Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Börne der österreichischen Unterrichtsanstalten, mit dem Unterschiede
jedoch, daß der Bureaumensch sich wenigstens ausweisen muß durch
volle zwölf Jahre diese Hippokrene getrunken zu haben, wäh¬
rend die Mitglieder hoher Ständeversammlung sitz- und stimm¬
fähig sind, hätten sie auch kein Tröpfchen getrunken; auch kann es
nicht unbemerkt bleiben, daß beinahe ausschließend Mitglieder des
böhmischen Ständekorpus die Geschicke Oesterreichs leiten, und be¬
sonders seit letzter Zeit selbst die wichtigern Aemter der Provinzial-
verwaltung Böhmens, theils verfassungsgemäß, theils aus besonde¬
rer Vorliebe, Mitgliedern der ständischen Körperschaft anvertraut sind.

Der geharnischte Artikel in Ur. 9. ist an einem zwölften Fe¬
bruar geschrieben, der 12. Februar war vordem ein wichtiger Tag
für Oesterreich, seit dieser Tag seine Bedeutung verloren, und der
2. März 1835 eine jährlich wiederkehrende Tralterfeier begründet,
hat sich das ständische Wesen in Böhmen zu regen begonnen, aus
Gründen, die wir nicht näher ausführen mögen --

Anfangs ließ man bloße, aus den Salons in den Ständesaal
übertragene, Personalantipathien, die ersten Vorposten-Gefechte ma¬
chen, man hat einen ständischen Vorstand zum Rücktritte gedrängt,
und sich auf solche Weiseden Anschein der Furchtbarkeit leichten
Kaufes erworben. Das Feld war geräumt, und zwei volle Jahre hat
man leeren Formkämpfen gewidmet, um das Terrain für künftige
Kämpfe zu ebnen; die Negierung gab nach, schien der Kampf doch
nur Formen zu gelten; doch nach den Formen werden die Dinge
selber kommen, und dieselbe Nachgiebigkeit wird dann verlangt
werden.

Ein unbilliges Zumuthen ist es, wenn der bürgerliche (?) Herr
Einsender deö Aufsatzes in Ur. 9. die Sympathien der Intelligenz für
das bisherige ständische Walten in Anspruch nimmt, und meint, es
sei besser daß irgend eine ständische Körperschaft -- wie immer ge¬
staltet -- bestehe, als gar keine, und es seien die Thätigkeits¬
äußerungen der Stände Böhmens freundlich zu begrüßen; -- wie
soll eine Congregation im Volke Wurzel fassen, da Mitglieder nicht
bloß durch wirklichen Besitz, sondern auch durch ehemaligen,
wenn auch längst schon verlorenen, wie durch bloß anz "hoffen¬
den Besitz stimmfähig sind, ist ihnen nur der Adel geblieben, wäh¬
rend ein gutes Viertheil des ständischen Güterbesitzes in Böhmen


Grtiizbote". l8i". II. 2

Börne der österreichischen Unterrichtsanstalten, mit dem Unterschiede
jedoch, daß der Bureaumensch sich wenigstens ausweisen muß durch
volle zwölf Jahre diese Hippokrene getrunken zu haben, wäh¬
rend die Mitglieder hoher Ständeversammlung sitz- und stimm¬
fähig sind, hätten sie auch kein Tröpfchen getrunken; auch kann es
nicht unbemerkt bleiben, daß beinahe ausschließend Mitglieder des
böhmischen Ständekorpus die Geschicke Oesterreichs leiten, und be¬
sonders seit letzter Zeit selbst die wichtigern Aemter der Provinzial-
verwaltung Böhmens, theils verfassungsgemäß, theils aus besonde¬
rer Vorliebe, Mitgliedern der ständischen Körperschaft anvertraut sind.

Der geharnischte Artikel in Ur. 9. ist an einem zwölften Fe¬
bruar geschrieben, der 12. Februar war vordem ein wichtiger Tag
für Oesterreich, seit dieser Tag seine Bedeutung verloren, und der
2. März 1835 eine jährlich wiederkehrende Tralterfeier begründet,
hat sich das ständische Wesen in Böhmen zu regen begonnen, aus
Gründen, die wir nicht näher ausführen mögen —

Anfangs ließ man bloße, aus den Salons in den Ständesaal
übertragene, Personalantipathien, die ersten Vorposten-Gefechte ma¬
chen, man hat einen ständischen Vorstand zum Rücktritte gedrängt,
und sich auf solche Weiseden Anschein der Furchtbarkeit leichten
Kaufes erworben. Das Feld war geräumt, und zwei volle Jahre hat
man leeren Formkämpfen gewidmet, um das Terrain für künftige
Kämpfe zu ebnen; die Negierung gab nach, schien der Kampf doch
nur Formen zu gelten; doch nach den Formen werden die Dinge
selber kommen, und dieselbe Nachgiebigkeit wird dann verlangt
werden.

Ein unbilliges Zumuthen ist es, wenn der bürgerliche (?) Herr
Einsender deö Aufsatzes in Ur. 9. die Sympathien der Intelligenz für
das bisherige ständische Walten in Anspruch nimmt, und meint, es
sei besser daß irgend eine ständische Körperschaft — wie immer ge¬
staltet — bestehe, als gar keine, und es seien die Thätigkeits¬
äußerungen der Stände Böhmens freundlich zu begrüßen; — wie
soll eine Congregation im Volke Wurzel fassen, da Mitglieder nicht
bloß durch wirklichen Besitz, sondern auch durch ehemaligen,
wenn auch längst schon verlorenen, wie durch bloß anz »hoffen¬
den Besitz stimmfähig sind, ist ihnen nur der Adel geblieben, wäh¬
rend ein gutes Viertheil des ständischen Güterbesitzes in Böhmen


Grtiizbote». l8i«. II. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182436"/>
          <p xml:id="ID_23" prev="#ID_22"> Börne der österreichischen Unterrichtsanstalten, mit dem Unterschiede<lb/>
jedoch, daß der Bureaumensch sich wenigstens ausweisen muß durch<lb/>
volle zwölf Jahre diese Hippokrene getrunken zu haben, wäh¬<lb/>
rend die Mitglieder hoher Ständeversammlung sitz- und stimm¬<lb/>
fähig sind, hätten sie auch kein Tröpfchen getrunken; auch kann es<lb/>
nicht unbemerkt bleiben, daß beinahe ausschließend Mitglieder des<lb/>
böhmischen Ständekorpus die Geschicke Oesterreichs leiten, und be¬<lb/>
sonders seit letzter Zeit selbst die wichtigern Aemter der Provinzial-<lb/>
verwaltung Böhmens, theils verfassungsgemäß, theils aus besonde¬<lb/>
rer Vorliebe, Mitgliedern der ständischen Körperschaft anvertraut sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_24"> Der geharnischte Artikel in Ur. 9. ist an einem zwölften Fe¬<lb/>
bruar geschrieben, der 12. Februar war vordem ein wichtiger Tag<lb/>
für Oesterreich, seit dieser Tag seine Bedeutung verloren, und der<lb/>
2. März 1835 eine jährlich wiederkehrende Tralterfeier begründet,<lb/>
hat sich das ständische Wesen in Böhmen zu regen begonnen, aus<lb/>
Gründen, die wir nicht näher ausführen mögen &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_25"> Anfangs ließ man bloße, aus den Salons in den Ständesaal<lb/>
übertragene, Personalantipathien, die ersten Vorposten-Gefechte ma¬<lb/>
chen, man hat einen ständischen Vorstand zum Rücktritte gedrängt,<lb/>
und sich auf solche Weiseden Anschein der Furchtbarkeit leichten<lb/>
Kaufes erworben. Das Feld war geräumt, und zwei volle Jahre hat<lb/>
man leeren Formkämpfen gewidmet, um das Terrain für künftige<lb/>
Kämpfe zu ebnen; die Negierung gab nach, schien der Kampf doch<lb/>
nur Formen zu gelten; doch nach den Formen werden die Dinge<lb/>
selber kommen, und dieselbe Nachgiebigkeit wird dann verlangt<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_26" next="#ID_27"> Ein unbilliges Zumuthen ist es, wenn der bürgerliche (?) Herr<lb/>
Einsender deö Aufsatzes in Ur. 9. die Sympathien der Intelligenz für<lb/>
das bisherige ständische Walten in Anspruch nimmt, und meint, es<lb/>
sei besser daß irgend eine ständische Körperschaft &#x2014; wie immer ge¬<lb/>
staltet &#x2014; bestehe, als gar keine, und es seien die Thätigkeits¬<lb/>
äußerungen der Stände Böhmens freundlich zu begrüßen; &#x2014; wie<lb/>
soll eine Congregation im Volke Wurzel fassen, da Mitglieder nicht<lb/>
bloß durch wirklichen Besitz, sondern auch durch ehemaligen,<lb/>
wenn auch längst schon verlorenen, wie durch bloß anz »hoffen¬<lb/>
den Besitz stimmfähig sind, ist ihnen nur der Adel geblieben, wäh¬<lb/>
rend ein gutes Viertheil des ständischen Güterbesitzes in Böhmen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grtiizbote». l8i«. II. 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] Börne der österreichischen Unterrichtsanstalten, mit dem Unterschiede jedoch, daß der Bureaumensch sich wenigstens ausweisen muß durch volle zwölf Jahre diese Hippokrene getrunken zu haben, wäh¬ rend die Mitglieder hoher Ständeversammlung sitz- und stimm¬ fähig sind, hätten sie auch kein Tröpfchen getrunken; auch kann es nicht unbemerkt bleiben, daß beinahe ausschließend Mitglieder des böhmischen Ständekorpus die Geschicke Oesterreichs leiten, und be¬ sonders seit letzter Zeit selbst die wichtigern Aemter der Provinzial- verwaltung Böhmens, theils verfassungsgemäß, theils aus besonde¬ rer Vorliebe, Mitgliedern der ständischen Körperschaft anvertraut sind. Der geharnischte Artikel in Ur. 9. ist an einem zwölften Fe¬ bruar geschrieben, der 12. Februar war vordem ein wichtiger Tag für Oesterreich, seit dieser Tag seine Bedeutung verloren, und der 2. März 1835 eine jährlich wiederkehrende Tralterfeier begründet, hat sich das ständische Wesen in Böhmen zu regen begonnen, aus Gründen, die wir nicht näher ausführen mögen — Anfangs ließ man bloße, aus den Salons in den Ständesaal übertragene, Personalantipathien, die ersten Vorposten-Gefechte ma¬ chen, man hat einen ständischen Vorstand zum Rücktritte gedrängt, und sich auf solche Weiseden Anschein der Furchtbarkeit leichten Kaufes erworben. Das Feld war geräumt, und zwei volle Jahre hat man leeren Formkämpfen gewidmet, um das Terrain für künftige Kämpfe zu ebnen; die Negierung gab nach, schien der Kampf doch nur Formen zu gelten; doch nach den Formen werden die Dinge selber kommen, und dieselbe Nachgiebigkeit wird dann verlangt werden. Ein unbilliges Zumuthen ist es, wenn der bürgerliche (?) Herr Einsender deö Aufsatzes in Ur. 9. die Sympathien der Intelligenz für das bisherige ständische Walten in Anspruch nimmt, und meint, es sei besser daß irgend eine ständische Körperschaft — wie immer ge¬ staltet — bestehe, als gar keine, und es seien die Thätigkeits¬ äußerungen der Stände Böhmens freundlich zu begrüßen; — wie soll eine Congregation im Volke Wurzel fassen, da Mitglieder nicht bloß durch wirklichen Besitz, sondern auch durch ehemaligen, wenn auch längst schon verlorenen, wie durch bloß anz »hoffen¬ den Besitz stimmfähig sind, ist ihnen nur der Adel geblieben, wäh¬ rend ein gutes Viertheil des ständischen Güterbesitzes in Böhmen Grtiizbote». l8i«. II. 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/13>, abgerufen am 24.11.2024.