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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Weil aber der Bauer mit Denken sich nicht gern abgibt, so fiel der
Wirth bald auf die natürlichste Erklärung, welche Allen um so plau¬
sibler war, weil sie der armen jungen Frau zur Schande gereichte.
Daß die dicken, kahlköpfigen Stadtherren ganz arg auf traite Bauer¬
mädchen sind, wußte ein Jeder, nun war die Hobländerin, wenn schon
etwas vergrämt, gar nicht so übel und da sie arm und verlassen war,
hatte der alte Herr, der erpreß ihretwegen hergefahren kam, gewiß
nicht umsonst bei ihr angeklopft. Somit war ihr Geld ein Sünden¬
geld, was die liebreichen Dorfgevatterinnen nicht unterließen, ihr ge¬
legentlich vorzurücken. In Sammet und Seide wird boshaft und gif¬
tig modisirt, die Kattunklatschen der kleinen Städte sind gemein und
lächerlich, aber die Klatscherei im Friesrock, die mit plumper Faust
angreist, ist wie ein Todtschlag. Daß die Hobländerin über die Ver-
läumdung in den heftigsten Zorn gerieth und sich verschwur, konnte
Niemand rühren, die Sache war abgemacht.

In ihrer Hütte saß nun die junge Frau und weinte. Es galt
nicht mehr der äußern Sorge um Brod, diese war gehoben, aber eben
darum kam nun der Seelenschmerz recht zum Bewußtsein, sie fühlte
die Schmach bitter, welche man auf sie häufte, sie dachte mit Angst
an ihren Mann, dessen Freiheit und Leben sie bedroht wußte, und
sehnte sich inbrünstiger, als je, nach ihm.

Als das Bild des unglücklichen Mannes grade recht lebhaft vor
der Seele seines Weibes stand, wurde leise an die Stubenthüre ge¬
klopft. Die junge Frau sprang auf. Wer konnte es anders sein?

"Bist Du'ö, Martin?" rief sie hinaus. -- "Stille! stille!"
sprach es draußen. "Ich bin es, Hobländer'n." -- "Großmutter!"
sagte die junge Frau enttäuscht und reichte der eintretenden Wittwe
die Hand, sie hatte vor Angst keinen Athem zu einer Frage. Auch die
Alte benahm sich anders als sonst; man hätte sagen können, feier¬
licher. Sie wehrte der Frau Licht zu machen, obgleich es schon dun¬
kel war, sondern setzte sich auf das Bett, die Hobländerin rückte sich
den Schemel dicht neben sie.

"Die armen Würmer schlafen?" fragte die Großmutter und ihr
sonst harter Ton klang so weich, als ob sie weine. "Ich habe Dir
ein Paar hübsche Mützchen sür sie mitgebracht, Liese." -- "Wißt Ihr
etwas von Martin, Großmutter?" entgegnete die junge Frau furcht¬
sam. -- "Sei still, Kind," sagte die Alte. "Wir wollen für ihn be¬
ten.'" -- "Haben sie ihn wieder?" rief die Frau kreischend. --


Weil aber der Bauer mit Denken sich nicht gern abgibt, so fiel der
Wirth bald auf die natürlichste Erklärung, welche Allen um so plau¬
sibler war, weil sie der armen jungen Frau zur Schande gereichte.
Daß die dicken, kahlköpfigen Stadtherren ganz arg auf traite Bauer¬
mädchen sind, wußte ein Jeder, nun war die Hobländerin, wenn schon
etwas vergrämt, gar nicht so übel und da sie arm und verlassen war,
hatte der alte Herr, der erpreß ihretwegen hergefahren kam, gewiß
nicht umsonst bei ihr angeklopft. Somit war ihr Geld ein Sünden¬
geld, was die liebreichen Dorfgevatterinnen nicht unterließen, ihr ge¬
legentlich vorzurücken. In Sammet und Seide wird boshaft und gif¬
tig modisirt, die Kattunklatschen der kleinen Städte sind gemein und
lächerlich, aber die Klatscherei im Friesrock, die mit plumper Faust
angreist, ist wie ein Todtschlag. Daß die Hobländerin über die Ver-
läumdung in den heftigsten Zorn gerieth und sich verschwur, konnte
Niemand rühren, die Sache war abgemacht.

In ihrer Hütte saß nun die junge Frau und weinte. Es galt
nicht mehr der äußern Sorge um Brod, diese war gehoben, aber eben
darum kam nun der Seelenschmerz recht zum Bewußtsein, sie fühlte
die Schmach bitter, welche man auf sie häufte, sie dachte mit Angst
an ihren Mann, dessen Freiheit und Leben sie bedroht wußte, und
sehnte sich inbrünstiger, als je, nach ihm.

Als das Bild des unglücklichen Mannes grade recht lebhaft vor
der Seele seines Weibes stand, wurde leise an die Stubenthüre ge¬
klopft. Die junge Frau sprang auf. Wer konnte es anders sein?

„Bist Du'ö, Martin?" rief sie hinaus. — „Stille! stille!"
sprach es draußen. „Ich bin es, Hobländer'n." — „Großmutter!"
sagte die junge Frau enttäuscht und reichte der eintretenden Wittwe
die Hand, sie hatte vor Angst keinen Athem zu einer Frage. Auch die
Alte benahm sich anders als sonst; man hätte sagen können, feier¬
licher. Sie wehrte der Frau Licht zu machen, obgleich es schon dun¬
kel war, sondern setzte sich auf das Bett, die Hobländerin rückte sich
den Schemel dicht neben sie.

„Die armen Würmer schlafen?" fragte die Großmutter und ihr
sonst harter Ton klang so weich, als ob sie weine. „Ich habe Dir
ein Paar hübsche Mützchen sür sie mitgebracht, Liese." — „Wißt Ihr
etwas von Martin, Großmutter?" entgegnete die junge Frau furcht¬
sam. — „Sei still, Kind," sagte die Alte. „Wir wollen für ihn be¬
ten.'" — „Haben sie ihn wieder?" rief die Frau kreischend. —


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[0214] Weil aber der Bauer mit Denken sich nicht gern abgibt, so fiel der Wirth bald auf die natürlichste Erklärung, welche Allen um so plau¬ sibler war, weil sie der armen jungen Frau zur Schande gereichte. Daß die dicken, kahlköpfigen Stadtherren ganz arg auf traite Bauer¬ mädchen sind, wußte ein Jeder, nun war die Hobländerin, wenn schon etwas vergrämt, gar nicht so übel und da sie arm und verlassen war, hatte der alte Herr, der erpreß ihretwegen hergefahren kam, gewiß nicht umsonst bei ihr angeklopft. Somit war ihr Geld ein Sünden¬ geld, was die liebreichen Dorfgevatterinnen nicht unterließen, ihr ge¬ legentlich vorzurücken. In Sammet und Seide wird boshaft und gif¬ tig modisirt, die Kattunklatschen der kleinen Städte sind gemein und lächerlich, aber die Klatscherei im Friesrock, die mit plumper Faust angreist, ist wie ein Todtschlag. Daß die Hobländerin über die Ver- läumdung in den heftigsten Zorn gerieth und sich verschwur, konnte Niemand rühren, die Sache war abgemacht. In ihrer Hütte saß nun die junge Frau und weinte. Es galt nicht mehr der äußern Sorge um Brod, diese war gehoben, aber eben darum kam nun der Seelenschmerz recht zum Bewußtsein, sie fühlte die Schmach bitter, welche man auf sie häufte, sie dachte mit Angst an ihren Mann, dessen Freiheit und Leben sie bedroht wußte, und sehnte sich inbrünstiger, als je, nach ihm. Als das Bild des unglücklichen Mannes grade recht lebhaft vor der Seele seines Weibes stand, wurde leise an die Stubenthüre ge¬ klopft. Die junge Frau sprang auf. Wer konnte es anders sein? „Bist Du'ö, Martin?" rief sie hinaus. — „Stille! stille!" sprach es draußen. „Ich bin es, Hobländer'n." — „Großmutter!" sagte die junge Frau enttäuscht und reichte der eintretenden Wittwe die Hand, sie hatte vor Angst keinen Athem zu einer Frage. Auch die Alte benahm sich anders als sonst; man hätte sagen können, feier¬ licher. Sie wehrte der Frau Licht zu machen, obgleich es schon dun¬ kel war, sondern setzte sich auf das Bett, die Hobländerin rückte sich den Schemel dicht neben sie. „Die armen Würmer schlafen?" fragte die Großmutter und ihr sonst harter Ton klang so weich, als ob sie weine. „Ich habe Dir ein Paar hübsche Mützchen sür sie mitgebracht, Liese." — „Wißt Ihr etwas von Martin, Großmutter?" entgegnete die junge Frau furcht¬ sam. — „Sei still, Kind," sagte die Alte. „Wir wollen für ihn be¬ ten.'" — „Haben sie ihn wieder?" rief die Frau kreischend. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/214>, abgerufen am 23.07.2024.