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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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zu ziehen, und sind deshalb ebenso groß und weitläufig, wie unschön
und langweilig. Doch fangen in neuerer Zeit einige Bauern an,
Blumengärten anzulegen, die sich in dieser Gegend der Prosa und
des alltäglichen Nutzens seltsam und doppelt schön ausnehmen. Auch
eine kleine, niedliche Kapelle habe ich schon in einem solchen Blumen."
gürtchen versteckt gesunden, in welcher die Bewohner des Hofes die
Messe hörten. Dieser Anblick kam mir so idyllisch und romantisch
vor, daß ich Kartoffeln und Sand, Düngergruben und Pumpernickel
vergaß und mich an die Ufer des Rheines und in die Thäler Schwa¬
bens zurückträumle. Einen Hauökaplan halten sich die Bauern oft,
der die Kinder erzieht und die Messe liest; ein solcher hat dann
daS faulste', behaglichste Leben.

Die Religion, das sieht man auf den ersten Blick, ist hier zu
Lande ein unumgänglich nothwendiges Bindemittel, um die vereinzelten
Menschengruppen, die hier in der Einsamkeit ihre stets gleiche Arbeit
verrichten, nicht ganz aus der menschlichen Gesellschaft verschwinden
zu lassen. Die Messe und die Predigt ist das einzig Geistige, was
an diese Leute herantritt, das Einzige, was sich nicht auf Roggen und
Weizen, Kühe und Ochsen, Dünger und Schweine bezieht und doch
den Bauer zu interesstren vermag. Die Kirche ist für Jeden, der kein
Trinker und Spieler ist, der einzige Ort, wo er sich mit seinen Nach¬
barn zusammen sieht; ohne sie würde er die ganze Welt umher ver¬
gessen. Daraus erklärt sich die Ehrfurcht vor dem Pfarrer und das
Festhalten an der Kirche.

Für die gesunde männliche Bevölkerung ist auch der Militärdienst
ein geeignetes Mittel, um ihren Blick zu erweitern und ihr Herz und
ihren Sinn nicht mit der Scholle, worauf sie geboren sind, festwachsen
zu lassen. Daher sind die Soldatenjahre auch sür Keinen so viel
werth und so einflußreich, wie für den, westphälischen Bauern. Aus den
ersten Blick kann man unterscheiden, wer von den auf dem Felde
Ackernden oder den bei der Kirchweih Tanzenden früher das Gewehr
getragen hat. Ein freies, offenes Aussehen, eine gerade männliche
Haltung, ein festes, sicheres Benehmen zeichnet ihn vor den Andern
aus, erwirbt ihm die Achtung seiner Landsleute und die Liebe der
Dirnen, welche freilich nicht sehr romantisch und poetisch, sondern
durchaus derb und natürlich zu sein pflegt. Im Militairdienst selbst
zeichnen sich die Westphalen, was man besonders beim Garde-Eorps,
welches bekanntlich aus allen acht Provinzen rekrutirt wird, sehen


zu ziehen, und sind deshalb ebenso groß und weitläufig, wie unschön
und langweilig. Doch fangen in neuerer Zeit einige Bauern an,
Blumengärten anzulegen, die sich in dieser Gegend der Prosa und
des alltäglichen Nutzens seltsam und doppelt schön ausnehmen. Auch
eine kleine, niedliche Kapelle habe ich schon in einem solchen Blumen.»
gürtchen versteckt gesunden, in welcher die Bewohner des Hofes die
Messe hörten. Dieser Anblick kam mir so idyllisch und romantisch
vor, daß ich Kartoffeln und Sand, Düngergruben und Pumpernickel
vergaß und mich an die Ufer des Rheines und in die Thäler Schwa¬
bens zurückträumle. Einen Hauökaplan halten sich die Bauern oft,
der die Kinder erzieht und die Messe liest; ein solcher hat dann
daS faulste', behaglichste Leben.

Die Religion, das sieht man auf den ersten Blick, ist hier zu
Lande ein unumgänglich nothwendiges Bindemittel, um die vereinzelten
Menschengruppen, die hier in der Einsamkeit ihre stets gleiche Arbeit
verrichten, nicht ganz aus der menschlichen Gesellschaft verschwinden
zu lassen. Die Messe und die Predigt ist das einzig Geistige, was
an diese Leute herantritt, das Einzige, was sich nicht auf Roggen und
Weizen, Kühe und Ochsen, Dünger und Schweine bezieht und doch
den Bauer zu interesstren vermag. Die Kirche ist für Jeden, der kein
Trinker und Spieler ist, der einzige Ort, wo er sich mit seinen Nach¬
barn zusammen sieht; ohne sie würde er die ganze Welt umher ver¬
gessen. Daraus erklärt sich die Ehrfurcht vor dem Pfarrer und das
Festhalten an der Kirche.

Für die gesunde männliche Bevölkerung ist auch der Militärdienst
ein geeignetes Mittel, um ihren Blick zu erweitern und ihr Herz und
ihren Sinn nicht mit der Scholle, worauf sie geboren sind, festwachsen
zu lassen. Daher sind die Soldatenjahre auch sür Keinen so viel
werth und so einflußreich, wie für den, westphälischen Bauern. Aus den
ersten Blick kann man unterscheiden, wer von den auf dem Felde
Ackernden oder den bei der Kirchweih Tanzenden früher das Gewehr
getragen hat. Ein freies, offenes Aussehen, eine gerade männliche
Haltung, ein festes, sicheres Benehmen zeichnet ihn vor den Andern
aus, erwirbt ihm die Achtung seiner Landsleute und die Liebe der
Dirnen, welche freilich nicht sehr romantisch und poetisch, sondern
durchaus derb und natürlich zu sein pflegt. Im Militairdienst selbst
zeichnen sich die Westphalen, was man besonders beim Garde-Eorps,
welches bekanntlich aus allen acht Provinzen rekrutirt wird, sehen


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[0378] zu ziehen, und sind deshalb ebenso groß und weitläufig, wie unschön und langweilig. Doch fangen in neuerer Zeit einige Bauern an, Blumengärten anzulegen, die sich in dieser Gegend der Prosa und des alltäglichen Nutzens seltsam und doppelt schön ausnehmen. Auch eine kleine, niedliche Kapelle habe ich schon in einem solchen Blumen.» gürtchen versteckt gesunden, in welcher die Bewohner des Hofes die Messe hörten. Dieser Anblick kam mir so idyllisch und romantisch vor, daß ich Kartoffeln und Sand, Düngergruben und Pumpernickel vergaß und mich an die Ufer des Rheines und in die Thäler Schwa¬ bens zurückträumle. Einen Hauökaplan halten sich die Bauern oft, der die Kinder erzieht und die Messe liest; ein solcher hat dann daS faulste', behaglichste Leben. Die Religion, das sieht man auf den ersten Blick, ist hier zu Lande ein unumgänglich nothwendiges Bindemittel, um die vereinzelten Menschengruppen, die hier in der Einsamkeit ihre stets gleiche Arbeit verrichten, nicht ganz aus der menschlichen Gesellschaft verschwinden zu lassen. Die Messe und die Predigt ist das einzig Geistige, was an diese Leute herantritt, das Einzige, was sich nicht auf Roggen und Weizen, Kühe und Ochsen, Dünger und Schweine bezieht und doch den Bauer zu interesstren vermag. Die Kirche ist für Jeden, der kein Trinker und Spieler ist, der einzige Ort, wo er sich mit seinen Nach¬ barn zusammen sieht; ohne sie würde er die ganze Welt umher ver¬ gessen. Daraus erklärt sich die Ehrfurcht vor dem Pfarrer und das Festhalten an der Kirche. Für die gesunde männliche Bevölkerung ist auch der Militärdienst ein geeignetes Mittel, um ihren Blick zu erweitern und ihr Herz und ihren Sinn nicht mit der Scholle, worauf sie geboren sind, festwachsen zu lassen. Daher sind die Soldatenjahre auch sür Keinen so viel werth und so einflußreich, wie für den, westphälischen Bauern. Aus den ersten Blick kann man unterscheiden, wer von den auf dem Felde Ackernden oder den bei der Kirchweih Tanzenden früher das Gewehr getragen hat. Ein freies, offenes Aussehen, eine gerade männliche Haltung, ein festes, sicheres Benehmen zeichnet ihn vor den Andern aus, erwirbt ihm die Achtung seiner Landsleute und die Liebe der Dirnen, welche freilich nicht sehr romantisch und poetisch, sondern durchaus derb und natürlich zu sein pflegt. Im Militairdienst selbst zeichnen sich die Westphalen, was man besonders beim Garde-Eorps, welches bekanntlich aus allen acht Provinzen rekrutirt wird, sehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/378>, abgerufen am 24.07.2024.