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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Entschluß zu entschlagen, die geistlichen Ohrenbläser, die ihm weiß-
machen wollen, er gehe das Seelenheil der Seinen oder das Seelen¬
heil der Seinen gehe ihn an, so lange noch in allen seinen Bewc-
gungskreisen auch nur Ein menschliches Wesen weilt, dem es durch
öffentliche Versäumniß am oder im Leiblichen fehlt, meinetwegen als
Missionäre über den Ganges zu jagen und jeden für einen Hochver¬
räther zu erklären, der den freien Gedanken und daS freie Wort fortan
zu fesseln riethe! Doch o, wohin verirren wir uns? Will dieser ewige,
tiefe Schmerz nicht weichen? Wird diese Last, ein deutsches Herz zu
tragen, nie leichter werden? Soll, ein deutsches Herz im Busen zu
tragen, fort und fort nur heißen, zu ewigem Schmerz und zu ewiger
Beschämung verurtheilt zu bleiben?

Dieser helgolandische Ausräucherer der Starkgcistigleit hatte in
seiner Art etwas Militärisches. Nach beendigtem, in der That und
alles Ernstes sei es gesagt, zu einer Kinderlehre wie die Faust auf's
Auge passendem Sermon, sagten die Kinder ansehnlich lange Bibel-
stellen und Sprüche in einer, wie es schien, seinerseits lediglich durch
Winke bestimmten Folge her, wobei er selbst, den Finger zwischen dem
aufgeschlagenen Buche haltend, mit schwer aufstapfendem und weithin
hallendem Kürassiertritt, gleich einer auf- und abschreitenden Schild¬
wache an der Fronte seines Häufleins hin und her wandelte, eine
Haltung, die uns gegen die Kinder etwas Einschüchterndes und Zu¬
rückschreckendes, gegen die übrigen Zuhörer aber etwas durchaus den
Eindruck eines mechanischen Ableiernlassens zu haben schien, und ganz
gewiß unendlich eher in einer Strafanstalt, als in einer Kirche an
ihrem Platz gewesen wäre. Was machen aber die Pastoren öfter und
lieber aus der Kirche, als ein Zuchthaus des lieben Gottes und sich
zu des lieben Gottes Steckenknechten und Gcneralprofoßen? Diese
biedern Helgolander, was müssen sie für treue, redliche Seelen fein,
da sie auch von diesem geistlichen Feuerwerker und Bombardier nur
mit Ehrerbietung und sichtbarer Erkenntlichkeit redeten: er dürfte ihnen
also wohl die starken Geister in etwas minder sacramentalischem Lichte
vormalen. Wie leicht vollends und erfreulich, sollte mau denken, müßte
unter den Kindern einer so harmlosen, unverdorbenen, durch Natur
und Leben auf die Gottesfurcht von Haus aus hingewiefenen Bevöl¬
kerung der Beruf werden, die jungeu Herzen nach oben zu lenken
und ihnen die ersten und nothwendigsten Begriffe einer göttlichen Welt¬
ordnung beizubringen. Hier aber schien es lediglich auf eine Hand-


Entschluß zu entschlagen, die geistlichen Ohrenbläser, die ihm weiß-
machen wollen, er gehe das Seelenheil der Seinen oder das Seelen¬
heil der Seinen gehe ihn an, so lange noch in allen seinen Bewc-
gungskreisen auch nur Ein menschliches Wesen weilt, dem es durch
öffentliche Versäumniß am oder im Leiblichen fehlt, meinetwegen als
Missionäre über den Ganges zu jagen und jeden für einen Hochver¬
räther zu erklären, der den freien Gedanken und daS freie Wort fortan
zu fesseln riethe! Doch o, wohin verirren wir uns? Will dieser ewige,
tiefe Schmerz nicht weichen? Wird diese Last, ein deutsches Herz zu
tragen, nie leichter werden? Soll, ein deutsches Herz im Busen zu
tragen, fort und fort nur heißen, zu ewigem Schmerz und zu ewiger
Beschämung verurtheilt zu bleiben?

Dieser helgolandische Ausräucherer der Starkgcistigleit hatte in
seiner Art etwas Militärisches. Nach beendigtem, in der That und
alles Ernstes sei es gesagt, zu einer Kinderlehre wie die Faust auf's
Auge passendem Sermon, sagten die Kinder ansehnlich lange Bibel-
stellen und Sprüche in einer, wie es schien, seinerseits lediglich durch
Winke bestimmten Folge her, wobei er selbst, den Finger zwischen dem
aufgeschlagenen Buche haltend, mit schwer aufstapfendem und weithin
hallendem Kürassiertritt, gleich einer auf- und abschreitenden Schild¬
wache an der Fronte seines Häufleins hin und her wandelte, eine
Haltung, die uns gegen die Kinder etwas Einschüchterndes und Zu¬
rückschreckendes, gegen die übrigen Zuhörer aber etwas durchaus den
Eindruck eines mechanischen Ableiernlassens zu haben schien, und ganz
gewiß unendlich eher in einer Strafanstalt, als in einer Kirche an
ihrem Platz gewesen wäre. Was machen aber die Pastoren öfter und
lieber aus der Kirche, als ein Zuchthaus des lieben Gottes und sich
zu des lieben Gottes Steckenknechten und Gcneralprofoßen? Diese
biedern Helgolander, was müssen sie für treue, redliche Seelen fein,
da sie auch von diesem geistlichen Feuerwerker und Bombardier nur
mit Ehrerbietung und sichtbarer Erkenntlichkeit redeten: er dürfte ihnen
also wohl die starken Geister in etwas minder sacramentalischem Lichte
vormalen. Wie leicht vollends und erfreulich, sollte mau denken, müßte
unter den Kindern einer so harmlosen, unverdorbenen, durch Natur
und Leben auf die Gottesfurcht von Haus aus hingewiefenen Bevöl¬
kerung der Beruf werden, die jungeu Herzen nach oben zu lenken
und ihnen die ersten und nothwendigsten Begriffe einer göttlichen Welt¬
ordnung beizubringen. Hier aber schien es lediglich auf eine Hand-


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[0070] Entschluß zu entschlagen, die geistlichen Ohrenbläser, die ihm weiß- machen wollen, er gehe das Seelenheil der Seinen oder das Seelen¬ heil der Seinen gehe ihn an, so lange noch in allen seinen Bewc- gungskreisen auch nur Ein menschliches Wesen weilt, dem es durch öffentliche Versäumniß am oder im Leiblichen fehlt, meinetwegen als Missionäre über den Ganges zu jagen und jeden für einen Hochver¬ räther zu erklären, der den freien Gedanken und daS freie Wort fortan zu fesseln riethe! Doch o, wohin verirren wir uns? Will dieser ewige, tiefe Schmerz nicht weichen? Wird diese Last, ein deutsches Herz zu tragen, nie leichter werden? Soll, ein deutsches Herz im Busen zu tragen, fort und fort nur heißen, zu ewigem Schmerz und zu ewiger Beschämung verurtheilt zu bleiben? Dieser helgolandische Ausräucherer der Starkgcistigleit hatte in seiner Art etwas Militärisches. Nach beendigtem, in der That und alles Ernstes sei es gesagt, zu einer Kinderlehre wie die Faust auf's Auge passendem Sermon, sagten die Kinder ansehnlich lange Bibel- stellen und Sprüche in einer, wie es schien, seinerseits lediglich durch Winke bestimmten Folge her, wobei er selbst, den Finger zwischen dem aufgeschlagenen Buche haltend, mit schwer aufstapfendem und weithin hallendem Kürassiertritt, gleich einer auf- und abschreitenden Schild¬ wache an der Fronte seines Häufleins hin und her wandelte, eine Haltung, die uns gegen die Kinder etwas Einschüchterndes und Zu¬ rückschreckendes, gegen die übrigen Zuhörer aber etwas durchaus den Eindruck eines mechanischen Ableiernlassens zu haben schien, und ganz gewiß unendlich eher in einer Strafanstalt, als in einer Kirche an ihrem Platz gewesen wäre. Was machen aber die Pastoren öfter und lieber aus der Kirche, als ein Zuchthaus des lieben Gottes und sich zu des lieben Gottes Steckenknechten und Gcneralprofoßen? Diese biedern Helgolander, was müssen sie für treue, redliche Seelen fein, da sie auch von diesem geistlichen Feuerwerker und Bombardier nur mit Ehrerbietung und sichtbarer Erkenntlichkeit redeten: er dürfte ihnen also wohl die starken Geister in etwas minder sacramentalischem Lichte vormalen. Wie leicht vollends und erfreulich, sollte mau denken, müßte unter den Kindern einer so harmlosen, unverdorbenen, durch Natur und Leben auf die Gottesfurcht von Haus aus hingewiefenen Bevöl¬ kerung der Beruf werden, die jungeu Herzen nach oben zu lenken und ihnen die ersten und nothwendigsten Begriffe einer göttlichen Welt¬ ordnung beizubringen. Hier aber schien es lediglich auf eine Hand-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/70>, abgerufen am 04.07.2024.