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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Eine tiefe Melancholie, die sich leider nur zu oft in schwülstigen
Klagen und Ausrufungen gefiel, war der Hauptzug, den ich während
eines langen Gesprächs an dem gefälligen Fräulein wahrnahm, indessen
muß ich gestehen, daß mein Interesse für sie sich bedeutend gesteigert
hatte und namentlich jetzt, wo ich mit ihr auf classischem Boden
stand, konnte ich meiner Neugierde nicht versagen, etwas Näheres von
jenem Abenteuer auszuspioniren. Da wir grade über die Aussicht ge¬
sprochen hatten, ergriff ich sogleich die Gelegenheit, das zarte Thema
zu berühren.

"Ich denke mir," fuhr ich mit gleichgiltiger Miene im Gespräche
fort, "daß von diesem herrlichen Punkte aus die Schönheit der Natur
sich verdoppeln muß, wenn eine klare Mondennacht uns diese Gegend
in einem andern Lichte zeigt. Die Räume dehnen sich dann weiter
aus, die Körper werden massenhafter, Licht und Schatten grenzen sich
schärfer ab -- kurz, der Anblick wirkt mächtiger, wirkt poetischer."

Die Freiin sah mich scharf in's Auge, als ob sie meine Absicht
durchschaut, ja mir war es, als müßte sie eine kleine Verlegenheit
niederkämpfen, ehe sie mir antwortete.

"Gewiß haben Sie da ganz Recht," erwiederte sie, "auch mir ist
es hundert Mal schon widerfahren, daß, wenn ich von hier hinab¬
schaute auf die schlummernde Erde und den klaren, ruhigen See, das
Bild mich mit solchen magnetischen Kräften fesselte, daß ich mich von
ihm nicht eher trennen konnte, als bis der Purpursaum des Morgens
im Osten erglänzte, und die Mondscheibe vor dem mächtigeren Licht
erbleichte."

Daß ich dies für Uebertreibung hielt, brauche ich nicht hinzuzu¬
setzen, aus Artigkeit mußte ich es aber glauben.

"Es würde mir selbst so gehen," erwiederte ich daher, "wenn ich
hier über den Fluthen schwebte, und die Strahlen des Mondes nie¬
dergleiteten auf die Wasserfläche."

"Sie reisen wahrscheinlich sehr bald wieder ab?" unterbrach mich
das Fräulein von Eichen.

"Ich bin selbst noch nicht einig," gab ich zur Antwort. "Als ich
gestern ankam, gedachte ich nur eine Nacht zu verweilen und heute
schmerzt es mich schon, wenn ich denke, es könnte die Stunde des
Scheidens schlagen! Lieber bleibe ich ganz da!"

Das war nun freilich halb Wahrheit, halb Heuchelei, denn im
Grunde fesselte mich weiter nichts, als die Neugierde, die jene nacht-


Eine tiefe Melancholie, die sich leider nur zu oft in schwülstigen
Klagen und Ausrufungen gefiel, war der Hauptzug, den ich während
eines langen Gesprächs an dem gefälligen Fräulein wahrnahm, indessen
muß ich gestehen, daß mein Interesse für sie sich bedeutend gesteigert
hatte und namentlich jetzt, wo ich mit ihr auf classischem Boden
stand, konnte ich meiner Neugierde nicht versagen, etwas Näheres von
jenem Abenteuer auszuspioniren. Da wir grade über die Aussicht ge¬
sprochen hatten, ergriff ich sogleich die Gelegenheit, das zarte Thema
zu berühren.

„Ich denke mir," fuhr ich mit gleichgiltiger Miene im Gespräche
fort, „daß von diesem herrlichen Punkte aus die Schönheit der Natur
sich verdoppeln muß, wenn eine klare Mondennacht uns diese Gegend
in einem andern Lichte zeigt. Die Räume dehnen sich dann weiter
aus, die Körper werden massenhafter, Licht und Schatten grenzen sich
schärfer ab — kurz, der Anblick wirkt mächtiger, wirkt poetischer."

Die Freiin sah mich scharf in's Auge, als ob sie meine Absicht
durchschaut, ja mir war es, als müßte sie eine kleine Verlegenheit
niederkämpfen, ehe sie mir antwortete.

„Gewiß haben Sie da ganz Recht," erwiederte sie, „auch mir ist
es hundert Mal schon widerfahren, daß, wenn ich von hier hinab¬
schaute auf die schlummernde Erde und den klaren, ruhigen See, das
Bild mich mit solchen magnetischen Kräften fesselte, daß ich mich von
ihm nicht eher trennen konnte, als bis der Purpursaum des Morgens
im Osten erglänzte, und die Mondscheibe vor dem mächtigeren Licht
erbleichte."

Daß ich dies für Uebertreibung hielt, brauche ich nicht hinzuzu¬
setzen, aus Artigkeit mußte ich es aber glauben.

„Es würde mir selbst so gehen," erwiederte ich daher, „wenn ich
hier über den Fluthen schwebte, und die Strahlen des Mondes nie¬
dergleiteten auf die Wasserfläche."

„Sie reisen wahrscheinlich sehr bald wieder ab?" unterbrach mich
das Fräulein von Eichen.

„Ich bin selbst noch nicht einig," gab ich zur Antwort. „Als ich
gestern ankam, gedachte ich nur eine Nacht zu verweilen und heute
schmerzt es mich schon, wenn ich denke, es könnte die Stunde des
Scheidens schlagen! Lieber bleibe ich ganz da!"

Das war nun freilich halb Wahrheit, halb Heuchelei, denn im
Grunde fesselte mich weiter nichts, als die Neugierde, die jene nacht-


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[0154] Eine tiefe Melancholie, die sich leider nur zu oft in schwülstigen Klagen und Ausrufungen gefiel, war der Hauptzug, den ich während eines langen Gesprächs an dem gefälligen Fräulein wahrnahm, indessen muß ich gestehen, daß mein Interesse für sie sich bedeutend gesteigert hatte und namentlich jetzt, wo ich mit ihr auf classischem Boden stand, konnte ich meiner Neugierde nicht versagen, etwas Näheres von jenem Abenteuer auszuspioniren. Da wir grade über die Aussicht ge¬ sprochen hatten, ergriff ich sogleich die Gelegenheit, das zarte Thema zu berühren. „Ich denke mir," fuhr ich mit gleichgiltiger Miene im Gespräche fort, „daß von diesem herrlichen Punkte aus die Schönheit der Natur sich verdoppeln muß, wenn eine klare Mondennacht uns diese Gegend in einem andern Lichte zeigt. Die Räume dehnen sich dann weiter aus, die Körper werden massenhafter, Licht und Schatten grenzen sich schärfer ab — kurz, der Anblick wirkt mächtiger, wirkt poetischer." Die Freiin sah mich scharf in's Auge, als ob sie meine Absicht durchschaut, ja mir war es, als müßte sie eine kleine Verlegenheit niederkämpfen, ehe sie mir antwortete. „Gewiß haben Sie da ganz Recht," erwiederte sie, „auch mir ist es hundert Mal schon widerfahren, daß, wenn ich von hier hinab¬ schaute auf die schlummernde Erde und den klaren, ruhigen See, das Bild mich mit solchen magnetischen Kräften fesselte, daß ich mich von ihm nicht eher trennen konnte, als bis der Purpursaum des Morgens im Osten erglänzte, und die Mondscheibe vor dem mächtigeren Licht erbleichte." Daß ich dies für Uebertreibung hielt, brauche ich nicht hinzuzu¬ setzen, aus Artigkeit mußte ich es aber glauben. „Es würde mir selbst so gehen," erwiederte ich daher, „wenn ich hier über den Fluthen schwebte, und die Strahlen des Mondes nie¬ dergleiteten auf die Wasserfläche." „Sie reisen wahrscheinlich sehr bald wieder ab?" unterbrach mich das Fräulein von Eichen. „Ich bin selbst noch nicht einig," gab ich zur Antwort. „Als ich gestern ankam, gedachte ich nur eine Nacht zu verweilen und heute schmerzt es mich schon, wenn ich denke, es könnte die Stunde des Scheidens schlagen! Lieber bleibe ich ganz da!" Das war nun freilich halb Wahrheit, halb Heuchelei, denn im Grunde fesselte mich weiter nichts, als die Neugierde, die jene nacht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/154>, abgerufen am 24.07.2024.