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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Beobachtung zufolge das Meer um die Insel her immer tiefer wird.
ES ist also dein Ocean vorbehalten, das beeinträchtigte Deutschland
am kieler Frieden zu rächen, und die Engländer werden sich ihre Hum¬
mern anderswo holen müssen; jedenfalls ein graziöser, aber ächt deut¬
scher politischer Trost. In einem ernsten Sinne jedoch kann man solche
herandrvhende Zustände nicht ohne einen Anflug von cosmogonischen
Pathos in's Auge fassen. Was an Helgoland im Kleinen unver¬
meidlich ist, das muß ja wohl im Großen zuletzt unserer alten Frau
Mutter Erde, wie sie gewachsen ist, mit aller Haut und allem Haare
begegnen: die schmeichelnden Fluthen werden ihr zuletzt das Herzband
ablösen, und die Gute wird als ein sentimentaler Blaustrumpf am
gebrochenen Herzen im Wasser enden; es müßte denn sein, daß, von
der trotz alles Hengstbcrg- oder Berghengstgewicherö immer höher und
höher an ihren Hals tretenden Sündfluth der Vernunft zur Verzweif¬
lung getrieben, die Frommen alles Holzwerk anzündeten und uns
sämmtlichen Zwei- und Vierfüßlern einen Untergang im höllischen
Feuer bereiteten. Ersäufen oder Verbrennen, eins von den beiden!
Wir können uus höchstens gratuliren, wenn wir noch einen geringen
Aufschub zum Einpacken erhalten. Schade nur, daß einstweilen einige
Ertraschelme, welche unserer guten Mutter Erde grade im lieben Deutsch¬
land diese Zeit daher so manches Gliederreißen und Herzklopfen erregt
haben, auch noch salvirt werden und nicht wenigstens auf Abschlag
einem Andromedosungeheuer, das aus dem Seewasser heranschnappte,
oder einem Molochsdrachen aus dem infernalischen Flammenschlunde
zugeschoben werden können. So müssen sich Gute und Böse gedulden
und kommen, zuletzt, aller Wahrscheinlichkeit nach, wie bisher immer,
in eine gemeinsame Patsche. Uebrigens mit Herrn Dingelstedt über
das künftige Schicksal der Helgolander (ein paar hundert Jahre gibt
man ihnen noch Zeit) einstweilen zu weinen, finden wir durchaus be¬
denklich, da in solchem Falle allzuschwer abzusehen ist, wo eigentlich
unser Jammer über das Loos der Mitmenschen anfangen und wo er
aufhören soll. Wir sagen dies blos, damit Niemand den Verdacht
hege, als hätten wir ein Herz von Stein oder Eisen: unsere Grau¬
samkeit ist, wie die der Staatsleute, bloßer Grundsatz.

Nach einer vortrefflichen Abendmahlzeit in einem andern höchst
empfehlenswerthen Gasthause der Insel, bei Herrn Siemers, wo
sich ein mitreisender Freund untergethan hatte, bei welcher uns die
herrlichsten frischgebratenen Seezungen zu einem sehr guten Se. Julien,
und, wer dazu Heroenmuth genug besaß, eine abermalige frische Auf-


Beobachtung zufolge das Meer um die Insel her immer tiefer wird.
ES ist also dein Ocean vorbehalten, das beeinträchtigte Deutschland
am kieler Frieden zu rächen, und die Engländer werden sich ihre Hum¬
mern anderswo holen müssen; jedenfalls ein graziöser, aber ächt deut¬
scher politischer Trost. In einem ernsten Sinne jedoch kann man solche
herandrvhende Zustände nicht ohne einen Anflug von cosmogonischen
Pathos in's Auge fassen. Was an Helgoland im Kleinen unver¬
meidlich ist, das muß ja wohl im Großen zuletzt unserer alten Frau
Mutter Erde, wie sie gewachsen ist, mit aller Haut und allem Haare
begegnen: die schmeichelnden Fluthen werden ihr zuletzt das Herzband
ablösen, und die Gute wird als ein sentimentaler Blaustrumpf am
gebrochenen Herzen im Wasser enden; es müßte denn sein, daß, von
der trotz alles Hengstbcrg- oder Berghengstgewicherö immer höher und
höher an ihren Hals tretenden Sündfluth der Vernunft zur Verzweif¬
lung getrieben, die Frommen alles Holzwerk anzündeten und uns
sämmtlichen Zwei- und Vierfüßlern einen Untergang im höllischen
Feuer bereiteten. Ersäufen oder Verbrennen, eins von den beiden!
Wir können uus höchstens gratuliren, wenn wir noch einen geringen
Aufschub zum Einpacken erhalten. Schade nur, daß einstweilen einige
Ertraschelme, welche unserer guten Mutter Erde grade im lieben Deutsch¬
land diese Zeit daher so manches Gliederreißen und Herzklopfen erregt
haben, auch noch salvirt werden und nicht wenigstens auf Abschlag
einem Andromedosungeheuer, das aus dem Seewasser heranschnappte,
oder einem Molochsdrachen aus dem infernalischen Flammenschlunde
zugeschoben werden können. So müssen sich Gute und Böse gedulden
und kommen, zuletzt, aller Wahrscheinlichkeit nach, wie bisher immer,
in eine gemeinsame Patsche. Uebrigens mit Herrn Dingelstedt über
das künftige Schicksal der Helgolander (ein paar hundert Jahre gibt
man ihnen noch Zeit) einstweilen zu weinen, finden wir durchaus be¬
denklich, da in solchem Falle allzuschwer abzusehen ist, wo eigentlich
unser Jammer über das Loos der Mitmenschen anfangen und wo er
aufhören soll. Wir sagen dies blos, damit Niemand den Verdacht
hege, als hätten wir ein Herz von Stein oder Eisen: unsere Grau¬
samkeit ist, wie die der Staatsleute, bloßer Grundsatz.

Nach einer vortrefflichen Abendmahlzeit in einem andern höchst
empfehlenswerthen Gasthause der Insel, bei Herrn Siemers, wo
sich ein mitreisender Freund untergethan hatte, bei welcher uns die
herrlichsten frischgebratenen Seezungen zu einem sehr guten Se. Julien,
und, wer dazu Heroenmuth genug besaß, eine abermalige frische Auf-


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[0072] Beobachtung zufolge das Meer um die Insel her immer tiefer wird. ES ist also dein Ocean vorbehalten, das beeinträchtigte Deutschland am kieler Frieden zu rächen, und die Engländer werden sich ihre Hum¬ mern anderswo holen müssen; jedenfalls ein graziöser, aber ächt deut¬ scher politischer Trost. In einem ernsten Sinne jedoch kann man solche herandrvhende Zustände nicht ohne einen Anflug von cosmogonischen Pathos in's Auge fassen. Was an Helgoland im Kleinen unver¬ meidlich ist, das muß ja wohl im Großen zuletzt unserer alten Frau Mutter Erde, wie sie gewachsen ist, mit aller Haut und allem Haare begegnen: die schmeichelnden Fluthen werden ihr zuletzt das Herzband ablösen, und die Gute wird als ein sentimentaler Blaustrumpf am gebrochenen Herzen im Wasser enden; es müßte denn sein, daß, von der trotz alles Hengstbcrg- oder Berghengstgewicherö immer höher und höher an ihren Hals tretenden Sündfluth der Vernunft zur Verzweif¬ lung getrieben, die Frommen alles Holzwerk anzündeten und uns sämmtlichen Zwei- und Vierfüßlern einen Untergang im höllischen Feuer bereiteten. Ersäufen oder Verbrennen, eins von den beiden! Wir können uus höchstens gratuliren, wenn wir noch einen geringen Aufschub zum Einpacken erhalten. Schade nur, daß einstweilen einige Ertraschelme, welche unserer guten Mutter Erde grade im lieben Deutsch¬ land diese Zeit daher so manches Gliederreißen und Herzklopfen erregt haben, auch noch salvirt werden und nicht wenigstens auf Abschlag einem Andromedosungeheuer, das aus dem Seewasser heranschnappte, oder einem Molochsdrachen aus dem infernalischen Flammenschlunde zugeschoben werden können. So müssen sich Gute und Böse gedulden und kommen, zuletzt, aller Wahrscheinlichkeit nach, wie bisher immer, in eine gemeinsame Patsche. Uebrigens mit Herrn Dingelstedt über das künftige Schicksal der Helgolander (ein paar hundert Jahre gibt man ihnen noch Zeit) einstweilen zu weinen, finden wir durchaus be¬ denklich, da in solchem Falle allzuschwer abzusehen ist, wo eigentlich unser Jammer über das Loos der Mitmenschen anfangen und wo er aufhören soll. Wir sagen dies blos, damit Niemand den Verdacht hege, als hätten wir ein Herz von Stein oder Eisen: unsere Grau¬ samkeit ist, wie die der Staatsleute, bloßer Grundsatz. Nach einer vortrefflichen Abendmahlzeit in einem andern höchst empfehlenswerthen Gasthause der Insel, bei Herrn Siemers, wo sich ein mitreisender Freund untergethan hatte, bei welcher uns die herrlichsten frischgebratenen Seezungen zu einem sehr guten Se. Julien, und, wer dazu Heroenmuth genug besaß, eine abermalige frische Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/72>, abgerufen am 04.07.2024.