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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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der Louise Aston), dessen Bruder dort Gerichtsamtmann war, über den
Schloßhof ging. "Ach Gott, wie elend sah er aus" -- sagte sie --
"man mußte ordentlich darüber erschrecken. Und doch dauerte es nach¬
her noch mehrere Jahre, bis wir hörten, er sei nun auch gestorben." --
'

Bürgers Mutter, von der er ohne Zweifel die rege Sinnlichkeit,
wie vom Vater das Phlegma in seiner Natur ererbt hat, und von der
er selbst sagte, daß sie die bedeutendste Frau ihrer Zeit gewesen sein
würde, wenn es ihr nicht an jeglicher Bildung gefehlt hatte, würde Mir
als ein ziemlich boshaftes Weib geschildert, welches den BäüMen im
Garten einen Schaden anthat, als sie die Pfarre in Molmerswende räu¬
men mußte. Das war nun schlimm für die Großmutter, denn der
nächste Nachfolger vom alten Bürger verstand nichts von der BauM-
zucht, und als diesem der Großvater folgte, mußte der erst wieder Bir¬
nen und Aepfel säen; da fehlte es denn in der Küche an Manchem.
"Da muß man sich denn zu helfen wissen, liebes Kind, Auf Regen
folget Sonnenschein. Aber den Bürger haben ich und Dein seliger
Großvater immer lieb gehabt, und als wir dazumal kurz vor seinem
Tode auf seine Werke subscribirr hatten, schnitten wir vorn aus dem er¬
sten Bande sein Biloniß heraus, ließen es einrahmen und hingen es in
unsrer Wohnstube an der Stelle auf, wo die alte Madame ihn zur
Welt gebracht hatte. Als später Dein Vater dort einzog, der hielt nichts
auf Bürger und sagte: er habe schlecht gelebt, und wurde sehr ernsthaft,
wenn von ihm die Rede war. Aber das Bildniß hielt er doch in Eh¬
ren. War doch Deine Mutter an derselben Stelle geboren."

Wer wird es mir verargen, wenn ich am andern Morgen, wo ich
meinen Stab weiter fortsetzte und auch durch Molmerswende kam, vor
dem Pfarrhofe still stand, und trotzdem, daß es erst sechs Uhr früh war,
doch mich einen Augenblick versucht fühlte, ganz ungenirt bei dem Pre¬
diger einzutreten, um zu sehen, ob jenes schlichte Denkmal sich noch an
der bewußten Stelle befand. Eben sowohl im Namen meiner Familie
als meines Volkes hielt ich mich fast für berechtigt, den Herrn Pastor,
der in Bürger's Geburtshause wohnt, in seiner Häuslichkeit etwas zu
controliren. Als ich aber das Strohdach nicht mehr sah, von dem res
stets gehört hatte, sondern an seiner Stelle ein rothglänzendes Ziegeldach
erblickte, da fürchtete ich, bei meinem Eintritts in das Haus noch mehr
enttäuscht zu werden, und ging.

Auch war ich nicht allein. Mit mir stand an jenem Morgen auf
dem Fahrwege vor diesem Hause Johanne Bürger, welche die kleine
Wirthschaft meiner Großmutter führte und heute ihren Eltern in Pans-
felde einen Besuch abstatten wollte, wobei sie es sich nicht nehmen ließ,
bis dahin Mein leichtes Ranzchen zu tragen. Pansfelde, von unserm
Dichter Taubenhain und von seinen Biographen Pomsfelde genannt, ist
schon von dessen Arzte or. Althof richtig als der Stammort der Fa¬
milie Bürger bezeichnet. Aus einem der ersten Häuser des Dorfes hörte
ich Trompeten- und Geigentöne erklingen. Hier gab mir Johanne Bür¬
ger die Hand und trat ein, denn das war das Stammhaus der Bür¬
ger, und dort wohnen die Verwandten des unglücklichen Dichters, welche


der Louise Aston), dessen Bruder dort Gerichtsamtmann war, über den
Schloßhof ging. „Ach Gott, wie elend sah er aus" — sagte sie —
„man mußte ordentlich darüber erschrecken. Und doch dauerte es nach¬
her noch mehrere Jahre, bis wir hörten, er sei nun auch gestorben." —
'

Bürgers Mutter, von der er ohne Zweifel die rege Sinnlichkeit,
wie vom Vater das Phlegma in seiner Natur ererbt hat, und von der
er selbst sagte, daß sie die bedeutendste Frau ihrer Zeit gewesen sein
würde, wenn es ihr nicht an jeglicher Bildung gefehlt hatte, würde Mir
als ein ziemlich boshaftes Weib geschildert, welches den BäüMen im
Garten einen Schaden anthat, als sie die Pfarre in Molmerswende räu¬
men mußte. Das war nun schlimm für die Großmutter, denn der
nächste Nachfolger vom alten Bürger verstand nichts von der BauM-
zucht, und als diesem der Großvater folgte, mußte der erst wieder Bir¬
nen und Aepfel säen; da fehlte es denn in der Küche an Manchem.
„Da muß man sich denn zu helfen wissen, liebes Kind, Auf Regen
folget Sonnenschein. Aber den Bürger haben ich und Dein seliger
Großvater immer lieb gehabt, und als wir dazumal kurz vor seinem
Tode auf seine Werke subscribirr hatten, schnitten wir vorn aus dem er¬
sten Bande sein Biloniß heraus, ließen es einrahmen und hingen es in
unsrer Wohnstube an der Stelle auf, wo die alte Madame ihn zur
Welt gebracht hatte. Als später Dein Vater dort einzog, der hielt nichts
auf Bürger und sagte: er habe schlecht gelebt, und wurde sehr ernsthaft,
wenn von ihm die Rede war. Aber das Bildniß hielt er doch in Eh¬
ren. War doch Deine Mutter an derselben Stelle geboren."

Wer wird es mir verargen, wenn ich am andern Morgen, wo ich
meinen Stab weiter fortsetzte und auch durch Molmerswende kam, vor
dem Pfarrhofe still stand, und trotzdem, daß es erst sechs Uhr früh war,
doch mich einen Augenblick versucht fühlte, ganz ungenirt bei dem Pre¬
diger einzutreten, um zu sehen, ob jenes schlichte Denkmal sich noch an
der bewußten Stelle befand. Eben sowohl im Namen meiner Familie
als meines Volkes hielt ich mich fast für berechtigt, den Herrn Pastor,
der in Bürger's Geburtshause wohnt, in seiner Häuslichkeit etwas zu
controliren. Als ich aber das Strohdach nicht mehr sah, von dem res
stets gehört hatte, sondern an seiner Stelle ein rothglänzendes Ziegeldach
erblickte, da fürchtete ich, bei meinem Eintritts in das Haus noch mehr
enttäuscht zu werden, und ging.

Auch war ich nicht allein. Mit mir stand an jenem Morgen auf
dem Fahrwege vor diesem Hause Johanne Bürger, welche die kleine
Wirthschaft meiner Großmutter führte und heute ihren Eltern in Pans-
felde einen Besuch abstatten wollte, wobei sie es sich nicht nehmen ließ,
bis dahin Mein leichtes Ranzchen zu tragen. Pansfelde, von unserm
Dichter Taubenhain und von seinen Biographen Pomsfelde genannt, ist
schon von dessen Arzte or. Althof richtig als der Stammort der Fa¬
milie Bürger bezeichnet. Aus einem der ersten Häuser des Dorfes hörte
ich Trompeten- und Geigentöne erklingen. Hier gab mir Johanne Bür¬
ger die Hand und trat ein, denn das war das Stammhaus der Bür¬
ger, und dort wohnen die Verwandten des unglücklichen Dichters, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/136>, abgerufen am 24.07.2024.