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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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geweckt im Takelwerk arbeiten, soll der Capital" commandiren,
und die armen Geister bilden sich ein, weiter zu kommen und dem
Lande ihrer Heimath zuzusteuern, während sie nach wie vor von den
alten Klippen festgehalten werden. -- Mit dem ersten Hahnenruf
verschwindet dann der ganze Spuk, der in der Landessprache
"Slavomanie" heißt.---- Das arme schone, herrliche Schiff --
die arme schone herrliche Stadt! -- Troja, Theben, Jerusalem,
Rom, Venedig, sie brauchen sich der Klagcschwester nicht zu
schämen i so weit ich auch die Welt durchzogen, ich fand wenige
schönere, poesiereichere Städte als Prag. -- Aber wer kennt sie,
wer kümmert sich um sie, wer kennt ihre Leidensgeschichte? wer
versteht es, in ihrem Buche zu lesen ? Kennt sie sich doch selbst kaum. --
Schwere Krankheiten, hitzige Fieber haben ihr das Gedächtniß ge¬
raubt, und sie erinnert sich kaum mehr an ihre schönsten Zeiten. --
Ihre liebsten Lieblinge, ihre Dichter, Künstler u. s. w., kaum weiß
ich sie zu nennen. -- Wer hat die Prager Rathhausuhr gebaut? --
Wer hat die Königinhofer Gedichte geschrieben? -- Wer hat
den böhmischen Fenstersturz erfunden? -- und in seiner Folge,
die fliegenden Rathsherrn und Statthalter? -- -

Wenn ich stehe und hinunterblicke auf die ächzende Thurmuhr
von S. Veit, und den Thurm Dalibor hinter mir, rechts den
weißen Berg, links das alte Rathhaus, die Kirche mit dem Grabe
Brahes und die riesige Steinbrücke, die von mährchenhaften Zi¬
geunern aus Aegypten mit Zaubersprüchen und Eiweiß gebaut
sein soll, vor mir den alten Wissherad mit allen uralten Sagen,
schauerlichen und minniglichen Inhalts, und den weiten Blick ins
blaue Land -- da geht mir deine ganze Romantik auf, im Herzen
und im Geiste, deine, o Prag und deine, ö schönes, grünes, trau¬
riges Böhmen.




geweckt im Takelwerk arbeiten, soll der Capital» commandiren,
und die armen Geister bilden sich ein, weiter zu kommen und dem
Lande ihrer Heimath zuzusteuern, während sie nach wie vor von den
alten Klippen festgehalten werden. — Mit dem ersten Hahnenruf
verschwindet dann der ganze Spuk, der in der Landessprache
„Slavomanie" heißt.---- Das arme schone, herrliche Schiff —
die arme schone herrliche Stadt! — Troja, Theben, Jerusalem,
Rom, Venedig, sie brauchen sich der Klagcschwester nicht zu
schämen i so weit ich auch die Welt durchzogen, ich fand wenige
schönere, poesiereichere Städte als Prag. — Aber wer kennt sie,
wer kümmert sich um sie, wer kennt ihre Leidensgeschichte? wer
versteht es, in ihrem Buche zu lesen ? Kennt sie sich doch selbst kaum. —
Schwere Krankheiten, hitzige Fieber haben ihr das Gedächtniß ge¬
raubt, und sie erinnert sich kaum mehr an ihre schönsten Zeiten. —
Ihre liebsten Lieblinge, ihre Dichter, Künstler u. s. w., kaum weiß
ich sie zu nennen. — Wer hat die Prager Rathhausuhr gebaut? —
Wer hat die Königinhofer Gedichte geschrieben? — Wer hat
den böhmischen Fenstersturz erfunden? — und in seiner Folge,
die fliegenden Rathsherrn und Statthalter? — -

Wenn ich stehe und hinunterblicke auf die ächzende Thurmuhr
von S. Veit, und den Thurm Dalibor hinter mir, rechts den
weißen Berg, links das alte Rathhaus, die Kirche mit dem Grabe
Brahes und die riesige Steinbrücke, die von mährchenhaften Zi¬
geunern aus Aegypten mit Zaubersprüchen und Eiweiß gebaut
sein soll, vor mir den alten Wissherad mit allen uralten Sagen,
schauerlichen und minniglichen Inhalts, und den weiten Blick ins
blaue Land — da geht mir deine ganze Romantik auf, im Herzen
und im Geiste, deine, o Prag und deine, ö schönes, grünes, trau¬
riges Böhmen.




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[0084] geweckt im Takelwerk arbeiten, soll der Capital» commandiren, und die armen Geister bilden sich ein, weiter zu kommen und dem Lande ihrer Heimath zuzusteuern, während sie nach wie vor von den alten Klippen festgehalten werden. — Mit dem ersten Hahnenruf verschwindet dann der ganze Spuk, der in der Landessprache „Slavomanie" heißt.---- Das arme schone, herrliche Schiff — die arme schone herrliche Stadt! — Troja, Theben, Jerusalem, Rom, Venedig, sie brauchen sich der Klagcschwester nicht zu schämen i so weit ich auch die Welt durchzogen, ich fand wenige schönere, poesiereichere Städte als Prag. — Aber wer kennt sie, wer kümmert sich um sie, wer kennt ihre Leidensgeschichte? wer versteht es, in ihrem Buche zu lesen ? Kennt sie sich doch selbst kaum. — Schwere Krankheiten, hitzige Fieber haben ihr das Gedächtniß ge¬ raubt, und sie erinnert sich kaum mehr an ihre schönsten Zeiten. — Ihre liebsten Lieblinge, ihre Dichter, Künstler u. s. w., kaum weiß ich sie zu nennen. — Wer hat die Prager Rathhausuhr gebaut? — Wer hat die Königinhofer Gedichte geschrieben? — Wer hat den böhmischen Fenstersturz erfunden? — und in seiner Folge, die fliegenden Rathsherrn und Statthalter? — - Wenn ich stehe und hinunterblicke auf die ächzende Thurmuhr von S. Veit, und den Thurm Dalibor hinter mir, rechts den weißen Berg, links das alte Rathhaus, die Kirche mit dem Grabe Brahes und die riesige Steinbrücke, die von mährchenhaften Zi¬ geunern aus Aegypten mit Zaubersprüchen und Eiweiß gebaut sein soll, vor mir den alten Wissherad mit allen uralten Sagen, schauerlichen und minniglichen Inhalts, und den weiten Blick ins blaue Land — da geht mir deine ganze Romantik auf, im Herzen und im Geiste, deine, o Prag und deine, ö schönes, grünes, trau¬ riges Böhmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/84>, abgerufen am 28.07.2024.