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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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sen wurden und daß Kurfürst Georg von Sachsen zu Anfang des
dreißigjährigen Krieges sagte: Man müsse allen Groll gegen Oester¬
reich und Katholicismus vergessen, nur um die verfluchten Calvinisten
auszurotten, die ärger seien als alle Türken und Heiden; ferner,
daß im übrigen ganzen Böhmen, bis in's vorige Jahrhundert,
in Kellern und Höhlen, versteckt wie die Albigenser oder die ersten
Christen in den Katakomben Roms, utraquistische Gottesdienste gehal¬
ten wurden und daß erst vor ungefähr sechszig Jahren im Chrudimer
Kreise einige uralte Greise ihre Bibeln mit Thränen an den Bischof
von Königgrätz übergaben und mit so erhabenen eindringlichen Wor¬
ten, daß der Bischof selbst zu Thränen gerührt sich vor dem ältesten
der Greise neigte und um seinen Segen bat: -- bedenkt man Alles
dieses zusammen, so muß man wahrlich staunen, wie dieses kleine wehr¬
lose Häuflein der Landleute in dem Dörflein der Herrschaft Dobrczisch,
trotz der ganz nahen Nachbarschaft der Woborczischter Jesuiten bis
auf den heutigen Tag vor aller Welt den Glauben ihrer Väter be¬
wahrt hat. Ist es vielleicht ein altes Privilegium, das sie beschützte?
-- Das Amt von Dobrczisch oder die Archive von Prag müßten dar¬
über Auskunft geben können. Aber warum sollte just das Privilegium
dieses Dörfchens geachtet worden sein, nachdem man den Majestäts¬
brief zerschnitt und verbrannte? Oder war es vielleicht die dunkle,
abgelegene Waldeinsamkeit jenes Winkels im Berauner Kreise, dahin
sich noch heute nur selten ein Ton der Weltgeschichte verirrt, welche die
Calvinisten vor den Hunden bewahrte, mit denen man einst ihre näch¬
sten Nachbaren zum heiligen Abendmahle in die Kirche hetzte? --
Kaum glaublich, denn die Jesuiten, die im Jahre 1622 nach zwei¬
maliger Verbannung wieder von Ferdinand zurückgerufen wurden, wu߬
ten ebenso gut jeden Winkel des Landes wie jeden Winkel der ein¬
zelnen Herzen auszuspüren. Es wäre wohl der Mühe werth, die Grund¬
lagen dieser einsamen calvinistischen Gemeinde zu erforschen. Als der
Schreiber dieser Zeilen, der in jener Gegend des südlichen Böhmens
zu Hause ist, noch oft dahin zurückkehrte, fehlte ihm noch der Sinn für
dergleichen Dinge; seit er ihm aber aufgegangen und er das Rührende,
zugleich das Seltsame dieser Erscheinung erkannte, haben ihn seine Schick¬
sale aus jenen lieben Gegenden verbannt und er muß die lohnende,
gewiß interessante Erforschung einem Anderen, Glücklicheren überlassen.

Zum ersten Male erfuhr ich von dem calvinischen Dorfe, als
ich einmal in den dreißiger Jahren, von Prag in meine Heimath zu¬
rückkehrend, am späten Abend in einem schlechten Bauernwagen zwi-


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sen wurden und daß Kurfürst Georg von Sachsen zu Anfang des
dreißigjährigen Krieges sagte: Man müsse allen Groll gegen Oester¬
reich und Katholicismus vergessen, nur um die verfluchten Calvinisten
auszurotten, die ärger seien als alle Türken und Heiden; ferner,
daß im übrigen ganzen Böhmen, bis in's vorige Jahrhundert,
in Kellern und Höhlen, versteckt wie die Albigenser oder die ersten
Christen in den Katakomben Roms, utraquistische Gottesdienste gehal¬
ten wurden und daß erst vor ungefähr sechszig Jahren im Chrudimer
Kreise einige uralte Greise ihre Bibeln mit Thränen an den Bischof
von Königgrätz übergaben und mit so erhabenen eindringlichen Wor¬
ten, daß der Bischof selbst zu Thränen gerührt sich vor dem ältesten
der Greise neigte und um seinen Segen bat: — bedenkt man Alles
dieses zusammen, so muß man wahrlich staunen, wie dieses kleine wehr¬
lose Häuflein der Landleute in dem Dörflein der Herrschaft Dobrczisch,
trotz der ganz nahen Nachbarschaft der Woborczischter Jesuiten bis
auf den heutigen Tag vor aller Welt den Glauben ihrer Väter be¬
wahrt hat. Ist es vielleicht ein altes Privilegium, das sie beschützte?
— Das Amt von Dobrczisch oder die Archive von Prag müßten dar¬
über Auskunft geben können. Aber warum sollte just das Privilegium
dieses Dörfchens geachtet worden sein, nachdem man den Majestäts¬
brief zerschnitt und verbrannte? Oder war es vielleicht die dunkle,
abgelegene Waldeinsamkeit jenes Winkels im Berauner Kreise, dahin
sich noch heute nur selten ein Ton der Weltgeschichte verirrt, welche die
Calvinisten vor den Hunden bewahrte, mit denen man einst ihre näch¬
sten Nachbaren zum heiligen Abendmahle in die Kirche hetzte? —
Kaum glaublich, denn die Jesuiten, die im Jahre 1622 nach zwei¬
maliger Verbannung wieder von Ferdinand zurückgerufen wurden, wu߬
ten ebenso gut jeden Winkel des Landes wie jeden Winkel der ein¬
zelnen Herzen auszuspüren. Es wäre wohl der Mühe werth, die Grund¬
lagen dieser einsamen calvinistischen Gemeinde zu erforschen. Als der
Schreiber dieser Zeilen, der in jener Gegend des südlichen Böhmens
zu Hause ist, noch oft dahin zurückkehrte, fehlte ihm noch der Sinn für
dergleichen Dinge; seit er ihm aber aufgegangen und er das Rührende,
zugleich das Seltsame dieser Erscheinung erkannte, haben ihn seine Schick¬
sale aus jenen lieben Gegenden verbannt und er muß die lohnende,
gewiß interessante Erforschung einem Anderen, Glücklicheren überlassen.

Zum ersten Male erfuhr ich von dem calvinischen Dorfe, als
ich einmal in den dreißiger Jahren, von Prag in meine Heimath zu¬
rückkehrend, am späten Abend in einem schlechten Bauernwagen zwi-


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[0175] sen wurden und daß Kurfürst Georg von Sachsen zu Anfang des dreißigjährigen Krieges sagte: Man müsse allen Groll gegen Oester¬ reich und Katholicismus vergessen, nur um die verfluchten Calvinisten auszurotten, die ärger seien als alle Türken und Heiden; ferner, daß im übrigen ganzen Böhmen, bis in's vorige Jahrhundert, in Kellern und Höhlen, versteckt wie die Albigenser oder die ersten Christen in den Katakomben Roms, utraquistische Gottesdienste gehal¬ ten wurden und daß erst vor ungefähr sechszig Jahren im Chrudimer Kreise einige uralte Greise ihre Bibeln mit Thränen an den Bischof von Königgrätz übergaben und mit so erhabenen eindringlichen Wor¬ ten, daß der Bischof selbst zu Thränen gerührt sich vor dem ältesten der Greise neigte und um seinen Segen bat: — bedenkt man Alles dieses zusammen, so muß man wahrlich staunen, wie dieses kleine wehr¬ lose Häuflein der Landleute in dem Dörflein der Herrschaft Dobrczisch, trotz der ganz nahen Nachbarschaft der Woborczischter Jesuiten bis auf den heutigen Tag vor aller Welt den Glauben ihrer Väter be¬ wahrt hat. Ist es vielleicht ein altes Privilegium, das sie beschützte? — Das Amt von Dobrczisch oder die Archive von Prag müßten dar¬ über Auskunft geben können. Aber warum sollte just das Privilegium dieses Dörfchens geachtet worden sein, nachdem man den Majestäts¬ brief zerschnitt und verbrannte? Oder war es vielleicht die dunkle, abgelegene Waldeinsamkeit jenes Winkels im Berauner Kreise, dahin sich noch heute nur selten ein Ton der Weltgeschichte verirrt, welche die Calvinisten vor den Hunden bewahrte, mit denen man einst ihre näch¬ sten Nachbaren zum heiligen Abendmahle in die Kirche hetzte? — Kaum glaublich, denn die Jesuiten, die im Jahre 1622 nach zwei¬ maliger Verbannung wieder von Ferdinand zurückgerufen wurden, wu߬ ten ebenso gut jeden Winkel des Landes wie jeden Winkel der ein¬ zelnen Herzen auszuspüren. Es wäre wohl der Mühe werth, die Grund¬ lagen dieser einsamen calvinistischen Gemeinde zu erforschen. Als der Schreiber dieser Zeilen, der in jener Gegend des südlichen Böhmens zu Hause ist, noch oft dahin zurückkehrte, fehlte ihm noch der Sinn für dergleichen Dinge; seit er ihm aber aufgegangen und er das Rührende, zugleich das Seltsame dieser Erscheinung erkannte, haben ihn seine Schick¬ sale aus jenen lieben Gegenden verbannt und er muß die lohnende, gewiß interessante Erforschung einem Anderen, Glücklicheren überlassen. Zum ersten Male erfuhr ich von dem calvinischen Dorfe, als ich einmal in den dreißiger Jahren, von Prag in meine Heimath zu¬ rückkehrend, am späten Abend in einem schlechten Bauernwagen zwi- 21-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/175>, abgerufen am 27.11.2024.