Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.wurden. Doch konnte man mir weder die Zeit der Uebersiedelung, noch Der Schreiber dieser Zeilen wollte hier ganz einfach auf zwei *) Im deutschen Böhmen.
wurden. Doch konnte man mir weder die Zeit der Uebersiedelung, noch Der Schreiber dieser Zeilen wollte hier ganz einfach auf zwei *) Im deutschen Böhmen.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182601"/> <p xml:id="ID_486" prev="#ID_485"> wurden. Doch konnte man mir weder die Zeit der Uebersiedelung, noch<lb/> die frühere Heimat!) der deutschen Colonisten genau bestimmen. Sie<lb/> treiben keine,: Ackerbau, sondern ernähren sich von einer eigenen Art<lb/> von Manufactur, die sie sich wahrscheinlich selbst hier geschaffen haben.<lb/> Sie machen Siebe und Schachteln, die sie weit und breit verführen.<lb/> Wohl auch als Scherenschleifer durchziehen sie das Land. — Schon<lb/> eine halbe Stunde weit von ihrer jetzigen Heimath hält man sie ihrer<lb/> Sprache wegen oft für weit hergekommene Leute und fragt sie nach<lb/> ihrem Wege, nach ihren Reiseerlebnissen und nach Neuigkeiten aus der<lb/> Fremde — und stehe da, sie sind aus jenem so einsam liegenden Dorfe<lb/> jenseits des kleinen Wäldchens. — Wunderbar ist die Zähigkeit, mit<lb/> welcher diese Deutschen in jenem Theile Böhmens, der von fremden,<lb/> nicht slavischen Elementen am reinsten ist, an ihrer aus weiter Ferne<lb/> mitgebrachten Sprache und Sitte festhalten. Selten, daß einer von<lb/> ihnen nur ein verdorbenes Böhmisch spricht. Doch wenn man die<lb/> Physiognomie eines echten slavischen Landes sehen will, muß man nur<lb/> in diese Gegend reisen, wo sich in den Tiefen der Silber-, Eisen- und<lb/> Kohlenbergwerke, am Meiler des Köhlers im Walde, in den durch<lb/> Schluchten und wildes Gestein versteckten Ortschaften die slavische<lb/> Nationalität am meisten erhalten hat. Ja, die vergoldete Kuppel, die<lb/> sich mitten aus den acht grünen im wahrsten byzantinisch-slavischen<lb/> Style erbauten Thürmen des heiligen Berges erhebt und weit und<lb/> breit das Land überschaut, kann dich, wenn du noch dazu die Gesichter<lb/> der Bewohner betrachtest, einen Augenblick glauben machen, du befin¬<lb/> dest dich mitten in Kleinrußland. Nur die Beamten, und auch diese<lb/> oft sehr schlecht, und nur die Bergknappen, welche das erschöpfte Berg¬<lb/> werk von Joachimsthal *) verlassen haben, um in dem ergiebigen Prczi-<lb/> bramer nach Silber zu graben, sprechen deutsch. — Um wie viel be¬<lb/> wunderungswürdiger ist die Treue, mit welcher die Bewohner des<lb/> „deutschen Dorfes" bei ihrer Muttersprache ausharren. Freilich mischen<lb/> sie sich außer ihrem Handelsverkehr nur sehr wenig unter die um¬<lb/> wohnenden Czechen und bleiben meist in ihrem stillen Dorfe. — Auch<lb/> über diese Insel müßte man auf dem Roczmitaler Oberamte sich eines<lb/> Nähern unterrichten können.</p><lb/> <p xml:id="ID_487" next="#ID_488"> Der Schreiber dieser Zeilen wollte hier ganz einfach auf zwei<lb/> sonderbare Erscheinungen aufmerksam machen: das sind doch mitten<lb/> im katholischen und slavischen Böhmen ein calvinischeö und ein denk--</p><lb/> <note xml:id="FID_11" place="foot"> *) Im deutschen Böhmen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0178]
wurden. Doch konnte man mir weder die Zeit der Uebersiedelung, noch
die frühere Heimat!) der deutschen Colonisten genau bestimmen. Sie
treiben keine,: Ackerbau, sondern ernähren sich von einer eigenen Art
von Manufactur, die sie sich wahrscheinlich selbst hier geschaffen haben.
Sie machen Siebe und Schachteln, die sie weit und breit verführen.
Wohl auch als Scherenschleifer durchziehen sie das Land. — Schon
eine halbe Stunde weit von ihrer jetzigen Heimath hält man sie ihrer
Sprache wegen oft für weit hergekommene Leute und fragt sie nach
ihrem Wege, nach ihren Reiseerlebnissen und nach Neuigkeiten aus der
Fremde — und stehe da, sie sind aus jenem so einsam liegenden Dorfe
jenseits des kleinen Wäldchens. — Wunderbar ist die Zähigkeit, mit
welcher diese Deutschen in jenem Theile Böhmens, der von fremden,
nicht slavischen Elementen am reinsten ist, an ihrer aus weiter Ferne
mitgebrachten Sprache und Sitte festhalten. Selten, daß einer von
ihnen nur ein verdorbenes Böhmisch spricht. Doch wenn man die
Physiognomie eines echten slavischen Landes sehen will, muß man nur
in diese Gegend reisen, wo sich in den Tiefen der Silber-, Eisen- und
Kohlenbergwerke, am Meiler des Köhlers im Walde, in den durch
Schluchten und wildes Gestein versteckten Ortschaften die slavische
Nationalität am meisten erhalten hat. Ja, die vergoldete Kuppel, die
sich mitten aus den acht grünen im wahrsten byzantinisch-slavischen
Style erbauten Thürmen des heiligen Berges erhebt und weit und
breit das Land überschaut, kann dich, wenn du noch dazu die Gesichter
der Bewohner betrachtest, einen Augenblick glauben machen, du befin¬
dest dich mitten in Kleinrußland. Nur die Beamten, und auch diese
oft sehr schlecht, und nur die Bergknappen, welche das erschöpfte Berg¬
werk von Joachimsthal *) verlassen haben, um in dem ergiebigen Prczi-
bramer nach Silber zu graben, sprechen deutsch. — Um wie viel be¬
wunderungswürdiger ist die Treue, mit welcher die Bewohner des
„deutschen Dorfes" bei ihrer Muttersprache ausharren. Freilich mischen
sie sich außer ihrem Handelsverkehr nur sehr wenig unter die um¬
wohnenden Czechen und bleiben meist in ihrem stillen Dorfe. — Auch
über diese Insel müßte man auf dem Roczmitaler Oberamte sich eines
Nähern unterrichten können.
Der Schreiber dieser Zeilen wollte hier ganz einfach auf zwei
sonderbare Erscheinungen aufmerksam machen: das sind doch mitten
im katholischen und slavischen Böhmen ein calvinischeö und ein denk--
*) Im deutschen Böhmen.
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