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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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das Packet, das er auf so harmlose Weise in seinen Besitz genommen
hatte, aus der Tasche seines Paletots zu ziehen.

Die kleinen weißen Kindermützchcn waren es wiederum, die ihm
zuerst in die Hände fielen. Man sah recht, daß er ein alter egoisti¬
scher Hagestolz war, der nie Freude an Kindern erlebt hätte, so würde
er die niedlichen Häubchen nicht mit einem Fluche von sich geworfen
haben. Den Paß kannte er von Außen und wollte ihn wieder ein¬
stecken, öffnete ihn aber doch und las: "Gültig auf sechs Monate.
Wenn ich nur wüßte," murmelte er, "warum das alte Mensch wieder
umgedreht ist -- und was ihr heute auf einmal zustieß. Es war ja,
als ob der Teufel in sie führe."

Er hatte unterdessen das zweite Papier entfaltet und plötzlich
unterlief sein ganzes Gesicht dunkelroth, ein heftiges Zucken machte
sich an seinen Lippen bemerklich und seine Augen funkelten, man hätte
nicht recht gewußt, ob vor Grimm oder vor Freude. Rasch sah er
sich uni, eilt Paar Menschen kamen gegangen, er fuhr mit den Papie¬
ren wieder in seine Tasche und nahm den eiligen Schritt von Neuem
an, der ihn aus der Stadt geführt hatte. Aber kaum war er fünfzig
Schritt gelaufen, als er sich abermals eines Andern besann. "Dum¬
mes Zeug! Ich will sie lieber mitnehmen, der Teufel kann sein Spiel
haben."

Er kehrte um und hatte nichts Geringeres im Sinne, als die
Kindermützchen, die ihm so werthlos erschienen waren, daß er sie auf
die Erde geworfen hatte, wieder aufzuheben. Doch kam er zu spät.
Er wußte nicht mehr genau, wo er sie von sich geschleudert, gewiß
waren die Menschen, denen er begegnet, nicht faul gewesen, den guten
Fund an sich zu nehmen, er sah sie noch in der Ferne und schrie auf
einmal hinter ihnen drein, aber sie hörten nicht auf ihn, sondern setzten
ihren Weg unbekümmert fort, was dann auch mit dem seinigen der
reiche Herr Masser that, ohne die Häubchen wiedergefunden zu haben.

Nicht lange war er aus dein Postamte gegangen, als der Secre-
tär wieder rittlings seinen Arbeitsesel vor dem Schreibepultc bestieg,
auf dem er nun, in Ermangelung pressanter Postsachen, sich an der
Hand einer unsrer aristokratischen Schriftstellerinnen in Regionen gei¬
stig einführen ließ, die ihm künftig auch leiblich (denn er war ein radi¬
kaler Nivelleur, der Herr Postsecretarius) zugänglich werden mußten.
Da klopfte es an der Thüre und störte ihn verdrießlich grade in der
interessantesten Scene zwischen Hugo und der begehrenswürdigen Gräfin.

Herein trat, wie eine Vernichtung aller Illusion, ein altes Weib


das Packet, das er auf so harmlose Weise in seinen Besitz genommen
hatte, aus der Tasche seines Paletots zu ziehen.

Die kleinen weißen Kindermützchcn waren es wiederum, die ihm
zuerst in die Hände fielen. Man sah recht, daß er ein alter egoisti¬
scher Hagestolz war, der nie Freude an Kindern erlebt hätte, so würde
er die niedlichen Häubchen nicht mit einem Fluche von sich geworfen
haben. Den Paß kannte er von Außen und wollte ihn wieder ein¬
stecken, öffnete ihn aber doch und las: „Gültig auf sechs Monate.
Wenn ich nur wüßte," murmelte er, „warum das alte Mensch wieder
umgedreht ist — und was ihr heute auf einmal zustieß. Es war ja,
als ob der Teufel in sie führe."

Er hatte unterdessen das zweite Papier entfaltet und plötzlich
unterlief sein ganzes Gesicht dunkelroth, ein heftiges Zucken machte
sich an seinen Lippen bemerklich und seine Augen funkelten, man hätte
nicht recht gewußt, ob vor Grimm oder vor Freude. Rasch sah er
sich uni, eilt Paar Menschen kamen gegangen, er fuhr mit den Papie¬
ren wieder in seine Tasche und nahm den eiligen Schritt von Neuem
an, der ihn aus der Stadt geführt hatte. Aber kaum war er fünfzig
Schritt gelaufen, als er sich abermals eines Andern besann. „Dum¬
mes Zeug! Ich will sie lieber mitnehmen, der Teufel kann sein Spiel
haben."

Er kehrte um und hatte nichts Geringeres im Sinne, als die
Kindermützchen, die ihm so werthlos erschienen waren, daß er sie auf
die Erde geworfen hatte, wieder aufzuheben. Doch kam er zu spät.
Er wußte nicht mehr genau, wo er sie von sich geschleudert, gewiß
waren die Menschen, denen er begegnet, nicht faul gewesen, den guten
Fund an sich zu nehmen, er sah sie noch in der Ferne und schrie auf
einmal hinter ihnen drein, aber sie hörten nicht auf ihn, sondern setzten
ihren Weg unbekümmert fort, was dann auch mit dem seinigen der
reiche Herr Masser that, ohne die Häubchen wiedergefunden zu haben.

Nicht lange war er aus dein Postamte gegangen, als der Secre-
tär wieder rittlings seinen Arbeitsesel vor dem Schreibepultc bestieg,
auf dem er nun, in Ermangelung pressanter Postsachen, sich an der
Hand einer unsrer aristokratischen Schriftstellerinnen in Regionen gei¬
stig einführen ließ, die ihm künftig auch leiblich (denn er war ein radi¬
kaler Nivelleur, der Herr Postsecretarius) zugänglich werden mußten.
Da klopfte es an der Thüre und störte ihn verdrießlich grade in der
interessantesten Scene zwischen Hugo und der begehrenswürdigen Gräfin.

Herein trat, wie eine Vernichtung aller Illusion, ein altes Weib


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[0147] das Packet, das er auf so harmlose Weise in seinen Besitz genommen hatte, aus der Tasche seines Paletots zu ziehen. Die kleinen weißen Kindermützchcn waren es wiederum, die ihm zuerst in die Hände fielen. Man sah recht, daß er ein alter egoisti¬ scher Hagestolz war, der nie Freude an Kindern erlebt hätte, so würde er die niedlichen Häubchen nicht mit einem Fluche von sich geworfen haben. Den Paß kannte er von Außen und wollte ihn wieder ein¬ stecken, öffnete ihn aber doch und las: „Gültig auf sechs Monate. Wenn ich nur wüßte," murmelte er, „warum das alte Mensch wieder umgedreht ist — und was ihr heute auf einmal zustieß. Es war ja, als ob der Teufel in sie führe." Er hatte unterdessen das zweite Papier entfaltet und plötzlich unterlief sein ganzes Gesicht dunkelroth, ein heftiges Zucken machte sich an seinen Lippen bemerklich und seine Augen funkelten, man hätte nicht recht gewußt, ob vor Grimm oder vor Freude. Rasch sah er sich uni, eilt Paar Menschen kamen gegangen, er fuhr mit den Papie¬ ren wieder in seine Tasche und nahm den eiligen Schritt von Neuem an, der ihn aus der Stadt geführt hatte. Aber kaum war er fünfzig Schritt gelaufen, als er sich abermals eines Andern besann. „Dum¬ mes Zeug! Ich will sie lieber mitnehmen, der Teufel kann sein Spiel haben." Er kehrte um und hatte nichts Geringeres im Sinne, als die Kindermützchen, die ihm so werthlos erschienen waren, daß er sie auf die Erde geworfen hatte, wieder aufzuheben. Doch kam er zu spät. Er wußte nicht mehr genau, wo er sie von sich geschleudert, gewiß waren die Menschen, denen er begegnet, nicht faul gewesen, den guten Fund an sich zu nehmen, er sah sie noch in der Ferne und schrie auf einmal hinter ihnen drein, aber sie hörten nicht auf ihn, sondern setzten ihren Weg unbekümmert fort, was dann auch mit dem seinigen der reiche Herr Masser that, ohne die Häubchen wiedergefunden zu haben. Nicht lange war er aus dein Postamte gegangen, als der Secre- tär wieder rittlings seinen Arbeitsesel vor dem Schreibepultc bestieg, auf dem er nun, in Ermangelung pressanter Postsachen, sich an der Hand einer unsrer aristokratischen Schriftstellerinnen in Regionen gei¬ stig einführen ließ, die ihm künftig auch leiblich (denn er war ein radi¬ kaler Nivelleur, der Herr Postsecretarius) zugänglich werden mußten. Da klopfte es an der Thüre und störte ihn verdrießlich grade in der interessantesten Scene zwischen Hugo und der begehrenswürdigen Gräfin. Herein trat, wie eine Vernichtung aller Illusion, ein altes Weib

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/147>, abgerufen am 23.07.2024.