Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.lichkeit die Seele des altdeutschen Gerichtsverfahrens. Eine in allen Auch bei uns in Oesterreich gibt es seit der Zeit, als ein Kaiser War es dem Richter ehedem nur gestattet, mit den Waffen des lichkeit die Seele des altdeutschen Gerichtsverfahrens. Eine in allen Auch bei uns in Oesterreich gibt es seit der Zeit, als ein Kaiser War es dem Richter ehedem nur gestattet, mit den Waffen des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182627"/> <p xml:id="ID_539" prev="#ID_538"> lichkeit die Seele des altdeutschen Gerichtsverfahrens. Eine in allen<lb/> Theilen fein abgewogene Ausführung der Rechtssache, wie sie jetzt bei<lb/> unsern Buchstabenmännern üblich ist, paßte nicht für die damalige<lb/> Unkunde der Schrift, nicht für den schlichten Sinn des Volkes, am<lb/> allerwenigsten aber für die Oeffentlichkeit selbst, die scheu vor den<lb/> Klügeleien der Stube freie und kräftige Rede liebt, und ihre Beru¬<lb/> fung an das gesunde Urtheil der Besten lind Verständigsten einlegt.<lb/> Schon unter Karl dem Großen beschränkte die Verengung der Mal¬<lb/> berge in Gerichtöhäuser jene Ausbildung des Rechtssinnes, der hier<lb/> für das öffentliche Leben in die Schule ging, doch der Grundsatz des<lb/> Anklageverfahrens, wiewohl nur auf das Peinliche angewandt, galt<lb/> auch im Streite über das Mein und Dein, und dort wie hier ent¬<lb/> schieden die Geschwornen.</p><lb/> <p xml:id="ID_540"> Auch bei uns in Oesterreich gibt es seit der Zeit, als ein Kaiser<lb/> wieder einmal selbst Hand an den Pflug legte, ein sogenanntes münd¬<lb/> liches Verfahren, das jedoch hauptsächlich nur auf dem Lande Anwen¬<lb/> dung findet, und einen oft theuer erkauften Ersatz für die goldschweren<lb/> Schriften der Anwälte bietet. Die Mündlichkeit ist im Grunde dabei<lb/> nur ein Wechselbalg, der den wahren Sprößling deutscher Rechtlichkeit<lb/> in Verruf bringt. Der Richter ist zum Anwalt des Klägers wie des<lb/> Geklagten berufen, er, der Eine vermittelt alle Angaben, Beweise,<lb/> Rechtsfolgen zu Papier, nicht die Streitenden, er selbst ist Kämpfer<lb/> auf beiden Seiten und Schiedömann zugleich, und steht ihm kein<lb/> Rechtsfreund gegenüber, so schaltet er unbewacht in diesem gefährlichen<lb/> Geschäfte. Der Weg war gebahnt, auch das bürgerliche Recht dem<lb/> dunklen Wege der Untersuchung zu überliefern, das freie Wort in jene<lb/> Form zu pressen, die den Richtern gefällt, und das Volk von jedem<lb/> Urtheil darüber ferne zu halten. Die neue Ordnung für Streitigkeiten<lb/> von 2VV si. C.-M. und darunter, that noch einen Schritt weiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_541" next="#ID_542"> War es dem Richter ehedem nur gestattet, mit den Waffen des<lb/> Geistes für den Einen und' Andern zu fechten, so sind ihm jetzt alle<lb/> Mittel zur Hand gestellt, die Gemüther gefangen zu nehmen, den Gut-<lb/> müthigen zu fesseln, den Schüchternen zu verwirren, den Verzagten zu<lb/> ängstigen, und Geständnisse zu entlocken, die der Ablegende bei ruhi¬<lb/> gem Blute eine Lüge schilt. Er kann die Streitenden sich persönlich<lb/> gegenüber stellen, sie in Abwesenheit ihrer Sachwalter, und, wofern<lb/> der Automat von einem Schreiber nicht als Zeuge gelten soll,, unbe-<lb/> horcht und ohne Gewährschaft vernehmen, ihnen stehenden Fußes Er¬<lb/> klärungen über die zartesten Gewissensfragen bet Eiden abdringen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
lichkeit die Seele des altdeutschen Gerichtsverfahrens. Eine in allen
Theilen fein abgewogene Ausführung der Rechtssache, wie sie jetzt bei
unsern Buchstabenmännern üblich ist, paßte nicht für die damalige
Unkunde der Schrift, nicht für den schlichten Sinn des Volkes, am
allerwenigsten aber für die Oeffentlichkeit selbst, die scheu vor den
Klügeleien der Stube freie und kräftige Rede liebt, und ihre Beru¬
fung an das gesunde Urtheil der Besten lind Verständigsten einlegt.
Schon unter Karl dem Großen beschränkte die Verengung der Mal¬
berge in Gerichtöhäuser jene Ausbildung des Rechtssinnes, der hier
für das öffentliche Leben in die Schule ging, doch der Grundsatz des
Anklageverfahrens, wiewohl nur auf das Peinliche angewandt, galt
auch im Streite über das Mein und Dein, und dort wie hier ent¬
schieden die Geschwornen.
Auch bei uns in Oesterreich gibt es seit der Zeit, als ein Kaiser
wieder einmal selbst Hand an den Pflug legte, ein sogenanntes münd¬
liches Verfahren, das jedoch hauptsächlich nur auf dem Lande Anwen¬
dung findet, und einen oft theuer erkauften Ersatz für die goldschweren
Schriften der Anwälte bietet. Die Mündlichkeit ist im Grunde dabei
nur ein Wechselbalg, der den wahren Sprößling deutscher Rechtlichkeit
in Verruf bringt. Der Richter ist zum Anwalt des Klägers wie des
Geklagten berufen, er, der Eine vermittelt alle Angaben, Beweise,
Rechtsfolgen zu Papier, nicht die Streitenden, er selbst ist Kämpfer
auf beiden Seiten und Schiedömann zugleich, und steht ihm kein
Rechtsfreund gegenüber, so schaltet er unbewacht in diesem gefährlichen
Geschäfte. Der Weg war gebahnt, auch das bürgerliche Recht dem
dunklen Wege der Untersuchung zu überliefern, das freie Wort in jene
Form zu pressen, die den Richtern gefällt, und das Volk von jedem
Urtheil darüber ferne zu halten. Die neue Ordnung für Streitigkeiten
von 2VV si. C.-M. und darunter, that noch einen Schritt weiter.
War es dem Richter ehedem nur gestattet, mit den Waffen des
Geistes für den Einen und' Andern zu fechten, so sind ihm jetzt alle
Mittel zur Hand gestellt, die Gemüther gefangen zu nehmen, den Gut-
müthigen zu fesseln, den Schüchternen zu verwirren, den Verzagten zu
ängstigen, und Geständnisse zu entlocken, die der Ablegende bei ruhi¬
gem Blute eine Lüge schilt. Er kann die Streitenden sich persönlich
gegenüber stellen, sie in Abwesenheit ihrer Sachwalter, und, wofern
der Automat von einem Schreiber nicht als Zeuge gelten soll,, unbe-
horcht und ohne Gewährschaft vernehmen, ihnen stehenden Fußes Er¬
klärungen über die zartesten Gewissensfragen bet Eiden abdringen,
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