Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.Charakter dieser Stadt einwirkt, so wird man sich wenig darüber wun¬ Charakter dieser Stadt einwirkt, so wird man sich wenig darüber wun¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183219"/> <p xml:id="ID_549" prev="#ID_548" next="#ID_550"> Charakter dieser Stadt einwirkt, so wird man sich wenig darüber wun¬<lb/> dern können, daß auf die untern Schichten des Lebens dieser Einfluß<lb/> von oben von großer Wirkung ist. Dazu durchdringt das büreaukra¬<lb/> tische Element, unmittelbar mit dem herrschenden Regjerungsprincipe<lb/> verbunden, in Berlin alle Stufen und Stände. Als Residenz hat<lb/> Berlin sich mehr als andere Städte, an die Schauspiele, an den<lb/> ä'ußernGlanz gewöhnt, welche der Monarchismus immer mit sich ver¬<lb/> bindet und diese Freude an der äußern monarchischen Pracht hat nicht<lb/> wenig dazu beigetragen, die Bevölkerung an das Wesen des Beste¬<lb/> henden, als an den natürlichsten, einfachsten, unumgänglich nothwen-<lb/> digen Zustand der Dinge zu befestigen. Natürlich zeigt sich dieser Zu¬<lb/> sammenhang Berlin's mit dem herrschenden Principe in der Masse<lb/> nicht als das Resultat eines Parteibewußtseinö, sondern eben nur als<lb/> ein Jndifferentismus gegen alle politischen Elemente, die mit dem be¬<lb/> stehenden Zustande in entschiedenen Widerspruch gerathen sind. Ande¬<lb/> rerseits wird der Jndifferentismus durch den Charakter, welche» Ber¬<lb/> lin als Großstadt angenommen hat, sehr bedeutend gefördert. Der<lb/> Kampf um die materiellen Güter des Lebens, das verzweifelte Ringen<lb/> um eine Eristenz, die Concurrenz, die Geldausbeutung, welche sich in<lb/> Berlin bis zu den widerlichsten Ausläufer entwickeln, halten die Masse<lb/> von den abstracten Fragen der Politik zurück und lassen sie gleichgiltig<lb/> gegen alle Krisen, die sich nicht unmittelbar auf das materielle Gebiet<lb/> beziehen. Das Volk hat zu viel mit dem Hunger, mit der Sorge<lb/> für den Tag, mit der Concurrenz, gegen welche das politische Prin¬<lb/> cip durchaus nicht hemmend auftritt, zu thun, als daß die Mahnun¬<lb/> gen des Liberalismus wesentlich auf seinen Sinn einwirken könnten.<lb/> Der Liberalismus, welcher sich in den Sphären des Geldbesitzes und der<lb/> Intelligenz geltend macht, hat nicht die Kraft, die Masse des Volkes aus<lb/> ihrem politischen Jndifferentismus emporzuheben, da er für die materielle<lb/> Eristenz derselben durch seine abstracten Versprechungen keine Gewähr<lb/> leisten kann. In Städten, die nicht eine so glänzende Entwickelung<lb/> nehmen, wie Berlin und wo sich der ganze Nachdruck der monarchi¬<lb/> schen Centralkraft nicht so geltend machen kann, wie hier, stehen dem<lb/> Liberalismus weit mehr Mittel und Wege zu Gebote, die Masse für<lb/> sich zu interessiren und selbst, wenn sie nicht will, für sich zu zwingen.<lb/> Die Factoren des Geldbesitzes und der Intelligenz stellen sich an die<lb/> Spitze einer Bewegung, agitiren dafür und das Volk, in seiner ma-<lb/> teriellen Eristenz an dieselben gefesselt, an die geistige Obhut derselben<lb/> gewöhnt, schließt sich ihnen an. In Berlin sind solche Bewegungen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
Charakter dieser Stadt einwirkt, so wird man sich wenig darüber wun¬
dern können, daß auf die untern Schichten des Lebens dieser Einfluß
von oben von großer Wirkung ist. Dazu durchdringt das büreaukra¬
tische Element, unmittelbar mit dem herrschenden Regjerungsprincipe
verbunden, in Berlin alle Stufen und Stände. Als Residenz hat
Berlin sich mehr als andere Städte, an die Schauspiele, an den
ä'ußernGlanz gewöhnt, welche der Monarchismus immer mit sich ver¬
bindet und diese Freude an der äußern monarchischen Pracht hat nicht
wenig dazu beigetragen, die Bevölkerung an das Wesen des Beste¬
henden, als an den natürlichsten, einfachsten, unumgänglich nothwen-
digen Zustand der Dinge zu befestigen. Natürlich zeigt sich dieser Zu¬
sammenhang Berlin's mit dem herrschenden Principe in der Masse
nicht als das Resultat eines Parteibewußtseinö, sondern eben nur als
ein Jndifferentismus gegen alle politischen Elemente, die mit dem be¬
stehenden Zustande in entschiedenen Widerspruch gerathen sind. Ande¬
rerseits wird der Jndifferentismus durch den Charakter, welche» Ber¬
lin als Großstadt angenommen hat, sehr bedeutend gefördert. Der
Kampf um die materiellen Güter des Lebens, das verzweifelte Ringen
um eine Eristenz, die Concurrenz, die Geldausbeutung, welche sich in
Berlin bis zu den widerlichsten Ausläufer entwickeln, halten die Masse
von den abstracten Fragen der Politik zurück und lassen sie gleichgiltig
gegen alle Krisen, die sich nicht unmittelbar auf das materielle Gebiet
beziehen. Das Volk hat zu viel mit dem Hunger, mit der Sorge
für den Tag, mit der Concurrenz, gegen welche das politische Prin¬
cip durchaus nicht hemmend auftritt, zu thun, als daß die Mahnun¬
gen des Liberalismus wesentlich auf seinen Sinn einwirken könnten.
Der Liberalismus, welcher sich in den Sphären des Geldbesitzes und der
Intelligenz geltend macht, hat nicht die Kraft, die Masse des Volkes aus
ihrem politischen Jndifferentismus emporzuheben, da er für die materielle
Eristenz derselben durch seine abstracten Versprechungen keine Gewähr
leisten kann. In Städten, die nicht eine so glänzende Entwickelung
nehmen, wie Berlin und wo sich der ganze Nachdruck der monarchi¬
schen Centralkraft nicht so geltend machen kann, wie hier, stehen dem
Liberalismus weit mehr Mittel und Wege zu Gebote, die Masse für
sich zu interessiren und selbst, wenn sie nicht will, für sich zu zwingen.
Die Factoren des Geldbesitzes und der Intelligenz stellen sich an die
Spitze einer Bewegung, agitiren dafür und das Volk, in seiner ma-
teriellen Eristenz an dieselben gefesselt, an die geistige Obhut derselben
gewöhnt, schließt sich ihnen an. In Berlin sind solche Bewegungen
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