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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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speciell-wissenschaftlichen Leser irgendwie überwiegend in den Vordergrund,
Eine kräftige Unmittelbarkeit der Naturanschauung, welcher das wissen¬
schaftliche Bewußtsein eher einen poetischen Glanz verleiht, als daß es
dieselbe zur kalten Betrachtung abgeschwächt hatte, durchweht die Schil¬
derungen mit erfrischendem Hauch und einzelne Darstellungen, wie
z. B. die der Erdbeben, würden ebenso würdig in einem reinästheti¬
schen Erzeugniß ihren Platz behaupten. Ein Gesammtüberblick der
Küste Peru's und ihres Charakters, ihrer Naturprodukte und ihrer
Erbverhältnisse schließt diesen ersten Band. Der zweite Theil, dem
man nach diesem Vorläufer nur mit der größten Spannung entgegen-
zusehen vermag, soll die Beschreibung des Innern von Peru bringen.
Die westliche Sierraregion, die Kordillercnkette mit ihren unersteigli-
chen Gipfeln und ihren unermeßlichen Hochebenen, die am Ostabhange
der Anden sich ausbreitenden Urwälder werden dessen Inhalt bilden;
und diesem Allen soll zuletzt in gedrängtem Umrisse die Geschichte der
Ureinwohner Peru's, das Werk abschließend, nachfolgen.

Das Menschen- und Naturleben minder ausgedehnter Landstriche,
doch unter nicht unähnlichen tellurischen und ziemlich ähnlichen klima¬
tischen Verhältnissen umfaßt das Reisewerk des l>>-. Eduard Selberg.
Der Verfasser hatte schon früher eine Arbeit "über die vergangene
und gegenwärtige Lage der Insel Java" herausgegeben und will die
vorliegende Reise als eine Ergänzung derselben aufgefaßt wissen.
Dort sprach er von den politischen Zuständen dieser holländischen Be¬
sitzung, von deren Verwaltung und ihren Ergebnissen; hier beschäftig¬
ten ihn Gegenstände von allgemeinerem Interesse, Land und Volk,
Erlebtes und Erschautes. Das vorliegende Buch gibt also, wenn wir
beide Werke als zusammengehörend auffassen wollen, nach logischer
Strenge die Vor- und Grundlagen des früher erschienenen. -- Drei
Abschnitte gelten der Reise von Amsterdam nach Java und wie in
Tschudi's Werk sich die fernern Ausführungen naturgemäß um Lima
drehen, so die Selberg's um Batavia. Selberg war Arzt in holländischem
Dienst; so ist es wohl natürlich, daß bei ihm die Erscheinungen des
Menschenlebens eine vorwiegendere Wichtigkeit einnehmen, wahrend
dort jene des Naturlebens. Aber in einzelnen Schilderungen begeg¬
nen sich auch beide Reisende und so gibt es interessante Vergleichs¬
punkte in ihren Malereien des südlichen Himmels und seiner Erschei¬
nungen, der Erdbeben, des Lebens der tropischen Menschen. Eine
gewisse verwandtschaftliche Beziehung der ganzen Färbung ist in bei¬
den Büchern durch die gegebenen Vorwürfe bedingt und eine verglei¬
chende Betrachtung der Verschiedenheiten ähnlicher Vorkommnisse drängt
sich uns von selbst entgegen. Auf Java und in den Nachbarländern,
wie in Peru und dem größten Theile Südamerika's, fehlt dem Leben
der innere moralische Kern; hier wie dort herrscht sittliche Erschlaffung,
hier wie dort erstickt im sinnlichen Genuß jegliches höhere Streben.


speciell-wissenschaftlichen Leser irgendwie überwiegend in den Vordergrund,
Eine kräftige Unmittelbarkeit der Naturanschauung, welcher das wissen¬
schaftliche Bewußtsein eher einen poetischen Glanz verleiht, als daß es
dieselbe zur kalten Betrachtung abgeschwächt hatte, durchweht die Schil¬
derungen mit erfrischendem Hauch und einzelne Darstellungen, wie
z. B. die der Erdbeben, würden ebenso würdig in einem reinästheti¬
schen Erzeugniß ihren Platz behaupten. Ein Gesammtüberblick der
Küste Peru's und ihres Charakters, ihrer Naturprodukte und ihrer
Erbverhältnisse schließt diesen ersten Band. Der zweite Theil, dem
man nach diesem Vorläufer nur mit der größten Spannung entgegen-
zusehen vermag, soll die Beschreibung des Innern von Peru bringen.
Die westliche Sierraregion, die Kordillercnkette mit ihren unersteigli-
chen Gipfeln und ihren unermeßlichen Hochebenen, die am Ostabhange
der Anden sich ausbreitenden Urwälder werden dessen Inhalt bilden;
und diesem Allen soll zuletzt in gedrängtem Umrisse die Geschichte der
Ureinwohner Peru's, das Werk abschließend, nachfolgen.

Das Menschen- und Naturleben minder ausgedehnter Landstriche,
doch unter nicht unähnlichen tellurischen und ziemlich ähnlichen klima¬
tischen Verhältnissen umfaßt das Reisewerk des l>>-. Eduard Selberg.
Der Verfasser hatte schon früher eine Arbeit „über die vergangene
und gegenwärtige Lage der Insel Java" herausgegeben und will die
vorliegende Reise als eine Ergänzung derselben aufgefaßt wissen.
Dort sprach er von den politischen Zuständen dieser holländischen Be¬
sitzung, von deren Verwaltung und ihren Ergebnissen; hier beschäftig¬
ten ihn Gegenstände von allgemeinerem Interesse, Land und Volk,
Erlebtes und Erschautes. Das vorliegende Buch gibt also, wenn wir
beide Werke als zusammengehörend auffassen wollen, nach logischer
Strenge die Vor- und Grundlagen des früher erschienenen. — Drei
Abschnitte gelten der Reise von Amsterdam nach Java und wie in
Tschudi's Werk sich die fernern Ausführungen naturgemäß um Lima
drehen, so die Selberg's um Batavia. Selberg war Arzt in holländischem
Dienst; so ist es wohl natürlich, daß bei ihm die Erscheinungen des
Menschenlebens eine vorwiegendere Wichtigkeit einnehmen, wahrend
dort jene des Naturlebens. Aber in einzelnen Schilderungen begeg¬
nen sich auch beide Reisende und so gibt es interessante Vergleichs¬
punkte in ihren Malereien des südlichen Himmels und seiner Erschei¬
nungen, der Erdbeben, des Lebens der tropischen Menschen. Eine
gewisse verwandtschaftliche Beziehung der ganzen Färbung ist in bei¬
den Büchern durch die gegebenen Vorwürfe bedingt und eine verglei¬
chende Betrachtung der Verschiedenheiten ähnlicher Vorkommnisse drängt
sich uns von selbst entgegen. Auf Java und in den Nachbarländern,
wie in Peru und dem größten Theile Südamerika's, fehlt dem Leben
der innere moralische Kern; hier wie dort herrscht sittliche Erschlaffung,
hier wie dort erstickt im sinnlichen Genuß jegliches höhere Streben.


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[0132] speciell-wissenschaftlichen Leser irgendwie überwiegend in den Vordergrund, Eine kräftige Unmittelbarkeit der Naturanschauung, welcher das wissen¬ schaftliche Bewußtsein eher einen poetischen Glanz verleiht, als daß es dieselbe zur kalten Betrachtung abgeschwächt hatte, durchweht die Schil¬ derungen mit erfrischendem Hauch und einzelne Darstellungen, wie z. B. die der Erdbeben, würden ebenso würdig in einem reinästheti¬ schen Erzeugniß ihren Platz behaupten. Ein Gesammtüberblick der Küste Peru's und ihres Charakters, ihrer Naturprodukte und ihrer Erbverhältnisse schließt diesen ersten Band. Der zweite Theil, dem man nach diesem Vorläufer nur mit der größten Spannung entgegen- zusehen vermag, soll die Beschreibung des Innern von Peru bringen. Die westliche Sierraregion, die Kordillercnkette mit ihren unersteigli- chen Gipfeln und ihren unermeßlichen Hochebenen, die am Ostabhange der Anden sich ausbreitenden Urwälder werden dessen Inhalt bilden; und diesem Allen soll zuletzt in gedrängtem Umrisse die Geschichte der Ureinwohner Peru's, das Werk abschließend, nachfolgen. Das Menschen- und Naturleben minder ausgedehnter Landstriche, doch unter nicht unähnlichen tellurischen und ziemlich ähnlichen klima¬ tischen Verhältnissen umfaßt das Reisewerk des l>>-. Eduard Selberg. Der Verfasser hatte schon früher eine Arbeit „über die vergangene und gegenwärtige Lage der Insel Java" herausgegeben und will die vorliegende Reise als eine Ergänzung derselben aufgefaßt wissen. Dort sprach er von den politischen Zuständen dieser holländischen Be¬ sitzung, von deren Verwaltung und ihren Ergebnissen; hier beschäftig¬ ten ihn Gegenstände von allgemeinerem Interesse, Land und Volk, Erlebtes und Erschautes. Das vorliegende Buch gibt also, wenn wir beide Werke als zusammengehörend auffassen wollen, nach logischer Strenge die Vor- und Grundlagen des früher erschienenen. — Drei Abschnitte gelten der Reise von Amsterdam nach Java und wie in Tschudi's Werk sich die fernern Ausführungen naturgemäß um Lima drehen, so die Selberg's um Batavia. Selberg war Arzt in holländischem Dienst; so ist es wohl natürlich, daß bei ihm die Erscheinungen des Menschenlebens eine vorwiegendere Wichtigkeit einnehmen, wahrend dort jene des Naturlebens. Aber in einzelnen Schilderungen begeg¬ nen sich auch beide Reisende und so gibt es interessante Vergleichs¬ punkte in ihren Malereien des südlichen Himmels und seiner Erschei¬ nungen, der Erdbeben, des Lebens der tropischen Menschen. Eine gewisse verwandtschaftliche Beziehung der ganzen Färbung ist in bei¬ den Büchern durch die gegebenen Vorwürfe bedingt und eine verglei¬ chende Betrachtung der Verschiedenheiten ähnlicher Vorkommnisse drängt sich uns von selbst entgegen. Auf Java und in den Nachbarländern, wie in Peru und dem größten Theile Südamerika's, fehlt dem Leben der innere moralische Kern; hier wie dort herrscht sittliche Erschlaffung, hier wie dort erstickt im sinnlichen Genuß jegliches höhere Streben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/132>, abgerufen am 24.11.2024.