Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.Schule erhalten und auf der berliner Universität kann man alle Tage, Schule erhalten und auf der berliner Universität kann man alle Tage, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183222"/> <p xml:id="ID_555" prev="#ID_554" next="#ID_556"> Schule erhalten und auf der berliner Universität kann man alle Tage,<lb/> z. B. in dem Auditorium des Professors Stahl, die Grundsätze dieser<lb/> Schule vernehmen. Das Grundprincip dieser Schule ist es, im Staats¬<lb/> leben Alles auf das Ursprüngliche, Einfache zurückzuführen. Dieses<lb/> Princip soll, wie von den Restaurateuren gelehrt wird, vor allen Din¬<lb/> gen historisch gefaßt werden, aber da zeigt es sich denn von vornher¬<lb/> ein sogleich als sehr unsicher, was unter dem Historisch-Ursprünglichen<lb/> zu verstehen ist. Was ist das Historisch-Ursprüngliche anders, als das<lb/> Unausgebildete, das Rohe, das Unentwickelte? Aus dem natürlichen<lb/> Zustande der Unmittelbarkeit sind am Ende alle Staaten der Welt<lb/> hervorgegangen, wie sollen sie nur aber, da sie auf dem Standpunkte<lb/> der Cultur angelangt sind, auf die ursprüngliche rohe Weise wieder<lb/> zurückgeführt werden? Indem die haller'sche Schule den Patrimonial-<lb/> staat mit seiner ganzen Bevormundung zu begründen sucht und indem<lb/> sie aus ihren Voraussetzungen strenge Consequenzen zieht, gerät!) sie<lb/> nicht blos mit dem allgemeinen Cultnrstande und mit den politischen<lb/> Institutionen Preußens, sondern auch mit den Absichten der Regierung<lb/> in einen entschiedenen Widerspruch und sie hat gar keine Aussicht,<lb/> mit allen ihren theoretischen Entwickelungen bis in die politische Wirk¬<lb/> lichkeit einzudringen. Sie scheitert nicht blos an der Reaction des<lb/> allgemeinen Bewußtseins, sondern auch an der Klugheit der Regierung.<lb/> Für die Copisten Hallers ist das Volk eben nichts, als ein Aggregat,<lb/> welches nach Ständen, nach Provinzen, nach Meinungen, nach Vor¬<lb/> urtheilen auseinandergehalten werden kann und ihnen muß die Cultur<lb/> des Gedankens, aller der Bewegungen, um welche sich die Neuzeit<lb/> bereichert hat, als ein Greuel erscheinen. Von der Entwickelung Hal-<lb/> ler's: „Gott wollte, daß unter den Menschen der Begriff Freiheit ver¬<lb/> wirklicht werde; da nun aber nicht alle Menschen frei sein können,<lb/> so wollte er wenigstens, daß jeweilig Einer frei sei und dieser eine<lb/> Freie ist der Fürst; von dieser Begründung des Herrscherthums und<lb/> der bloßen Willkür, welche nichts mit der Aufgabe eines vernünftigen<lb/> Staates gemein hat, pflegen auch seine Copisten und Apostel auszu¬<lb/> gehen und alle politischen, staatsrechtlichen Verhältnisse pflegen von<lb/> ihnen gewöhnlich von dem privatrechtlichen Standpunkte des Einen aus,<lb/> welcher, nach ihnen, den Staat als sein Eigenthum besitzt, beurtheilt<lb/> zu werden. Bei der Construction des haller'schen Staates fallen so<lb/> ziemlich alle höhern, geistigen Interessen des Menschen ab. Wenn sie<lb/> nicht ganz verleugnet werden, so wird das Oberhaupt des Staates<lb/> doch der Sorge dafür überhoben und Alles zusammenhangslos dar-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0201]
Schule erhalten und auf der berliner Universität kann man alle Tage,
z. B. in dem Auditorium des Professors Stahl, die Grundsätze dieser
Schule vernehmen. Das Grundprincip dieser Schule ist es, im Staats¬
leben Alles auf das Ursprüngliche, Einfache zurückzuführen. Dieses
Princip soll, wie von den Restaurateuren gelehrt wird, vor allen Din¬
gen historisch gefaßt werden, aber da zeigt es sich denn von vornher¬
ein sogleich als sehr unsicher, was unter dem Historisch-Ursprünglichen
zu verstehen ist. Was ist das Historisch-Ursprüngliche anders, als das
Unausgebildete, das Rohe, das Unentwickelte? Aus dem natürlichen
Zustande der Unmittelbarkeit sind am Ende alle Staaten der Welt
hervorgegangen, wie sollen sie nur aber, da sie auf dem Standpunkte
der Cultur angelangt sind, auf die ursprüngliche rohe Weise wieder
zurückgeführt werden? Indem die haller'sche Schule den Patrimonial-
staat mit seiner ganzen Bevormundung zu begründen sucht und indem
sie aus ihren Voraussetzungen strenge Consequenzen zieht, gerät!) sie
nicht blos mit dem allgemeinen Cultnrstande und mit den politischen
Institutionen Preußens, sondern auch mit den Absichten der Regierung
in einen entschiedenen Widerspruch und sie hat gar keine Aussicht,
mit allen ihren theoretischen Entwickelungen bis in die politische Wirk¬
lichkeit einzudringen. Sie scheitert nicht blos an der Reaction des
allgemeinen Bewußtseins, sondern auch an der Klugheit der Regierung.
Für die Copisten Hallers ist das Volk eben nichts, als ein Aggregat,
welches nach Ständen, nach Provinzen, nach Meinungen, nach Vor¬
urtheilen auseinandergehalten werden kann und ihnen muß die Cultur
des Gedankens, aller der Bewegungen, um welche sich die Neuzeit
bereichert hat, als ein Greuel erscheinen. Von der Entwickelung Hal-
ler's: „Gott wollte, daß unter den Menschen der Begriff Freiheit ver¬
wirklicht werde; da nun aber nicht alle Menschen frei sein können,
so wollte er wenigstens, daß jeweilig Einer frei sei und dieser eine
Freie ist der Fürst; von dieser Begründung des Herrscherthums und
der bloßen Willkür, welche nichts mit der Aufgabe eines vernünftigen
Staates gemein hat, pflegen auch seine Copisten und Apostel auszu¬
gehen und alle politischen, staatsrechtlichen Verhältnisse pflegen von
ihnen gewöhnlich von dem privatrechtlichen Standpunkte des Einen aus,
welcher, nach ihnen, den Staat als sein Eigenthum besitzt, beurtheilt
zu werden. Bei der Construction des haller'schen Staates fallen so
ziemlich alle höhern, geistigen Interessen des Menschen ab. Wenn sie
nicht ganz verleugnet werden, so wird das Oberhaupt des Staates
doch der Sorge dafür überhoben und Alles zusammenhangslos dar-
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