge haben.

„Geld thut es nicht!" sagte er noch beim Scheiden. „Es mü߬
ten denn ungeheure Schätze, dazu verwandt und — gut verwaltet
werden. Ich gehe meinen'Weg, die Leute werden mich noch lange
verkennen und lästern, sie werden mich vielleicht mit Masser in eine
Klasse werfen und sich gegen mich auflehnen, aber vielleicht kommen


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[0223] rechtigkeit, hartherziger Druck beim Lohne von der andern, und im Conflicte Ueberfluchen aller Schranken! Das Verbrechen muß dann gebüßt werden. Für Herrn Masser entwickelte sich eine schwere Anklage. Die alte Greschel hatte beim Verhör angegeben, was ihr irgend auf dem Her¬ zen lag, bei einem Verhafteten hatte sich eine Brieftasche gefunden, die er aus einem der erbrochenen Eisenkasten in Masser's Zimmer ge¬ raubt, ihr Inhalt döcumentirte sie aber als Eigenthum des verunglück¬ ten Agenten. Mochte dieser sie Herrn Masser zum Aufbewahren an¬ vertraut oder Letzterer sie gefunden haben, warum hatte er keine Anzeige davon gemacht, sondern sie stillschweigend behalten? Als er auf diese Frage vor Gericht Antwort geben sollte, wurde er so krank, daß er, unfähig zu antworten, nach Hause gebracht werden mußte, wo er seine Furcht wurde endlich zur Wahrheit! — einem schnell zweimal repetirenden Schlagflusse erlag. Die schreiende und schluchzende Wirth- schafterin, die ihr Ziel noch immer nicht erreicht hatte, konnte ihn nicht retten! Dem alten Hobländer war der später erfolgende Spruch des Ge¬ richts nur in Bezug auf die Wittwe Greschel interessant, im Uebrigen hatte er bei sich längst schon abgeurtheilt. Der Brandstifterin konnte er die Strafe nicht mildern, sie erlebte deren Schluß vielleicht kaum. Aber für die Hinterlassenen seines Verwandten sorgte er auf die über¬ legtest« Weise. Im gräflichen Hause hatte dieser zweite Aufruhr in so unmittel- ba er Nähe die betrüvendsten Gedanken erregt, Gedanken, welche sonst in Aeser Kreisen selten erwachen, weil diese das Elend der niedern Klassen nur aus romantischer Lectüre kennen. Die Damen erschöpften sich in mitleidigen Reden, waren auch zu jeder Hülfe für Nothleidende ihrer Umgebung bereit und steuern diesen Winter in der Residenz das Doppelte zur Armenkasse. Der Graf hatte mit Mainhard und Hob¬ länder ernstere Besprechungen, Mainhard reiste bald darauf ab, um Berathungen beizuwohnen, welche die Lage der arbeitenden Klassen im Auge haben. „Geld thut es nicht!" sagte er noch beim Scheiden. „Es mü߬ ten denn ungeheure Schätze, dazu verwandt und — gut verwaltet werden. Ich gehe meinen'Weg, die Leute werden mich noch lange verkennen und lästern, sie werden mich vielleicht mit Masser in eine Klasse werfen und sich gegen mich auflehnen, aber vielleicht kommen 27 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/223>, abgerufen am 25.08.2024.