Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Was eine wahrhafte Volkskammer in Frankreich noch außerdem zu thun
hätte? --Wir glauben, aufrichtig gesagt, sie würde sich vielfach Mitrein
socialen Fragen zu beschäftigen haben. Die liegen so ferne gar nicht!
-- Zunächst schon hätte sie die Eisenbahnen nicht von den Compag¬
nien bauen lassen. Dann hätte sie an eine gewisse Organisation der
Arbeit gedacht! Diese Frage liegt in Frankreich Allen so sehr am
Herzen, daß selbst Gelehrte, wie Wolowski, sie -- allerdings nur ängst¬
lich und vermittelnd -- in ihre Vorlesungen hineinziehen. Aber diese
vermittelnde Partei, deren Stichwort: "Organisirung der Arbeit"
ist, scheidet sich Heuer schon im Wesentlichsten von den eigentlich socialistischen
Parteien ab. Man steht es ihr an, daß sie, ungern und nur gezwungen
so weit mitgeht. Sie stimmt daher für ein l^aatiizmo des Arbeiters,
für industrielle Ateliers auf Staatskosten, für National-Banken, erwei¬
terte Sparkassen und Industrien-Hallen, und meint mit dieser friedli-
chen Lösung ungeheuer praktisch zu sein. Aber diese Lösung ist zu¬
nächst nur eine relative, theilweise und dann wird sie im Frieden doch
nie erreicht werden. Denn die Franzosen sind noch weit mehr indivi-
dualisirt, als wir Deutsche, die wir in unseren alten Gemeinde- und
Zunft-Ordnungen noch manches organisch-gegliederte Institut bewah¬
ren, namentlich was den Ackerbau betrifft, z. B. Deich-Ordnungen,
Berieselungs-Gesetze, Vieh-Leib-Kassen und dergleichen mehr. Der
Franzose aber kennt kein engeres Band, als den Staat. Daher
kommt es, daß ein.so bedeutender Theil der niedrigsten Stände von
Frankreich aus Communisten besteht. In einer nächsten Revolution
würde das Eigenthum nicht mehr so scrupulös geschont werden, als
1830 aus Point ij'Iwimklli- geschah, weil man eine ganz legale und
constitutionelle Revolution machte. Die blutige Saat Baboeuf'ö und
Cabet's wird noch aufgehen! --

Freilich erwartet das französische Volk, wie einst die antiken
Eulturvölker, Alles vom Staate und kennt die Abstraktion einer
staatlosen "Gesellschaft" nicht, welche in deutschen Köpfen spukt und
sogar weder in Se. Simon, noch in Fourier, (die Beide nicht eigent¬
lich volksthümlich sind) sich findet.'

Auch des geistreichen und tiefdenkenden Proudhons berüchtig¬
ter Ausspruch, daß er Anarchist sei, bedeutet nur, daß er im Staate
an die Stelle einer Herrschaft der Gewalten die Herrschaft
der Vernunft wolle treten sehen, daß der Beweis gelten solle
statt des Edictes. Er denkt sich nicht aus dem Staate heraus.
Hebt er ja doch vom Eigenthum nur das Erbrecht auf, und das


Was eine wahrhafte Volkskammer in Frankreich noch außerdem zu thun
hätte? —Wir glauben, aufrichtig gesagt, sie würde sich vielfach Mitrein
socialen Fragen zu beschäftigen haben. Die liegen so ferne gar nicht!
— Zunächst schon hätte sie die Eisenbahnen nicht von den Compag¬
nien bauen lassen. Dann hätte sie an eine gewisse Organisation der
Arbeit gedacht! Diese Frage liegt in Frankreich Allen so sehr am
Herzen, daß selbst Gelehrte, wie Wolowski, sie — allerdings nur ängst¬
lich und vermittelnd — in ihre Vorlesungen hineinziehen. Aber diese
vermittelnde Partei, deren Stichwort: „Organisirung der Arbeit"
ist, scheidet sich Heuer schon im Wesentlichsten von den eigentlich socialistischen
Parteien ab. Man steht es ihr an, daß sie, ungern und nur gezwungen
so weit mitgeht. Sie stimmt daher für ein l^aatiizmo des Arbeiters,
für industrielle Ateliers auf Staatskosten, für National-Banken, erwei¬
terte Sparkassen und Industrien-Hallen, und meint mit dieser friedli-
chen Lösung ungeheuer praktisch zu sein. Aber diese Lösung ist zu¬
nächst nur eine relative, theilweise und dann wird sie im Frieden doch
nie erreicht werden. Denn die Franzosen sind noch weit mehr indivi-
dualisirt, als wir Deutsche, die wir in unseren alten Gemeinde- und
Zunft-Ordnungen noch manches organisch-gegliederte Institut bewah¬
ren, namentlich was den Ackerbau betrifft, z. B. Deich-Ordnungen,
Berieselungs-Gesetze, Vieh-Leib-Kassen und dergleichen mehr. Der
Franzose aber kennt kein engeres Band, als den Staat. Daher
kommt es, daß ein.so bedeutender Theil der niedrigsten Stände von
Frankreich aus Communisten besteht. In einer nächsten Revolution
würde das Eigenthum nicht mehr so scrupulös geschont werden, als
1830 aus Point ij'Iwimklli- geschah, weil man eine ganz legale und
constitutionelle Revolution machte. Die blutige Saat Baboeuf'ö und
Cabet's wird noch aufgehen! —

Freilich erwartet das französische Volk, wie einst die antiken
Eulturvölker, Alles vom Staate und kennt die Abstraktion einer
staatlosen „Gesellschaft" nicht, welche in deutschen Köpfen spukt und
sogar weder in Se. Simon, noch in Fourier, (die Beide nicht eigent¬
lich volksthümlich sind) sich findet.'

Auch des geistreichen und tiefdenkenden Proudhons berüchtig¬
ter Ausspruch, daß er Anarchist sei, bedeutet nur, daß er im Staate
an die Stelle einer Herrschaft der Gewalten die Herrschaft
der Vernunft wolle treten sehen, daß der Beweis gelten solle
statt des Edictes. Er denkt sich nicht aus dem Staate heraus.
Hebt er ja doch vom Eigenthum nur das Erbrecht auf, und das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183352"/>
          <p xml:id="ID_984" prev="#ID_983"> Was eine wahrhafte Volkskammer in Frankreich noch außerdem zu thun<lb/>
hätte? &#x2014;Wir glauben, aufrichtig gesagt, sie würde sich vielfach Mitrein<lb/>
socialen Fragen zu beschäftigen haben. Die liegen so ferne gar nicht!<lb/>
&#x2014; Zunächst schon hätte sie die Eisenbahnen nicht von den Compag¬<lb/>
nien bauen lassen. Dann hätte sie an eine gewisse Organisation der<lb/>
Arbeit gedacht! Diese Frage liegt in Frankreich Allen so sehr am<lb/>
Herzen, daß selbst Gelehrte, wie Wolowski, sie &#x2014; allerdings nur ängst¬<lb/>
lich und vermittelnd &#x2014; in ihre Vorlesungen hineinziehen. Aber diese<lb/>
vermittelnde Partei, deren Stichwort: &#x201E;Organisirung der Arbeit"<lb/>
ist, scheidet sich Heuer schon im Wesentlichsten von den eigentlich socialistischen<lb/>
Parteien ab. Man steht es ihr an, daß sie, ungern und nur gezwungen<lb/>
so weit mitgeht. Sie stimmt daher für ein l^aatiizmo des Arbeiters,<lb/>
für industrielle Ateliers auf Staatskosten, für National-Banken, erwei¬<lb/>
terte Sparkassen und Industrien-Hallen, und meint mit dieser friedli-<lb/>
chen Lösung ungeheuer praktisch zu sein. Aber diese Lösung ist zu¬<lb/>
nächst nur eine relative, theilweise und dann wird sie im Frieden doch<lb/>
nie erreicht werden. Denn die Franzosen sind noch weit mehr indivi-<lb/>
dualisirt, als wir Deutsche, die wir in unseren alten Gemeinde- und<lb/>
Zunft-Ordnungen noch manches organisch-gegliederte Institut bewah¬<lb/>
ren, namentlich was den Ackerbau betrifft, z. B. Deich-Ordnungen,<lb/>
Berieselungs-Gesetze, Vieh-Leib-Kassen und dergleichen mehr. Der<lb/>
Franzose aber kennt kein engeres Band, als den Staat. Daher<lb/>
kommt es, daß ein.so bedeutender Theil der niedrigsten Stände von<lb/>
Frankreich aus Communisten besteht. In einer nächsten Revolution<lb/>
würde das Eigenthum nicht mehr so scrupulös geschont werden, als<lb/>
1830 aus Point ij'Iwimklli- geschah, weil man eine ganz legale und<lb/>
constitutionelle Revolution machte. Die blutige Saat Baboeuf'ö und<lb/>
Cabet's wird noch aufgehen! &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_985"> Freilich erwartet das französische Volk, wie einst die antiken<lb/>
Eulturvölker, Alles vom Staate und kennt die Abstraktion einer<lb/>
staatlosen &#x201E;Gesellschaft" nicht, welche in deutschen Köpfen spukt und<lb/>
sogar weder in Se. Simon, noch in Fourier, (die Beide nicht eigent¬<lb/>
lich volksthümlich sind) sich findet.'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_986" next="#ID_987"> Auch des geistreichen und tiefdenkenden Proudhons berüchtig¬<lb/>
ter Ausspruch, daß er Anarchist sei, bedeutet nur, daß er im Staate<lb/>
an die Stelle einer Herrschaft der Gewalten die Herrschaft<lb/>
der Vernunft wolle treten sehen, daß der Beweis gelten solle<lb/>
statt des Edictes. Er denkt sich nicht aus dem Staate heraus.<lb/>
Hebt er ja doch vom Eigenthum nur das Erbrecht auf, und das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] Was eine wahrhafte Volkskammer in Frankreich noch außerdem zu thun hätte? —Wir glauben, aufrichtig gesagt, sie würde sich vielfach Mitrein socialen Fragen zu beschäftigen haben. Die liegen so ferne gar nicht! — Zunächst schon hätte sie die Eisenbahnen nicht von den Compag¬ nien bauen lassen. Dann hätte sie an eine gewisse Organisation der Arbeit gedacht! Diese Frage liegt in Frankreich Allen so sehr am Herzen, daß selbst Gelehrte, wie Wolowski, sie — allerdings nur ängst¬ lich und vermittelnd — in ihre Vorlesungen hineinziehen. Aber diese vermittelnde Partei, deren Stichwort: „Organisirung der Arbeit" ist, scheidet sich Heuer schon im Wesentlichsten von den eigentlich socialistischen Parteien ab. Man steht es ihr an, daß sie, ungern und nur gezwungen so weit mitgeht. Sie stimmt daher für ein l^aatiizmo des Arbeiters, für industrielle Ateliers auf Staatskosten, für National-Banken, erwei¬ terte Sparkassen und Industrien-Hallen, und meint mit dieser friedli- chen Lösung ungeheuer praktisch zu sein. Aber diese Lösung ist zu¬ nächst nur eine relative, theilweise und dann wird sie im Frieden doch nie erreicht werden. Denn die Franzosen sind noch weit mehr indivi- dualisirt, als wir Deutsche, die wir in unseren alten Gemeinde- und Zunft-Ordnungen noch manches organisch-gegliederte Institut bewah¬ ren, namentlich was den Ackerbau betrifft, z. B. Deich-Ordnungen, Berieselungs-Gesetze, Vieh-Leib-Kassen und dergleichen mehr. Der Franzose aber kennt kein engeres Band, als den Staat. Daher kommt es, daß ein.so bedeutender Theil der niedrigsten Stände von Frankreich aus Communisten besteht. In einer nächsten Revolution würde das Eigenthum nicht mehr so scrupulös geschont werden, als 1830 aus Point ij'Iwimklli- geschah, weil man eine ganz legale und constitutionelle Revolution machte. Die blutige Saat Baboeuf'ö und Cabet's wird noch aufgehen! — Freilich erwartet das französische Volk, wie einst die antiken Eulturvölker, Alles vom Staate und kennt die Abstraktion einer staatlosen „Gesellschaft" nicht, welche in deutschen Köpfen spukt und sogar weder in Se. Simon, noch in Fourier, (die Beide nicht eigent¬ lich volksthümlich sind) sich findet.' Auch des geistreichen und tiefdenkenden Proudhons berüchtig¬ ter Ausspruch, daß er Anarchist sei, bedeutet nur, daß er im Staate an die Stelle einer Herrschaft der Gewalten die Herrschaft der Vernunft wolle treten sehen, daß der Beweis gelten solle statt des Edictes. Er denkt sich nicht aus dem Staate heraus. Hebt er ja doch vom Eigenthum nur das Erbrecht auf, und das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/331>, abgerufen am 24.07.2024.