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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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das durch ungewaschene, vielfach mit Papier verklebte Fensterchen
drang, bemerkte der Greis eine Frau, welche erschrocken von der Wiege
aufsprang, neben welcher sie gesessen hatte ; sie starrte ihn sprachlos
an. --

"Nehmt's nicht bös ans, daß ich Euch störe," sagte der alt"
Mann. "Ich komme als Freund zu Euch." --

Die Frau, welche noch jung, aber sehr blaß und verkümmert
aussah, wußte auf diese Anrede nichts zu erwiedern, sondern hatte
ihre großen braunen Augen noch immer starr auf de" Fremden ge¬
richtet.

"Ich meine es gut mit Euch," sagte der Greis. -- "Wer sind
Sie denn?" fragte die Frau schüchtern, indem sie einen besorgten
Mutterblick nach der Wiege warf, in welcher es unruhig wurde. --
"Wiegt es nur ein," sagte der Fremde mild. "Ich werde mich zu
Euch setzen."

Indem er sich aber nach einem Schemel umsah, bemerkte er, daß
der einzige in der Stube neben dem Bette stand, er setzte sich daher
rasch auf das Bett und winkte der Frau. Diese ging zögernd und
sehr beunruhigt wieder zur Wiege, in welcher der Fremde gerührt
zwei rothbäckige, ungefähr ein Jahr alte Kinder sah, welche neben
einander liegend sich mit offenen Augen umschauten und mit ihren
kleinen Händchen spielten. Der Segen der Armuth!

"Frau Hobländer," begann der Greis schonend, "habt Ihr kürz¬
lich Nachricht von Eurem Manne?"

Die Frau erschrak heftig und reichliche Thränen schossen ihr au¬
genblicklich, unaufhaltsam über die Wangen.

"Um Gotteswillen beruhigt Euch," bat der Alte. "Ihr habt von
mir nicht das Geringste zu befürchten. Und damit Ihr Vertrauen zu
mir fassen könnt, sage ich Euch: ich bin Eures Mannes naher Ver¬
wandter. Er ist meines Bruders Enkel. Also werde ich Euch doch
nicht verrathen. "Ach du allmächtiger Gott!" jammerte die Frarn
"Ach! Sie könnten also helfen! Ach, er sitzt ja unschuldig, sitzt so un¬
schuldig, wie seine armen Würmer sind, die er noch gar nicht einmal
gesehen hat." -- "Gott gebe, daß es wahr sei!" erwiederte der Greis
betroffen. "Aber Ihr sagt- ersitzt?" - "Ja, ja! Die schlechten
Menschen haben ihn auf's Zuchthaus gebracht," schluchzte die Frau.
-- "Wie?" rief der Greis. "So wißt Ihr gar nicht, daß er ent¬
sprungen ist?"

Durch Thränen blitzte ein Strahl der Freude aus den Augen der


das durch ungewaschene, vielfach mit Papier verklebte Fensterchen
drang, bemerkte der Greis eine Frau, welche erschrocken von der Wiege
aufsprang, neben welcher sie gesessen hatte ; sie starrte ihn sprachlos
an. —

„Nehmt's nicht bös ans, daß ich Euch störe," sagte der alt«
Mann. „Ich komme als Freund zu Euch." —

Die Frau, welche noch jung, aber sehr blaß und verkümmert
aussah, wußte auf diese Anrede nichts zu erwiedern, sondern hatte
ihre großen braunen Augen noch immer starr auf de» Fremden ge¬
richtet.

„Ich meine es gut mit Euch," sagte der Greis. — „Wer sind
Sie denn?" fragte die Frau schüchtern, indem sie einen besorgten
Mutterblick nach der Wiege warf, in welcher es unruhig wurde. —
„Wiegt es nur ein," sagte der Fremde mild. „Ich werde mich zu
Euch setzen."

Indem er sich aber nach einem Schemel umsah, bemerkte er, daß
der einzige in der Stube neben dem Bette stand, er setzte sich daher
rasch auf das Bett und winkte der Frau. Diese ging zögernd und
sehr beunruhigt wieder zur Wiege, in welcher der Fremde gerührt
zwei rothbäckige, ungefähr ein Jahr alte Kinder sah, welche neben
einander liegend sich mit offenen Augen umschauten und mit ihren
kleinen Händchen spielten. Der Segen der Armuth!

„Frau Hobländer," begann der Greis schonend, „habt Ihr kürz¬
lich Nachricht von Eurem Manne?"

Die Frau erschrak heftig und reichliche Thränen schossen ihr au¬
genblicklich, unaufhaltsam über die Wangen.

„Um Gotteswillen beruhigt Euch," bat der Alte. „Ihr habt von
mir nicht das Geringste zu befürchten. Und damit Ihr Vertrauen zu
mir fassen könnt, sage ich Euch: ich bin Eures Mannes naher Ver¬
wandter. Er ist meines Bruders Enkel. Also werde ich Euch doch
nicht verrathen. „Ach du allmächtiger Gott!" jammerte die Frarn
„Ach! Sie könnten also helfen! Ach, er sitzt ja unschuldig, sitzt so un¬
schuldig, wie seine armen Würmer sind, die er noch gar nicht einmal
gesehen hat." — „Gott gebe, daß es wahr sei!" erwiederte der Greis
betroffen. „Aber Ihr sagt- ersitzt?" - „Ja, ja! Die schlechten
Menschen haben ihn auf's Zuchthaus gebracht," schluchzte die Frau.
— „Wie?" rief der Greis. „So wißt Ihr gar nicht, daß er ent¬
sprungen ist?"

Durch Thränen blitzte ein Strahl der Freude aus den Augen der


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[0209] das durch ungewaschene, vielfach mit Papier verklebte Fensterchen drang, bemerkte der Greis eine Frau, welche erschrocken von der Wiege aufsprang, neben welcher sie gesessen hatte ; sie starrte ihn sprachlos an. — „Nehmt's nicht bös ans, daß ich Euch störe," sagte der alt« Mann. „Ich komme als Freund zu Euch." — Die Frau, welche noch jung, aber sehr blaß und verkümmert aussah, wußte auf diese Anrede nichts zu erwiedern, sondern hatte ihre großen braunen Augen noch immer starr auf de» Fremden ge¬ richtet. „Ich meine es gut mit Euch," sagte der Greis. — „Wer sind Sie denn?" fragte die Frau schüchtern, indem sie einen besorgten Mutterblick nach der Wiege warf, in welcher es unruhig wurde. — „Wiegt es nur ein," sagte der Fremde mild. „Ich werde mich zu Euch setzen." Indem er sich aber nach einem Schemel umsah, bemerkte er, daß der einzige in der Stube neben dem Bette stand, er setzte sich daher rasch auf das Bett und winkte der Frau. Diese ging zögernd und sehr beunruhigt wieder zur Wiege, in welcher der Fremde gerührt zwei rothbäckige, ungefähr ein Jahr alte Kinder sah, welche neben einander liegend sich mit offenen Augen umschauten und mit ihren kleinen Händchen spielten. Der Segen der Armuth! „Frau Hobländer," begann der Greis schonend, „habt Ihr kürz¬ lich Nachricht von Eurem Manne?" Die Frau erschrak heftig und reichliche Thränen schossen ihr au¬ genblicklich, unaufhaltsam über die Wangen. „Um Gotteswillen beruhigt Euch," bat der Alte. „Ihr habt von mir nicht das Geringste zu befürchten. Und damit Ihr Vertrauen zu mir fassen könnt, sage ich Euch: ich bin Eures Mannes naher Ver¬ wandter. Er ist meines Bruders Enkel. Also werde ich Euch doch nicht verrathen. „Ach du allmächtiger Gott!" jammerte die Frarn „Ach! Sie könnten also helfen! Ach, er sitzt ja unschuldig, sitzt so un¬ schuldig, wie seine armen Würmer sind, die er noch gar nicht einmal gesehen hat." — „Gott gebe, daß es wahr sei!" erwiederte der Greis betroffen. „Aber Ihr sagt- ersitzt?" - „Ja, ja! Die schlechten Menschen haben ihn auf's Zuchthaus gebracht," schluchzte die Frau. — „Wie?" rief der Greis. „So wißt Ihr gar nicht, daß er ent¬ sprungen ist?" Durch Thränen blitzte ein Strahl der Freude aus den Augen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/209>, abgerufen am 24.11.2024.