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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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köstigung ihrer Leute nach englischer Weise zu sorgen, wie dirs
bereits von mehrern Fabrikbesitzern geschehen ist.

Aber was werden Sie erst dazu sagen, daß man in Paris ei¬
nen Verein gegen Thierquälerei nach dem Muster ähnlicher Ver¬
eine in Deutschland und England gründen will? Und ich bin
überzeugt, daß hier, wo Jo ridiculv zum Theil noch das größte
Verbrechen ist und der Witz die Stelle des altrömischen Censors,
des Sittenrichters, einnimmt, die Antithierquälervereine nicht so sehr
Gegenstand der allgemeinen Spottlust sein werden, wie in Deutsch¬
land; denn gewiß werden sie sich weniger lächerlich machen und
vor Allem nicht jeden Augenblick an den Mangel anderer Vereine
erinnern. Ein Verein gegen Menschenquälerei ist nämlich das
französische Volk selber. Auch haben unsere deutschen Thierquäler-
vereine einen sentimentalen oder pietistischen Beigeschmack, der hier
unmöglich ist. Endlich kommt in Deutschland jene kleinstädtische
Wichtigmacherei und Pedanterie dazu, die hier ebenfalls nicht auf¬
kommen kann. Ich sehe schon, der Charivari wird mit diesen Ver¬
einen schwerer fertig werden, als mit der Deputirtenkammer und
Herrn Guizot. Charakteristisch ist schon das Auftreten der ersten
Agitatoren zu Gunsten der Thierwelt. Die Argumente, die z. B.
der Thierarzt Gire geltend macht, wenden sich rein an den Ver¬
stand und das Interesse. Die Pferde, sagt er, werden durch häu¬
fige Mißhandlungen boshaft und tückisch (wie einzelne Menschen
und ganze Nationen); das Schlachtvieh, wenn es mit Schlägen
überhäuft wird, giebt schlechtes Fleisch ?c.; erst zum Schluß wen¬
det sich Herr Gire an das moralische Gefühl des Publicums. Die
Hauptsache aber ist I-" i-i^Ile^e pudliquo.

Ein anderer Thierfreund, Professor Moll, appellirt vor allem
an das Nationalgefühl und legt den Franzosen seine Schützlinge
unter den üblichen dicken Artigkeiten an'ö Herz, ohne doch unan¬
genehme Wahrheiten zu verschweigen. "Wir sind unstreitig", sagt
er in einem hiesigen Journal, "das sanfteste, höflichste und, ich kann
hinzufügen, das humanste Volk der Welt. Zum Beweise dient
die schmerzliche Sensation, welche die Dahragrottenaffaire hervor¬
brachte, die in jedem andern Lande unbeachtet vorbeigegangen wäre. (?)
Und doch, mit all jenen Eigenschaften, zeigen wir gegen unsere
Hausthiere eine Grausamkeit, wie kein anderes Volk auf Erden,


köstigung ihrer Leute nach englischer Weise zu sorgen, wie dirs
bereits von mehrern Fabrikbesitzern geschehen ist.

Aber was werden Sie erst dazu sagen, daß man in Paris ei¬
nen Verein gegen Thierquälerei nach dem Muster ähnlicher Ver¬
eine in Deutschland und England gründen will? Und ich bin
überzeugt, daß hier, wo Jo ridiculv zum Theil noch das größte
Verbrechen ist und der Witz die Stelle des altrömischen Censors,
des Sittenrichters, einnimmt, die Antithierquälervereine nicht so sehr
Gegenstand der allgemeinen Spottlust sein werden, wie in Deutsch¬
land; denn gewiß werden sie sich weniger lächerlich machen und
vor Allem nicht jeden Augenblick an den Mangel anderer Vereine
erinnern. Ein Verein gegen Menschenquälerei ist nämlich das
französische Volk selber. Auch haben unsere deutschen Thierquäler-
vereine einen sentimentalen oder pietistischen Beigeschmack, der hier
unmöglich ist. Endlich kommt in Deutschland jene kleinstädtische
Wichtigmacherei und Pedanterie dazu, die hier ebenfalls nicht auf¬
kommen kann. Ich sehe schon, der Charivari wird mit diesen Ver¬
einen schwerer fertig werden, als mit der Deputirtenkammer und
Herrn Guizot. Charakteristisch ist schon das Auftreten der ersten
Agitatoren zu Gunsten der Thierwelt. Die Argumente, die z. B.
der Thierarzt Gire geltend macht, wenden sich rein an den Ver¬
stand und das Interesse. Die Pferde, sagt er, werden durch häu¬
fige Mißhandlungen boshaft und tückisch (wie einzelne Menschen
und ganze Nationen); das Schlachtvieh, wenn es mit Schlägen
überhäuft wird, giebt schlechtes Fleisch ?c.; erst zum Schluß wen¬
det sich Herr Gire an das moralische Gefühl des Publicums. Die
Hauptsache aber ist I-» i-i^Ile^e pudliquo.

Ein anderer Thierfreund, Professor Moll, appellirt vor allem
an das Nationalgefühl und legt den Franzosen seine Schützlinge
unter den üblichen dicken Artigkeiten an'ö Herz, ohne doch unan¬
genehme Wahrheiten zu verschweigen. „Wir sind unstreitig", sagt
er in einem hiesigen Journal, „das sanfteste, höflichste und, ich kann
hinzufügen, das humanste Volk der Welt. Zum Beweise dient
die schmerzliche Sensation, welche die Dahragrottenaffaire hervor¬
brachte, die in jedem andern Lande unbeachtet vorbeigegangen wäre. (?)
Und doch, mit all jenen Eigenschaften, zeigen wir gegen unsere
Hausthiere eine Grausamkeit, wie kein anderes Volk auf Erden,


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[0010] köstigung ihrer Leute nach englischer Weise zu sorgen, wie dirs bereits von mehrern Fabrikbesitzern geschehen ist. Aber was werden Sie erst dazu sagen, daß man in Paris ei¬ nen Verein gegen Thierquälerei nach dem Muster ähnlicher Ver¬ eine in Deutschland und England gründen will? Und ich bin überzeugt, daß hier, wo Jo ridiculv zum Theil noch das größte Verbrechen ist und der Witz die Stelle des altrömischen Censors, des Sittenrichters, einnimmt, die Antithierquälervereine nicht so sehr Gegenstand der allgemeinen Spottlust sein werden, wie in Deutsch¬ land; denn gewiß werden sie sich weniger lächerlich machen und vor Allem nicht jeden Augenblick an den Mangel anderer Vereine erinnern. Ein Verein gegen Menschenquälerei ist nämlich das französische Volk selber. Auch haben unsere deutschen Thierquäler- vereine einen sentimentalen oder pietistischen Beigeschmack, der hier unmöglich ist. Endlich kommt in Deutschland jene kleinstädtische Wichtigmacherei und Pedanterie dazu, die hier ebenfalls nicht auf¬ kommen kann. Ich sehe schon, der Charivari wird mit diesen Ver¬ einen schwerer fertig werden, als mit der Deputirtenkammer und Herrn Guizot. Charakteristisch ist schon das Auftreten der ersten Agitatoren zu Gunsten der Thierwelt. Die Argumente, die z. B. der Thierarzt Gire geltend macht, wenden sich rein an den Ver¬ stand und das Interesse. Die Pferde, sagt er, werden durch häu¬ fige Mißhandlungen boshaft und tückisch (wie einzelne Menschen und ganze Nationen); das Schlachtvieh, wenn es mit Schlägen überhäuft wird, giebt schlechtes Fleisch ?c.; erst zum Schluß wen¬ det sich Herr Gire an das moralische Gefühl des Publicums. Die Hauptsache aber ist I-» i-i^Ile^e pudliquo. Ein anderer Thierfreund, Professor Moll, appellirt vor allem an das Nationalgefühl und legt den Franzosen seine Schützlinge unter den üblichen dicken Artigkeiten an'ö Herz, ohne doch unan¬ genehme Wahrheiten zu verschweigen. „Wir sind unstreitig", sagt er in einem hiesigen Journal, „das sanfteste, höflichste und, ich kann hinzufügen, das humanste Volk der Welt. Zum Beweise dient die schmerzliche Sensation, welche die Dahragrottenaffaire hervor¬ brachte, die in jedem andern Lande unbeachtet vorbeigegangen wäre. (?) Und doch, mit all jenen Eigenschaften, zeigen wir gegen unsere Hausthiere eine Grausamkeit, wie kein anderes Volk auf Erden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/10>, abgerufen am 24.11.2024.