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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Gräfin Closet in der unzüchtigsten aller Denkmünzen verewigen ließ, dessen
Minister Flemming sechszehn Millionen Thaler zusammenstahl, der war
freilich Kurfürst von Sachsen und König von Polen zugleich, deutsche
und polnische Wirthschaft reichten sich da die Hände. Aber Misse¬
thaten wie in Baden Durlach mit seinem Hirschpark in Carlsruhe,
Blutsaugereien wie in Vavreuth und Anspach, Ungeheuerlichkeiten
wie die des Jesuitenzöglings Carl Philipp von der Pfalz, haben wir
auf eigener Hand auszuweisen, ja einer Polin, der edlen Tochter So-
biesky's, war diese deutsche Wirthschaft so ungewohnt und uner¬
hört, daß sie sich von ihrem Manne, dem liederlichen Maximilian
Emanuel von Bayern scheiden ließ (1726). Und wo hat die Ge¬
schichte der polnischen Nation ein schwärzeres Blatt auszuweisen als
jenes, welches von dem schändlichen Menschenhandel erzählt, den ein
so winziger mit den großen laubreichen Edelleuten Polens nicht zu
vergleichender, deutscher Reichsfürst wie Friedrich von Gotha begann,
indem er den Holländern drei Regimenter gewaltsam ausgehobenev
Recruten verkaufte! Und jener hessische Friedrich, der gleich auf ein
Mal den zweiunddreißigsten seiner Unterthanen für die englischen Co-
lonien verkaufte (I2,VW Mann), und die Väter mit dem Halseisen,
die Mütter mit dem Zuchthause strafte, wenn sie sich beklagten. Und
Hanau, Waldeck, Würtemberg, der Bischof von Münster -c>; die
kleinsten Machthaber durften ungestört Aehnliches wagen. ?resiiue
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quieres in seinen Memoiren. Und all diesen Gräuel der Regel
und nicht Ausnahme war -- finden wir in einem einzigen Jahr¬
hundert beisammen, im vorigen Jahrhundert. Wir brauchen nicht
ein Mal in's siebzehnte zurück zu greifen, nein dasselbe Säculum, in
welchem Polen als ein von tausend Edelleuten verwahrlostes, zersplittertes
Land zertheilt ward, hat Alles dieses beisammen, Felonie, Maitressen¬
herrschaft, Bauernschinder, Menschenhandel, Recht und Satzung kaum
geordnet und noch weniger geachtet! Und man spricht von Polen als
von einem Institut des Mittelalters!

Freilich Polen hat die französische Revolution, diese große Schule
der Fürsten und Völker nicht erlebt. Es hat nicht Zeit gehabt sich
zu besinnen und zu sammeln wie die erstern und zum Bewußt¬
sein zu kommen wie die letztern. Es hat nicht Zeit gehabt ein Staat
im modernen Sinne zu werden, weil der moderne Staatsbegriff erst
seit jener Zeit zur Geltung gekommen ist. Ohne jene furchtbare
Lehrmeisterin hätten wir in vielen Staaten die "polnische Wirthschaft,"
noch bis auf den heutigen Tag, ja hätte nicht jener Titan, der aus
ihrem Krater hervocgestiegen, seine Kriegsfackel zum Scheiterhaufen
für die Unabhängigkeit von ganz Europa gemacht, Deutschland allein
wäre ihm erlegen, es hatte vielleicht in diesem Jahrhundert das Schick¬
sal gefunden, das Polen im vorigen ereilte und ein fremder Publicist


Gräfin Closet in der unzüchtigsten aller Denkmünzen verewigen ließ, dessen
Minister Flemming sechszehn Millionen Thaler zusammenstahl, der war
freilich Kurfürst von Sachsen und König von Polen zugleich, deutsche
und polnische Wirthschaft reichten sich da die Hände. Aber Misse¬
thaten wie in Baden Durlach mit seinem Hirschpark in Carlsruhe,
Blutsaugereien wie in Vavreuth und Anspach, Ungeheuerlichkeiten
wie die des Jesuitenzöglings Carl Philipp von der Pfalz, haben wir
auf eigener Hand auszuweisen, ja einer Polin, der edlen Tochter So-
biesky's, war diese deutsche Wirthschaft so ungewohnt und uner¬
hört, daß sie sich von ihrem Manne, dem liederlichen Maximilian
Emanuel von Bayern scheiden ließ (1726). Und wo hat die Ge¬
schichte der polnischen Nation ein schwärzeres Blatt auszuweisen als
jenes, welches von dem schändlichen Menschenhandel erzählt, den ein
so winziger mit den großen laubreichen Edelleuten Polens nicht zu
vergleichender, deutscher Reichsfürst wie Friedrich von Gotha begann,
indem er den Holländern drei Regimenter gewaltsam ausgehobenev
Recruten verkaufte! Und jener hessische Friedrich, der gleich auf ein
Mal den zweiunddreißigsten seiner Unterthanen für die englischen Co-
lonien verkaufte (I2,VW Mann), und die Väter mit dem Halseisen,
die Mütter mit dem Zuchthause strafte, wenn sie sich beklagten. Und
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und nicht Ausnahme war — finden wir in einem einzigen Jahr¬
hundert beisammen, im vorigen Jahrhundert. Wir brauchen nicht
ein Mal in's siebzehnte zurück zu greifen, nein dasselbe Säculum, in
welchem Polen als ein von tausend Edelleuten verwahrlostes, zersplittertes
Land zertheilt ward, hat Alles dieses beisammen, Felonie, Maitressen¬
herrschaft, Bauernschinder, Menschenhandel, Recht und Satzung kaum
geordnet und noch weniger geachtet! Und man spricht von Polen als
von einem Institut des Mittelalters!

Freilich Polen hat die französische Revolution, diese große Schule
der Fürsten und Völker nicht erlebt. Es hat nicht Zeit gehabt sich
zu besinnen und zu sammeln wie die erstern und zum Bewußt¬
sein zu kommen wie die letztern. Es hat nicht Zeit gehabt ein Staat
im modernen Sinne zu werden, weil der moderne Staatsbegriff erst
seit jener Zeit zur Geltung gekommen ist. Ohne jene furchtbare
Lehrmeisterin hätten wir in vielen Staaten die „polnische Wirthschaft,"
noch bis auf den heutigen Tag, ja hätte nicht jener Titan, der aus
ihrem Krater hervocgestiegen, seine Kriegsfackel zum Scheiterhaufen
für die Unabhängigkeit von ganz Europa gemacht, Deutschland allein
wäre ihm erlegen, es hatte vielleicht in diesem Jahrhundert das Schick¬
sal gefunden, das Polen im vorigen ereilte und ein fremder Publicist


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[0127] Gräfin Closet in der unzüchtigsten aller Denkmünzen verewigen ließ, dessen Minister Flemming sechszehn Millionen Thaler zusammenstahl, der war freilich Kurfürst von Sachsen und König von Polen zugleich, deutsche und polnische Wirthschaft reichten sich da die Hände. Aber Misse¬ thaten wie in Baden Durlach mit seinem Hirschpark in Carlsruhe, Blutsaugereien wie in Vavreuth und Anspach, Ungeheuerlichkeiten wie die des Jesuitenzöglings Carl Philipp von der Pfalz, haben wir auf eigener Hand auszuweisen, ja einer Polin, der edlen Tochter So- biesky's, war diese deutsche Wirthschaft so ungewohnt und uner¬ hört, daß sie sich von ihrem Manne, dem liederlichen Maximilian Emanuel von Bayern scheiden ließ (1726). Und wo hat die Ge¬ schichte der polnischen Nation ein schwärzeres Blatt auszuweisen als jenes, welches von dem schändlichen Menschenhandel erzählt, den ein so winziger mit den großen laubreichen Edelleuten Polens nicht zu vergleichender, deutscher Reichsfürst wie Friedrich von Gotha begann, indem er den Holländern drei Regimenter gewaltsam ausgehobenev Recruten verkaufte! Und jener hessische Friedrich, der gleich auf ein Mal den zweiunddreißigsten seiner Unterthanen für die englischen Co- lonien verkaufte (I2,VW Mann), und die Väter mit dem Halseisen, die Mütter mit dem Zuchthause strafte, wenn sie sich beklagten. Und Hanau, Waldeck, Würtemberg, der Bischof von Münster -c>; die kleinsten Machthaber durften ungestört Aehnliches wagen. ?resiiue lulls in'iiiLW itllkmitiujs Lond Mi«r0>litr>it8 «i'iilimmes sagt Feu- quieres in seinen Memoiren. Und all diesen Gräuel der Regel und nicht Ausnahme war — finden wir in einem einzigen Jahr¬ hundert beisammen, im vorigen Jahrhundert. Wir brauchen nicht ein Mal in's siebzehnte zurück zu greifen, nein dasselbe Säculum, in welchem Polen als ein von tausend Edelleuten verwahrlostes, zersplittertes Land zertheilt ward, hat Alles dieses beisammen, Felonie, Maitressen¬ herrschaft, Bauernschinder, Menschenhandel, Recht und Satzung kaum geordnet und noch weniger geachtet! Und man spricht von Polen als von einem Institut des Mittelalters! Freilich Polen hat die französische Revolution, diese große Schule der Fürsten und Völker nicht erlebt. Es hat nicht Zeit gehabt sich zu besinnen und zu sammeln wie die erstern und zum Bewußt¬ sein zu kommen wie die letztern. Es hat nicht Zeit gehabt ein Staat im modernen Sinne zu werden, weil der moderne Staatsbegriff erst seit jener Zeit zur Geltung gekommen ist. Ohne jene furchtbare Lehrmeisterin hätten wir in vielen Staaten die „polnische Wirthschaft," noch bis auf den heutigen Tag, ja hätte nicht jener Titan, der aus ihrem Krater hervocgestiegen, seine Kriegsfackel zum Scheiterhaufen für die Unabhängigkeit von ganz Europa gemacht, Deutschland allein wäre ihm erlegen, es hatte vielleicht in diesem Jahrhundert das Schick¬ sal gefunden, das Polen im vorigen ereilte und ein fremder Publicist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/127>, abgerufen am 23.07.2024.