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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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er dann selbst Heirtrich Leo und Berthold von dieser den Norddeutschen
so günstigen Charakteristik ausnehmen, wahrend er zu dem Zugeständniß
gezwungen ist, daß Männer wie stallr u. A. an Gelehrsamkeit und
Unbefangenheit von keinem Andern übertroffen werden.

Interessant und von der gewöhnlichen Beurtheilung abweichend ist
besonders die kurze Skizze, die Waitz von der heidelbergischen Schule
entwirft. "In Heidelberg" -- sagt er -- ,,sind in akademischer Thä¬
tigkeit Männer verbunden, der verschiedensten Herkunft und Art, und die
doch in Wichtigem übereinstimmen und zusammen zu gehören scheinen;
die ältern Schlosser und Kortüm, die jüngern Gervinus, Hagen und
Häuser. Bei einigen wird man nicht mit Unrecht von Schlosser'scher
Schule sprechen dürfen; denn selbst die Nachlässigkeiten und Unschönhei-
ten des Styls haben sie von dem Meister angenommen, der Meinung,
daß Alles auf den Inhalt und den Sinn, auf die Form aber wenig
oder gar nichts ankomme. An unabhängigem, ehrlichen Sinn wetteifern
sie mit einander und sind dem kräftigen Fortschritt mit vollem Herzen
hingegeben. Zu Kortüm, der ziemlich für sich unter den Historikern
Deutschlands dasteht, waltet ein fast republikanischer Sinn . . . Viel¬
leicht darf man ihn in gewissem Sinne zu den Nachfolgern Johannes
Müllers rechnen, dessen Schule sonst im Süden Deutschlands und selbst
in seinem Vaterlande ganzlich ausgestorben zu sein scheint. Nach den
fernen Küsten der Nordsee ist der begeisterte Anhänger desselben, Hor-
mayr, verschlagen worden, der vielleicht, trotz der aristokratischen Her¬
kunft, mehr mit Kortüm gemein hat, als beide zugeben mochten. Auch
den alten von Gagern müßte man hier anreihen. Man freut sich
besonders, wenn sie Erlebtes schildern und laßt sich auch die Breite, das
Blumige und zugleich das Fragmentarische der Darstellung gefallen; sie
gehören aber mehr oder weniger einer Bildungszeit an, die nun bereits
vorübergegangen ist. Dasselbe darf man wohl am wenigsten von
Schlosser sagen, dem Ostfriesen, der nun seit langen Jahren grade
im Süden Deutschlands aus's Bedeutendste gewirkt hat, während wir
Norddeutschen uns weder mit der Auffassung, noch mit der Darstellung
in den Schlosser'schen Büchern befreunden können. Dieses Schwarzseher
aller Dinge und Zustände, diese fast absichtliche Herabsetzung jeder gro¬
ßen Persönlichkeit, weil sie nicht wie Schlosser denkt und handelt, diefes
völlige Verkennen der Eigenthümlichkeit verschiedener Zeiten und Länder,
liegt doch sehr weit ab von den Wegen wahrer Geschichte. Der unnach¬
sichtige Haß gegen alles Gemeine und Schlechte, die Entschiedenheit der
überall durchsprechenden Ueberzeugung, flößt die höchste Achtung vor dem
Charakter des Mannes ein; allein Gesinnung macht nicht allein den
vollendeten Historiker und die große Gelehrsamkeit thut es auch nicht, die
hier wohl ost gerühmt worden ist, aber doch mehr als ein fleißiges Lesen
von Quellen denn als ein wahrhaft sorgfältiges und kritisches Verar¬
beiten derselben erscheint. Solche Mängel und solche Wirkung! wird
man sagen. Die Wirkung liegt in der geistigen Kraft des Mannes, die
Mängel liegen theils in dem einseitigen Sinn, theils in der fast absicht¬
lichen Vernachlässigung der Durcharbeitung des Stoffes.--Weit


er dann selbst Heirtrich Leo und Berthold von dieser den Norddeutschen
so günstigen Charakteristik ausnehmen, wahrend er zu dem Zugeständniß
gezwungen ist, daß Männer wie stallr u. A. an Gelehrsamkeit und
Unbefangenheit von keinem Andern übertroffen werden.

Interessant und von der gewöhnlichen Beurtheilung abweichend ist
besonders die kurze Skizze, die Waitz von der heidelbergischen Schule
entwirft. „In Heidelberg" — sagt er — ,,sind in akademischer Thä¬
tigkeit Männer verbunden, der verschiedensten Herkunft und Art, und die
doch in Wichtigem übereinstimmen und zusammen zu gehören scheinen;
die ältern Schlosser und Kortüm, die jüngern Gervinus, Hagen und
Häuser. Bei einigen wird man nicht mit Unrecht von Schlosser'scher
Schule sprechen dürfen; denn selbst die Nachlässigkeiten und Unschönhei-
ten des Styls haben sie von dem Meister angenommen, der Meinung,
daß Alles auf den Inhalt und den Sinn, auf die Form aber wenig
oder gar nichts ankomme. An unabhängigem, ehrlichen Sinn wetteifern
sie mit einander und sind dem kräftigen Fortschritt mit vollem Herzen
hingegeben. Zu Kortüm, der ziemlich für sich unter den Historikern
Deutschlands dasteht, waltet ein fast republikanischer Sinn . . . Viel¬
leicht darf man ihn in gewissem Sinne zu den Nachfolgern Johannes
Müllers rechnen, dessen Schule sonst im Süden Deutschlands und selbst
in seinem Vaterlande ganzlich ausgestorben zu sein scheint. Nach den
fernen Küsten der Nordsee ist der begeisterte Anhänger desselben, Hor-
mayr, verschlagen worden, der vielleicht, trotz der aristokratischen Her¬
kunft, mehr mit Kortüm gemein hat, als beide zugeben mochten. Auch
den alten von Gagern müßte man hier anreihen. Man freut sich
besonders, wenn sie Erlebtes schildern und laßt sich auch die Breite, das
Blumige und zugleich das Fragmentarische der Darstellung gefallen; sie
gehören aber mehr oder weniger einer Bildungszeit an, die nun bereits
vorübergegangen ist. Dasselbe darf man wohl am wenigsten von
Schlosser sagen, dem Ostfriesen, der nun seit langen Jahren grade
im Süden Deutschlands aus's Bedeutendste gewirkt hat, während wir
Norddeutschen uns weder mit der Auffassung, noch mit der Darstellung
in den Schlosser'schen Büchern befreunden können. Dieses Schwarzseher
aller Dinge und Zustände, diese fast absichtliche Herabsetzung jeder gro¬
ßen Persönlichkeit, weil sie nicht wie Schlosser denkt und handelt, diefes
völlige Verkennen der Eigenthümlichkeit verschiedener Zeiten und Länder,
liegt doch sehr weit ab von den Wegen wahrer Geschichte. Der unnach¬
sichtige Haß gegen alles Gemeine und Schlechte, die Entschiedenheit der
überall durchsprechenden Ueberzeugung, flößt die höchste Achtung vor dem
Charakter des Mannes ein; allein Gesinnung macht nicht allein den
vollendeten Historiker und die große Gelehrsamkeit thut es auch nicht, die
hier wohl ost gerühmt worden ist, aber doch mehr als ein fleißiges Lesen
von Quellen denn als ein wahrhaft sorgfältiges und kritisches Verar¬
beiten derselben erscheint. Solche Mängel und solche Wirkung! wird
man sagen. Die Wirkung liegt in der geistigen Kraft des Mannes, die
Mängel liegen theils in dem einseitigen Sinn, theils in der fast absicht¬
lichen Vernachlässigung der Durcharbeitung des Stoffes.--Weit


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[0139] er dann selbst Heirtrich Leo und Berthold von dieser den Norddeutschen so günstigen Charakteristik ausnehmen, wahrend er zu dem Zugeständniß gezwungen ist, daß Männer wie stallr u. A. an Gelehrsamkeit und Unbefangenheit von keinem Andern übertroffen werden. Interessant und von der gewöhnlichen Beurtheilung abweichend ist besonders die kurze Skizze, die Waitz von der heidelbergischen Schule entwirft. „In Heidelberg" — sagt er — ,,sind in akademischer Thä¬ tigkeit Männer verbunden, der verschiedensten Herkunft und Art, und die doch in Wichtigem übereinstimmen und zusammen zu gehören scheinen; die ältern Schlosser und Kortüm, die jüngern Gervinus, Hagen und Häuser. Bei einigen wird man nicht mit Unrecht von Schlosser'scher Schule sprechen dürfen; denn selbst die Nachlässigkeiten und Unschönhei- ten des Styls haben sie von dem Meister angenommen, der Meinung, daß Alles auf den Inhalt und den Sinn, auf die Form aber wenig oder gar nichts ankomme. An unabhängigem, ehrlichen Sinn wetteifern sie mit einander und sind dem kräftigen Fortschritt mit vollem Herzen hingegeben. Zu Kortüm, der ziemlich für sich unter den Historikern Deutschlands dasteht, waltet ein fast republikanischer Sinn . . . Viel¬ leicht darf man ihn in gewissem Sinne zu den Nachfolgern Johannes Müllers rechnen, dessen Schule sonst im Süden Deutschlands und selbst in seinem Vaterlande ganzlich ausgestorben zu sein scheint. Nach den fernen Küsten der Nordsee ist der begeisterte Anhänger desselben, Hor- mayr, verschlagen worden, der vielleicht, trotz der aristokratischen Her¬ kunft, mehr mit Kortüm gemein hat, als beide zugeben mochten. Auch den alten von Gagern müßte man hier anreihen. Man freut sich besonders, wenn sie Erlebtes schildern und laßt sich auch die Breite, das Blumige und zugleich das Fragmentarische der Darstellung gefallen; sie gehören aber mehr oder weniger einer Bildungszeit an, die nun bereits vorübergegangen ist. Dasselbe darf man wohl am wenigsten von Schlosser sagen, dem Ostfriesen, der nun seit langen Jahren grade im Süden Deutschlands aus's Bedeutendste gewirkt hat, während wir Norddeutschen uns weder mit der Auffassung, noch mit der Darstellung in den Schlosser'schen Büchern befreunden können. Dieses Schwarzseher aller Dinge und Zustände, diese fast absichtliche Herabsetzung jeder gro¬ ßen Persönlichkeit, weil sie nicht wie Schlosser denkt und handelt, diefes völlige Verkennen der Eigenthümlichkeit verschiedener Zeiten und Länder, liegt doch sehr weit ab von den Wegen wahrer Geschichte. Der unnach¬ sichtige Haß gegen alles Gemeine und Schlechte, die Entschiedenheit der überall durchsprechenden Ueberzeugung, flößt die höchste Achtung vor dem Charakter des Mannes ein; allein Gesinnung macht nicht allein den vollendeten Historiker und die große Gelehrsamkeit thut es auch nicht, die hier wohl ost gerühmt worden ist, aber doch mehr als ein fleißiges Lesen von Quellen denn als ein wahrhaft sorgfältiges und kritisches Verar¬ beiten derselben erscheint. Solche Mängel und solche Wirkung! wird man sagen. Die Wirkung liegt in der geistigen Kraft des Mannes, die Mängel liegen theils in dem einseitigen Sinn, theils in der fast absicht¬ lichen Vernachlässigung der Durcharbeitung des Stoffes.--Weit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/139>, abgerufen am 24.07.2024.