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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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ner Stelle ihr Recht forderte, wo sie nicht hingehörte. Doch ist diese
kleine Schmeichelet in Farben so gebildet fein gegeben, daß Niemand
die Absicht erräth und daher auch Niemand verstimmt werden wird.
Dieses moderne Bild erinnert uns an die Bilder berühmter Sängerin¬
nen des achtzehnten Jahrhunderts, auch sogar an die des Anfangs des
neunzehnten und wir entdecken in der Auffassung dieses Gegenstandes
einen auffälligen Contrast. Unsere Theater - und Kunst-Damen sind
Damen des Salons geworden; es erinnert in ihrem Erscheinen außer¬
halb des Bereichs der Lampen nichts an ihren Beruf und ihre Stel¬
lung. Dies hat einen Vortheil, aber auch einen Nachtheil. Der Vor¬
theil ist, daß wir im Stande sind, die Persönlichkeiten der Künstler und
Künstlerinnen mehr auszubeuten, da sie unserem geselligen Verkehr nä¬
her gerückt sind, den Nachtheil, daß eine "interessante Abenteuerlichkeit"
von dem Stande abgestreift wird, wobei besonders die Poesie und mit¬
hin auch die Kunst leidet. Von einer Dame des Salons verlangen
wir Gleichmäßigkeit der Manieren, Kälte, Ruhe, anstandsvolle Zierlich¬
keit, mit dem Bilde einer Schauspielerin verbinden wir den Begriff des
Phantastischen, Aufregenden, Ueverraschenden, Ungewöhnlichen. Ihre
Welt ist eine andere als die, die wir täglich sehen, und wenn wir von
ihr sprechen, lacht uns sogleich ein ganzer Himmel voll schwebender
Liebesgötter entgegen, eine Sonne voll Goldpapier, ein üppiges Ge¬
flecht von papiernen Rosen. Wir haben zu oft schon die junge Schöne
aus einem alten römischen Tempel hervorgehen sehen, wir beobachteten
sie schon zu oft, wie sie an den Trümmern eines heidnischen Altars
betete und in die Schlacht ging an der Seite eines Kriegers, der einen
in zwei Zöpfe gebundenen Bart, und ein Tigerfell über die Schulter
geworfen hatte, als daß wir sie uns als unseres Gleichen denken kön¬
nen, mit uns Thee trinkend und Zwieback kauend. Diesen Nimbus,
der, der Himmel weiß woher, schon seit undenklichen Zeiten den Rei¬
senden im Thespiskarren anklebt, sollte eine hübsche Frau, oder ein
hübsches singendes Mädchen nicht alsogleich aufgeben. Den Salon¬
damen kann sie mit gutem Willen ihre parfümirten Spitzen, ihre be¬
kleideten Schultern, ihre Atlaöroben nach neuestem Muster lassen --
sie wirft ein Tigerfell über, das natürlich so fällt, daß ein schöner
Hals, noch schönere Schultern und ein allerschönster Nacken entblöst
sind. Wer kann ihr dies wehren? Und wenn man es ihr wehren
will, so geht sie rasch noch weiter, wird vor unsern Augen Cleopatra,
und setzt eine Natter an einen Busen, der mehr als einen Antonius
zum Taumeln bringt. Was dann? Sie ist in ihrem guten Recht --


ner Stelle ihr Recht forderte, wo sie nicht hingehörte. Doch ist diese
kleine Schmeichelet in Farben so gebildet fein gegeben, daß Niemand
die Absicht erräth und daher auch Niemand verstimmt werden wird.
Dieses moderne Bild erinnert uns an die Bilder berühmter Sängerin¬
nen des achtzehnten Jahrhunderts, auch sogar an die des Anfangs des
neunzehnten und wir entdecken in der Auffassung dieses Gegenstandes
einen auffälligen Contrast. Unsere Theater - und Kunst-Damen sind
Damen des Salons geworden; es erinnert in ihrem Erscheinen außer¬
halb des Bereichs der Lampen nichts an ihren Beruf und ihre Stel¬
lung. Dies hat einen Vortheil, aber auch einen Nachtheil. Der Vor¬
theil ist, daß wir im Stande sind, die Persönlichkeiten der Künstler und
Künstlerinnen mehr auszubeuten, da sie unserem geselligen Verkehr nä¬
her gerückt sind, den Nachtheil, daß eine „interessante Abenteuerlichkeit"
von dem Stande abgestreift wird, wobei besonders die Poesie und mit¬
hin auch die Kunst leidet. Von einer Dame des Salons verlangen
wir Gleichmäßigkeit der Manieren, Kälte, Ruhe, anstandsvolle Zierlich¬
keit, mit dem Bilde einer Schauspielerin verbinden wir den Begriff des
Phantastischen, Aufregenden, Ueverraschenden, Ungewöhnlichen. Ihre
Welt ist eine andere als die, die wir täglich sehen, und wenn wir von
ihr sprechen, lacht uns sogleich ein ganzer Himmel voll schwebender
Liebesgötter entgegen, eine Sonne voll Goldpapier, ein üppiges Ge¬
flecht von papiernen Rosen. Wir haben zu oft schon die junge Schöne
aus einem alten römischen Tempel hervorgehen sehen, wir beobachteten
sie schon zu oft, wie sie an den Trümmern eines heidnischen Altars
betete und in die Schlacht ging an der Seite eines Kriegers, der einen
in zwei Zöpfe gebundenen Bart, und ein Tigerfell über die Schulter
geworfen hatte, als daß wir sie uns als unseres Gleichen denken kön¬
nen, mit uns Thee trinkend und Zwieback kauend. Diesen Nimbus,
der, der Himmel weiß woher, schon seit undenklichen Zeiten den Rei¬
senden im Thespiskarren anklebt, sollte eine hübsche Frau, oder ein
hübsches singendes Mädchen nicht alsogleich aufgeben. Den Salon¬
damen kann sie mit gutem Willen ihre parfümirten Spitzen, ihre be¬
kleideten Schultern, ihre Atlaöroben nach neuestem Muster lassen —
sie wirft ein Tigerfell über, das natürlich so fällt, daß ein schöner
Hals, noch schönere Schultern und ein allerschönster Nacken entblöst
sind. Wer kann ihr dies wehren? Und wenn man es ihr wehren
will, so geht sie rasch noch weiter, wird vor unsern Augen Cleopatra,
und setzt eine Natter an einen Busen, der mehr als einen Antonius
zum Taumeln bringt. Was dann? Sie ist in ihrem guten Recht --


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[0504] ner Stelle ihr Recht forderte, wo sie nicht hingehörte. Doch ist diese kleine Schmeichelet in Farben so gebildet fein gegeben, daß Niemand die Absicht erräth und daher auch Niemand verstimmt werden wird. Dieses moderne Bild erinnert uns an die Bilder berühmter Sängerin¬ nen des achtzehnten Jahrhunderts, auch sogar an die des Anfangs des neunzehnten und wir entdecken in der Auffassung dieses Gegenstandes einen auffälligen Contrast. Unsere Theater - und Kunst-Damen sind Damen des Salons geworden; es erinnert in ihrem Erscheinen außer¬ halb des Bereichs der Lampen nichts an ihren Beruf und ihre Stel¬ lung. Dies hat einen Vortheil, aber auch einen Nachtheil. Der Vor¬ theil ist, daß wir im Stande sind, die Persönlichkeiten der Künstler und Künstlerinnen mehr auszubeuten, da sie unserem geselligen Verkehr nä¬ her gerückt sind, den Nachtheil, daß eine „interessante Abenteuerlichkeit" von dem Stande abgestreift wird, wobei besonders die Poesie und mit¬ hin auch die Kunst leidet. Von einer Dame des Salons verlangen wir Gleichmäßigkeit der Manieren, Kälte, Ruhe, anstandsvolle Zierlich¬ keit, mit dem Bilde einer Schauspielerin verbinden wir den Begriff des Phantastischen, Aufregenden, Ueverraschenden, Ungewöhnlichen. Ihre Welt ist eine andere als die, die wir täglich sehen, und wenn wir von ihr sprechen, lacht uns sogleich ein ganzer Himmel voll schwebender Liebesgötter entgegen, eine Sonne voll Goldpapier, ein üppiges Ge¬ flecht von papiernen Rosen. Wir haben zu oft schon die junge Schöne aus einem alten römischen Tempel hervorgehen sehen, wir beobachteten sie schon zu oft, wie sie an den Trümmern eines heidnischen Altars betete und in die Schlacht ging an der Seite eines Kriegers, der einen in zwei Zöpfe gebundenen Bart, und ein Tigerfell über die Schulter geworfen hatte, als daß wir sie uns als unseres Gleichen denken kön¬ nen, mit uns Thee trinkend und Zwieback kauend. Diesen Nimbus, der, der Himmel weiß woher, schon seit undenklichen Zeiten den Rei¬ senden im Thespiskarren anklebt, sollte eine hübsche Frau, oder ein hübsches singendes Mädchen nicht alsogleich aufgeben. Den Salon¬ damen kann sie mit gutem Willen ihre parfümirten Spitzen, ihre be¬ kleideten Schultern, ihre Atlaöroben nach neuestem Muster lassen — sie wirft ein Tigerfell über, das natürlich so fällt, daß ein schöner Hals, noch schönere Schultern und ein allerschönster Nacken entblöst sind. Wer kann ihr dies wehren? Und wenn man es ihr wehren will, so geht sie rasch noch weiter, wird vor unsern Augen Cleopatra, und setzt eine Natter an einen Busen, der mehr als einen Antonius zum Taumeln bringt. Was dann? Sie ist in ihrem guten Recht --

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/504>, abgerufen am 24.07.2024.