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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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und ein frischer, mitternächtlicher Wind bewegte die Wipfel der
Bäume. Lässig und monoton, wie der Zeiger einer alten Uhr, ging
die Schilowache auf dem Schloßwalle auf und ab. Ich hatte alle
Luft, mit ihr ein Gespräch anzuknüpfen, aber ich hätte schreien müs¬
sen, um mich verständlich zu machen, und hätte so das ganze Schloß
in Allarm gebracht und mich als furchtsamen Gespenfterseher beim
Schloßhauptmann blamirt. Ich schwieg also, wie sehr wohl mir auch
ein menschlicher Laut in diesem Augenblicke gethan hätte. Mir war
so einsam, als wäre ich Millionen Meilen weit von jeder menschlichen
Seele entfernt, oder als wäre ich unter ein fremdes, fernes Geschlecht
einer fremden, fernen Zeit versetzt, die meine Sprache nicht versteht.
Ich hatte den innigsten Wunsch zu schlafen, aber mein fieberndes Blut
versagte ihn mir und die Erfahrungen, die ich im Bette gemacht, mach
ten es mir unheimlich, wieder dahin zurückzukehren. Ich begann also
im Zimmer umher zu wandern. Aber auch das wurde mir endlich
zu langweilig und ich stand unentschlossen an der Thüre des Waffen¬
saales, ob ich sie öffnen solle, um meinen Wanderungen ein größeres
Gebiet zu geben. Ich horchte: es war so stille da drinnen, wie in
einer Gruft. Mit einem raschen Drucke war die Thüre offen und ich
stand mitten unter Rittern, Landgrafen und Herzögen. Sie sahen
mich so starr an, als wären sie empört über meine Frechheit, die sie
in so später Nacht noch störte. Es ist lächerlich, was ich nun zu
treiben begann. Ich ging von einem eisernen Manne zum andern,
schüttelte jedem die Hand, klopfte hier und da an einen Panzer, öff¬
nete die Visire und sah in das leere Nichts. Hitze und Kälte wech.
selten in meinen Adern, aber mich reizte der unheimliche Umgang.
Zufällig blieb mir ein Flammberg in der Hand und ich stand plötzlich be¬
waffnet mitten in der bewaffneten Schaar. So lehnte ich mich müde und
matt an die Wand, und betrachtete im Mondschein meine ungewöhnliche
Gesellschaft -- und so -- schlief ich ein, stehend, mit dem Flammberg
in der Hand. Und was träumte ich? Hundert schwarze Ritter rit¬
ten auf schwarzen Rossen an mir vorbei durch den Saal hinaus zum
Fenster durch die Luft, wo sie die Nacht verschlang. Ihre Waffen
rasselten nicht, ihrer Rosse Hufschlag gab keinen Schall; die Schwer¬
ter waren ihnen mit Drähten an die Eisenhandfchuhe genäht und
schlotterten herab, in den Helmen steckten keine Köpfe, und wenn sie
sprachen, so sprachen sie alle mit den Lippen der Visire. Das gab so
schauerlichen Klang! -- Aber sie ritten alle friedlich an mir vorüber,
ohne mich zu beachten; nur einer hielt vor mir und hob den schwe-


und ein frischer, mitternächtlicher Wind bewegte die Wipfel der
Bäume. Lässig und monoton, wie der Zeiger einer alten Uhr, ging
die Schilowache auf dem Schloßwalle auf und ab. Ich hatte alle
Luft, mit ihr ein Gespräch anzuknüpfen, aber ich hätte schreien müs¬
sen, um mich verständlich zu machen, und hätte so das ganze Schloß
in Allarm gebracht und mich als furchtsamen Gespenfterseher beim
Schloßhauptmann blamirt. Ich schwieg also, wie sehr wohl mir auch
ein menschlicher Laut in diesem Augenblicke gethan hätte. Mir war
so einsam, als wäre ich Millionen Meilen weit von jeder menschlichen
Seele entfernt, oder als wäre ich unter ein fremdes, fernes Geschlecht
einer fremden, fernen Zeit versetzt, die meine Sprache nicht versteht.
Ich hatte den innigsten Wunsch zu schlafen, aber mein fieberndes Blut
versagte ihn mir und die Erfahrungen, die ich im Bette gemacht, mach
ten es mir unheimlich, wieder dahin zurückzukehren. Ich begann also
im Zimmer umher zu wandern. Aber auch das wurde mir endlich
zu langweilig und ich stand unentschlossen an der Thüre des Waffen¬
saales, ob ich sie öffnen solle, um meinen Wanderungen ein größeres
Gebiet zu geben. Ich horchte: es war so stille da drinnen, wie in
einer Gruft. Mit einem raschen Drucke war die Thüre offen und ich
stand mitten unter Rittern, Landgrafen und Herzögen. Sie sahen
mich so starr an, als wären sie empört über meine Frechheit, die sie
in so später Nacht noch störte. Es ist lächerlich, was ich nun zu
treiben begann. Ich ging von einem eisernen Manne zum andern,
schüttelte jedem die Hand, klopfte hier und da an einen Panzer, öff¬
nete die Visire und sah in das leere Nichts. Hitze und Kälte wech.
selten in meinen Adern, aber mich reizte der unheimliche Umgang.
Zufällig blieb mir ein Flammberg in der Hand und ich stand plötzlich be¬
waffnet mitten in der bewaffneten Schaar. So lehnte ich mich müde und
matt an die Wand, und betrachtete im Mondschein meine ungewöhnliche
Gesellschaft — und so — schlief ich ein, stehend, mit dem Flammberg
in der Hand. Und was träumte ich? Hundert schwarze Ritter rit¬
ten auf schwarzen Rossen an mir vorbei durch den Saal hinaus zum
Fenster durch die Luft, wo sie die Nacht verschlang. Ihre Waffen
rasselten nicht, ihrer Rosse Hufschlag gab keinen Schall; die Schwer¬
ter waren ihnen mit Drähten an die Eisenhandfchuhe genäht und
schlotterten herab, in den Helmen steckten keine Köpfe, und wenn sie
sprachen, so sprachen sie alle mit den Lippen der Visire. Das gab so
schauerlichen Klang! — Aber sie ritten alle friedlich an mir vorüber,
ohne mich zu beachten; nur einer hielt vor mir und hob den schwe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/200>, abgerufen am 24.11.2024.