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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Grundstücke, aufstehende Forderungen, sogar Pretiosen rechnet, freilich
nach Abschlag der Passiver -- und als indirecte Steuer, indem der
Jude von allen Fleischarten, die er genießt, noch vor Abschlachten des
Thieres eine gewisse Summe entrichten muß; -- -- sondern sie war
auch eine der moralisch verderblichsten, indem jeder Jude verpflichtet war
bei Eid und Gewissen sein Vermögen genau anzugeben, und man doch
mit Sicherheit rechnen kann, daß dieses in keinem einzigen Falle geschah.
Die Regierung sowohl als die Steuerdirection mußten überzeugt sein,
jede Vermögenseingabe enthalte Unwahrheit und falschen Schwur und
wenn man auch in der That auf das Unmoralische und Entwürdigende
dieser Eingabsformeln aufmerksam gemacht hat, sie wurde doch nicht ge¬
ändert, weil man in ihrer Schlußformel "bei Strafe der Confiscirung
des verheimlichten Vermögens" eine zu starke Waffe in der Hand zu
haben glaubte. Es würde weit den Umfang dieses Briefes übersteigen,
wollte ich auch nur annäherungsweise all die schädlichen und schändlichen
Folgen des bisher in Böhmen bestandenen Judensteucr-Systemes ent¬
hüllen, und es ist unbegreiflich, wie die Regierung, zu welcher immer¬
fort die flehenden, jammernden Klagen empordrangen, so lange taub
sein konnte. Und doch war es nicht der bedeutende, finanzielle Ausfall, der
sie von einer frühern Reform abhalten konnte, denn der ganze jährliche
Betrag waren 220Mi) Rthlr., ja sie verschmähte es sogar, als die böhmische
Judenschaft ihr den Antrag machte, sich mit einem Capital von einer
Million Gulden C.-M. für immer sich von dieser Steuer abzulösen.
Und jetzt wird auf einmal die Judensteuer in den zwei bedeutendsten
Provinzen Oesterreichs, wenn auch nicht ganz aufgehoben, so doch der
Aufhebung nahe gerückt, denn während in Ungarn die Juden sich mit einer
verhältnißmäßig geringen Summe ablösen, wird die Ausübung in Böh¬
men der Art sein, daß durch sieben Jahre, jährlich ein Sie¬
bentheil der jetzigen Steuer weniger gezahlt wird und
nach Ablauf des siebenten Jahres ist sie dann für immer
erloschen. Man könnte davon für die Zukunft so manche hoffnungs¬
reiche Schlüsse ziehen, aber theils ist es auch nicht entschieden, ob nicht
an die Stelle dieser Steuer eine andere tritt, theils ist damit keine ei¬
gentliche politische Concession gemacht. Muß doch der Jude hier in
Wien, der nicht das sogenannte "Toleranzrecht" hat, noch immer alle
14 Tage 2 Gulden C.-M. für die Aufenthaltsbcwilligung zahlen, be¬
steht doch noch immer hier auf der Polizei ein eigenes "Judcnamt,"
und gibt es dock) noch in den österreichischen Erbländern Städte genug, wo
den Juden ein längerer als dreitägiger Aufenthalt verboten ist. Daß
durch die Aufhebung der Judcnsteucr in Böhmen und Ungarn auch das
Loos der übrigen österreichischen Juden etwas verbessert werden muß, ist
ohne Zweifel, spricht man doch schon hier in Wien ebenfalls von der
Aufhebung der Toleranzsteuer, aber was dieses auf ihre bürgerliche
Mündigerklarung für einen Einfluß haben foll, sehe ich jetzt nicht ein,
so lange man den Grundbesitz nicht an noch andere Bedingungen wie
bisher knüpft, so lange man ihm den Eintritt in gewisse Gilden ver¬
weigert, überhaupt das Ausüben einzelner Handwerke, so lange nicht


Grundstücke, aufstehende Forderungen, sogar Pretiosen rechnet, freilich
nach Abschlag der Passiver — und als indirecte Steuer, indem der
Jude von allen Fleischarten, die er genießt, noch vor Abschlachten des
Thieres eine gewisse Summe entrichten muß; — — sondern sie war
auch eine der moralisch verderblichsten, indem jeder Jude verpflichtet war
bei Eid und Gewissen sein Vermögen genau anzugeben, und man doch
mit Sicherheit rechnen kann, daß dieses in keinem einzigen Falle geschah.
Die Regierung sowohl als die Steuerdirection mußten überzeugt sein,
jede Vermögenseingabe enthalte Unwahrheit und falschen Schwur und
wenn man auch in der That auf das Unmoralische und Entwürdigende
dieser Eingabsformeln aufmerksam gemacht hat, sie wurde doch nicht ge¬
ändert, weil man in ihrer Schlußformel „bei Strafe der Confiscirung
des verheimlichten Vermögens" eine zu starke Waffe in der Hand zu
haben glaubte. Es würde weit den Umfang dieses Briefes übersteigen,
wollte ich auch nur annäherungsweise all die schädlichen und schändlichen
Folgen des bisher in Böhmen bestandenen Judensteucr-Systemes ent¬
hüllen, und es ist unbegreiflich, wie die Regierung, zu welcher immer¬
fort die flehenden, jammernden Klagen empordrangen, so lange taub
sein konnte. Und doch war es nicht der bedeutende, finanzielle Ausfall, der
sie von einer frühern Reform abhalten konnte, denn der ganze jährliche
Betrag waren 220Mi) Rthlr., ja sie verschmähte es sogar, als die böhmische
Judenschaft ihr den Antrag machte, sich mit einem Capital von einer
Million Gulden C.-M. für immer sich von dieser Steuer abzulösen.
Und jetzt wird auf einmal die Judensteuer in den zwei bedeutendsten
Provinzen Oesterreichs, wenn auch nicht ganz aufgehoben, so doch der
Aufhebung nahe gerückt, denn während in Ungarn die Juden sich mit einer
verhältnißmäßig geringen Summe ablösen, wird die Ausübung in Böh¬
men der Art sein, daß durch sieben Jahre, jährlich ein Sie¬
bentheil der jetzigen Steuer weniger gezahlt wird und
nach Ablauf des siebenten Jahres ist sie dann für immer
erloschen. Man könnte davon für die Zukunft so manche hoffnungs¬
reiche Schlüsse ziehen, aber theils ist es auch nicht entschieden, ob nicht
an die Stelle dieser Steuer eine andere tritt, theils ist damit keine ei¬
gentliche politische Concession gemacht. Muß doch der Jude hier in
Wien, der nicht das sogenannte „Toleranzrecht" hat, noch immer alle
14 Tage 2 Gulden C.-M. für die Aufenthaltsbcwilligung zahlen, be¬
steht doch noch immer hier auf der Polizei ein eigenes „Judcnamt,"
und gibt es dock) noch in den österreichischen Erbländern Städte genug, wo
den Juden ein längerer als dreitägiger Aufenthalt verboten ist. Daß
durch die Aufhebung der Judcnsteucr in Böhmen und Ungarn auch das
Loos der übrigen österreichischen Juden etwas verbessert werden muß, ist
ohne Zweifel, spricht man doch schon hier in Wien ebenfalls von der
Aufhebung der Toleranzsteuer, aber was dieses auf ihre bürgerliche
Mündigerklarung für einen Einfluß haben foll, sehe ich jetzt nicht ein,
so lange man den Grundbesitz nicht an noch andere Bedingungen wie
bisher knüpft, so lange man ihm den Eintritt in gewisse Gilden ver¬
weigert, überhaupt das Ausüben einzelner Handwerke, so lange nicht


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[0231] Grundstücke, aufstehende Forderungen, sogar Pretiosen rechnet, freilich nach Abschlag der Passiver — und als indirecte Steuer, indem der Jude von allen Fleischarten, die er genießt, noch vor Abschlachten des Thieres eine gewisse Summe entrichten muß; — — sondern sie war auch eine der moralisch verderblichsten, indem jeder Jude verpflichtet war bei Eid und Gewissen sein Vermögen genau anzugeben, und man doch mit Sicherheit rechnen kann, daß dieses in keinem einzigen Falle geschah. Die Regierung sowohl als die Steuerdirection mußten überzeugt sein, jede Vermögenseingabe enthalte Unwahrheit und falschen Schwur und wenn man auch in der That auf das Unmoralische und Entwürdigende dieser Eingabsformeln aufmerksam gemacht hat, sie wurde doch nicht ge¬ ändert, weil man in ihrer Schlußformel „bei Strafe der Confiscirung des verheimlichten Vermögens" eine zu starke Waffe in der Hand zu haben glaubte. Es würde weit den Umfang dieses Briefes übersteigen, wollte ich auch nur annäherungsweise all die schädlichen und schändlichen Folgen des bisher in Böhmen bestandenen Judensteucr-Systemes ent¬ hüllen, und es ist unbegreiflich, wie die Regierung, zu welcher immer¬ fort die flehenden, jammernden Klagen empordrangen, so lange taub sein konnte. Und doch war es nicht der bedeutende, finanzielle Ausfall, der sie von einer frühern Reform abhalten konnte, denn der ganze jährliche Betrag waren 220Mi) Rthlr., ja sie verschmähte es sogar, als die böhmische Judenschaft ihr den Antrag machte, sich mit einem Capital von einer Million Gulden C.-M. für immer sich von dieser Steuer abzulösen. Und jetzt wird auf einmal die Judensteuer in den zwei bedeutendsten Provinzen Oesterreichs, wenn auch nicht ganz aufgehoben, so doch der Aufhebung nahe gerückt, denn während in Ungarn die Juden sich mit einer verhältnißmäßig geringen Summe ablösen, wird die Ausübung in Böh¬ men der Art sein, daß durch sieben Jahre, jährlich ein Sie¬ bentheil der jetzigen Steuer weniger gezahlt wird und nach Ablauf des siebenten Jahres ist sie dann für immer erloschen. Man könnte davon für die Zukunft so manche hoffnungs¬ reiche Schlüsse ziehen, aber theils ist es auch nicht entschieden, ob nicht an die Stelle dieser Steuer eine andere tritt, theils ist damit keine ei¬ gentliche politische Concession gemacht. Muß doch der Jude hier in Wien, der nicht das sogenannte „Toleranzrecht" hat, noch immer alle 14 Tage 2 Gulden C.-M. für die Aufenthaltsbcwilligung zahlen, be¬ steht doch noch immer hier auf der Polizei ein eigenes „Judcnamt," und gibt es dock) noch in den österreichischen Erbländern Städte genug, wo den Juden ein längerer als dreitägiger Aufenthalt verboten ist. Daß durch die Aufhebung der Judcnsteucr in Böhmen und Ungarn auch das Loos der übrigen österreichischen Juden etwas verbessert werden muß, ist ohne Zweifel, spricht man doch schon hier in Wien ebenfalls von der Aufhebung der Toleranzsteuer, aber was dieses auf ihre bürgerliche Mündigerklarung für einen Einfluß haben foll, sehe ich jetzt nicht ein, so lange man den Grundbesitz nicht an noch andere Bedingungen wie bisher knüpft, so lange man ihm den Eintritt in gewisse Gilden ver¬ weigert, überhaupt das Ausüben einzelner Handwerke, so lange nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/231>, abgerufen am 27.07.2024.