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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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spiel nicht eristire". In seinem glänzenden, sinnreichen Roman "Münch-
hausen" findet man eine frische, lebensvolle Ekloge mitten unter den
phantastischen Erfindungen des Humoristen, welche grade durch diesen
Gegensatz einen neuen Werth gewinnt. Der Verfasser unterbricht einen
Augenblick die Erzählung der närrischen Abenteuer seines Helden, und
da er den Fuß nach Westphalen gesetzt, in sein angebetetes Westpha-
len, so klopft er an die erste beste Thür, tritt in die Hütte des Bauern,
setzt sich aus die alte Eichenbank und erkundigt sich nach Oswald und
Lisbeth. Man glaube hier nicht eine gewöhnliche Idylle vor sich zu
haben ; man denke sich vielmehr ein festes Gemälde, dessen Wahrheit
uns ganz ergreift und erquickt. Der Erfolg war ungeheuer, Alles
war entzückt von so viel Kraft und Anmuth, von einer so plastischen
Auffassung der Wirklichkeit, von einer so kecken Zeichnung! Die Nach¬
ahmer fehlten nicht; und weil Karl Immermann, der bald darauf starb,
die glückliche Ader, die er entdeckt, nicht benutzen konnte, so wollte
mehr als ein junger Schriftsteller sein Werk fortsetzen. Leider sind die
ächten Nachfolger in solchen Fällen selten; Immermann halte sein
Geheimniß für sich behalten. Unter den Romanschreibern, welche diese
neue Form anlockte, glaubten die Einen hier einen günstigen Rahmen
für ihre politischen Fortschrittstendenzen zu finden, und diese einfache
Natur, die man mit Liebe reproduciren mußte, war nichts als ein
gewöhnlicher Hebel. Ich fürchte sehr, daß Herr Willkomm diesen
Fehler in seinem "Deutschen Bauer" begangen. Doch sind seit eini¬
gen Jahren anch glücklichere Versuche gemacht worden. Herr Levin
Schücking hat, wie Immermann, Westphalen zum Schauplatz recht
hübscher Erzählungen gemacht; ich wünschte nur eine festere Hand
und entschiedenere Farben. Man hat von Alerander Weilt über die
Dörfer des Elsasses Bilder, die sich hier und da durch einen lebhaften,
kühnen Geist und durch eine gewisse Herbigkeit des Styls empfehlen.
Herr Rank ist von ächter Liebe für seine Böhmen beseelt, und er hat
in dem Gemisch seiner deutschen und slavischen Bevölkerungen pikante
Sittenzüge, anmuthige Contraste zu finden gewußt: wahre Schätze,
die etwas zu sehr auf'ö Geradewohl zu einer Erzählung benutzt sind,
die fast ohne alle Erfindung und Kunst ist. Wie man sieht, geht den
angeführten Schriftstellern immer etwas ab.- bei den Einen ist es die
Liebe, die wahre Sympathie für ihren Gegenstand, bei den Andern,
denen es nicht an Liebe fehlt, die Phantasie und die Kunst des Ma¬
lers. Die Liebe dagegen, die ächte uneigennützige Liebe zu seiner Hei¬
mach, und daneben eine sehr zarte Kunst, eine Gewandtheit, die sich


spiel nicht eristire». In seinem glänzenden, sinnreichen Roman „Münch-
hausen" findet man eine frische, lebensvolle Ekloge mitten unter den
phantastischen Erfindungen des Humoristen, welche grade durch diesen
Gegensatz einen neuen Werth gewinnt. Der Verfasser unterbricht einen
Augenblick die Erzählung der närrischen Abenteuer seines Helden, und
da er den Fuß nach Westphalen gesetzt, in sein angebetetes Westpha-
len, so klopft er an die erste beste Thür, tritt in die Hütte des Bauern,
setzt sich aus die alte Eichenbank und erkundigt sich nach Oswald und
Lisbeth. Man glaube hier nicht eine gewöhnliche Idylle vor sich zu
haben ; man denke sich vielmehr ein festes Gemälde, dessen Wahrheit
uns ganz ergreift und erquickt. Der Erfolg war ungeheuer, Alles
war entzückt von so viel Kraft und Anmuth, von einer so plastischen
Auffassung der Wirklichkeit, von einer so kecken Zeichnung! Die Nach¬
ahmer fehlten nicht; und weil Karl Immermann, der bald darauf starb,
die glückliche Ader, die er entdeckt, nicht benutzen konnte, so wollte
mehr als ein junger Schriftsteller sein Werk fortsetzen. Leider sind die
ächten Nachfolger in solchen Fällen selten; Immermann halte sein
Geheimniß für sich behalten. Unter den Romanschreibern, welche diese
neue Form anlockte, glaubten die Einen hier einen günstigen Rahmen
für ihre politischen Fortschrittstendenzen zu finden, und diese einfache
Natur, die man mit Liebe reproduciren mußte, war nichts als ein
gewöhnlicher Hebel. Ich fürchte sehr, daß Herr Willkomm diesen
Fehler in seinem „Deutschen Bauer" begangen. Doch sind seit eini¬
gen Jahren anch glücklichere Versuche gemacht worden. Herr Levin
Schücking hat, wie Immermann, Westphalen zum Schauplatz recht
hübscher Erzählungen gemacht; ich wünschte nur eine festere Hand
und entschiedenere Farben. Man hat von Alerander Weilt über die
Dörfer des Elsasses Bilder, die sich hier und da durch einen lebhaften,
kühnen Geist und durch eine gewisse Herbigkeit des Styls empfehlen.
Herr Rank ist von ächter Liebe für seine Böhmen beseelt, und er hat
in dem Gemisch seiner deutschen und slavischen Bevölkerungen pikante
Sittenzüge, anmuthige Contraste zu finden gewußt: wahre Schätze,
die etwas zu sehr auf'ö Geradewohl zu einer Erzählung benutzt sind,
die fast ohne alle Erfindung und Kunst ist. Wie man sieht, geht den
angeführten Schriftstellern immer etwas ab.- bei den Einen ist es die
Liebe, die wahre Sympathie für ihren Gegenstand, bei den Andern,
denen es nicht an Liebe fehlt, die Phantasie und die Kunst des Ma¬
lers. Die Liebe dagegen, die ächte uneigennützige Liebe zu seiner Hei¬
mach, und daneben eine sehr zarte Kunst, eine Gewandtheit, die sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/31>, abgerufen am 24.07.2024.