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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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"O Sie Unschuld!" rief der Doctor lächelnd -- "Nichts leichter
als das. Wozu gibt es medicinische Lexika? In ihnen findet man
die Krankheiten mit ihren Ursachen, Symptomen und den Mitteln, sie
zu kuriren, angeführt. Da schreibt man denn, natürlich nicht wörtlich
ab, schiebt einige Phrasen dazwischen, und erfindet pomphafte Titel.
Das ist die ganze Hererei."

Ich war über solche Frechheit bestürzt, und entgegnete: aber mein
Herr, das ist ja Charlatanerie.

Der Doctor erwiderte: "Nennen Sie es, wie Sie wollen, jeden¬
falls bringt es mehr ein, als das redlichste Streben. Die Welt will
getäuscht werden, also täuschen wir sie. Sie zwingen ja Niemand,
diese Werke zu kaufen: wer so dumm ist, und solcher Dummen gibt
es Viele, der mag Schaden leiden."

Ich bebte vor solchem Unternehmen zurück. Doch der Doctor
stellte mir vor, wie doch der Buchhändler ohne die Theilnahme des
Publicums nichts ausrichten könnte; wie es ein begeistertes Streben
nicht zu würdigen wisse, und hingegen dem Schriftsteller seinen Beifall
schenkte, der es zu seinen Zwecken zu brauchen verstände. Er stellte
mir meine Zukunft vor Augen, und machte mich endlich schwankend.
Mein Gewissen erlaubte mir immer noch nicht, auf sein Anerbieten
einzugehen. Ich erbat mir vier und zwanzig Stunden Bedenkzeit; er
ließ mir die Manuscripte zurück, und versprach, mich am folgenden
Abend um dieselbe Zeit wieder zu besuchen.

Ich brachte die ganze darauf folgende Nacht schlaflos zu. Ich
wiederholte mir all' die Worte des Doctor Schmierer, und* verglich
sie mit den schönen Vorsätzen, die ich bei Errichtung meines Geschäfts
gefaßt hatte. Nein, dachte ich, so tief willst du nicht sinken. Aber
da trat mir meine Familie mit halberloschenen Augen > und hohlen
Wangen vor Augen, ich erinnerte mich wie undankbar, wie ungünstig
das Publicum meinem edlen Streben war und ich ward besiegt; ich
faßte den Entschluß, nicht mehr für Beförderung der Humanität, son¬
dern für meinen Geldbeutel zu arbeiten, und jedes, mir zu Gebote
stehende Mittel dazu zu verwenden.

Als der 0r. vliilosiipli. am folgenden Abende wieder bei mir
erschien, trat ich ihm mit den Worten entgegen: ich will die Sache
einmal versuchen. Wieviel Honorar fordern Sie?

Er erwiderte: dreihundert Thaler darf ich wohl mit Billigkeit
fordern. Ich gab sie ihm ohne Handel, und er strich die Summe
hocherfreut ein. Er versprach, mir in einigen Wochen wieder ein


„O Sie Unschuld!" rief der Doctor lächelnd — „Nichts leichter
als das. Wozu gibt es medicinische Lexika? In ihnen findet man
die Krankheiten mit ihren Ursachen, Symptomen und den Mitteln, sie
zu kuriren, angeführt. Da schreibt man denn, natürlich nicht wörtlich
ab, schiebt einige Phrasen dazwischen, und erfindet pomphafte Titel.
Das ist die ganze Hererei."

Ich war über solche Frechheit bestürzt, und entgegnete: aber mein
Herr, das ist ja Charlatanerie.

Der Doctor erwiderte: „Nennen Sie es, wie Sie wollen, jeden¬
falls bringt es mehr ein, als das redlichste Streben. Die Welt will
getäuscht werden, also täuschen wir sie. Sie zwingen ja Niemand,
diese Werke zu kaufen: wer so dumm ist, und solcher Dummen gibt
es Viele, der mag Schaden leiden."

Ich bebte vor solchem Unternehmen zurück. Doch der Doctor
stellte mir vor, wie doch der Buchhändler ohne die Theilnahme des
Publicums nichts ausrichten könnte; wie es ein begeistertes Streben
nicht zu würdigen wisse, und hingegen dem Schriftsteller seinen Beifall
schenkte, der es zu seinen Zwecken zu brauchen verstände. Er stellte
mir meine Zukunft vor Augen, und machte mich endlich schwankend.
Mein Gewissen erlaubte mir immer noch nicht, auf sein Anerbieten
einzugehen. Ich erbat mir vier und zwanzig Stunden Bedenkzeit; er
ließ mir die Manuscripte zurück, und versprach, mich am folgenden
Abend um dieselbe Zeit wieder zu besuchen.

Ich brachte die ganze darauf folgende Nacht schlaflos zu. Ich
wiederholte mir all' die Worte des Doctor Schmierer, und* verglich
sie mit den schönen Vorsätzen, die ich bei Errichtung meines Geschäfts
gefaßt hatte. Nein, dachte ich, so tief willst du nicht sinken. Aber
da trat mir meine Familie mit halberloschenen Augen > und hohlen
Wangen vor Augen, ich erinnerte mich wie undankbar, wie ungünstig
das Publicum meinem edlen Streben war und ich ward besiegt; ich
faßte den Entschluß, nicht mehr für Beförderung der Humanität, son¬
dern für meinen Geldbeutel zu arbeiten, und jedes, mir zu Gebote
stehende Mittel dazu zu verwenden.

Als der 0r. vliilosiipli. am folgenden Abende wieder bei mir
erschien, trat ich ihm mit den Worten entgegen: ich will die Sache
einmal versuchen. Wieviel Honorar fordern Sie?

Er erwiderte: dreihundert Thaler darf ich wohl mit Billigkeit
fordern. Ich gab sie ihm ohne Handel, und er strich die Summe
hocherfreut ein. Er versprach, mir in einigen Wochen wieder ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/540>, abgerufen am 24.07.2024.