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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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beschrieb in, Novellisten, Umlauftischen Angedenkens, Besuche bei
großen Männern, die er niemals gemacht hatte.

Ludwig Friedrich Lippmann machte seine Pläne für die Zu¬
kunft, vertrieb sich aber indessen die Zeit mit mündlichen Kritiken.
-- Er perorirte bei Schech gegen Alfred Meissnerö glänzende
Verse und ergriff Partei für Moritz Hartmanns einfachere. --
Keiner von beiden aber hatte damals vielleicht mehr als zwei oder
drei Gedichte in Ost und West drucken lassen. -- Polemisiren, ta¬
deln, witzig spötteln war Lippmanns Bedürfniß; eS war das der
Trommelschlag, die schreiende Janitscharenmusik mit welchen er die
Rede seines innern Menschen, der sich gerichtet fühlte, übertäuben
wollte. -- Lippmann wäre auch ohne sein trauriges Ende, das an
Leßmann erinnert, eine der tragischsten Figuren. Eine reicher Erbe
besaß er frühzeitig alle die Mittel, deren Erwerb gewöhnlich das
Beste im Menschen untergräbt, bevor er an den eigentlichen Zweck
seines Strebens gelangt.


Sander.

Hätte Lippmann die Harmlosigkeit des wahrhaft Glücklichen
besessen, er wäre mit seinem gesegneten reichen Naturell da gewe¬
sen, wohin er mit allem verzehrenden Ehrgeiz nicht gelangen
konnte. Er wäre kein Poet geworden, aber er wäre ein Poet
gewesen, ein Poet por so, ein Poet von Gottes Gnaden. --
Aber diese Harmlosigkeit, die eigentlich nichts anderes ist als ein
weiteres Fortträumen oder eine lebendige Erinnerung der Kindheit,
diese fehlte ihm. -- Im überfüllten Sinnengenuß, in raffinirter
geistiger Wollust, ging sie ihm verloren. -- Nur noch verurtheilen,
zersetzen, vernichten konnte er, schaffen konnte er nicht mehr; nur
sein Verstand konnte noch anerkennen und lieben, sein Herz, sein
Gemüth blieben kalt dabei und wußten nichts von den Proceduren
des Kopfes. -- Ein Poet wollte er sein rind konnte seinen Ge-


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beschrieb in, Novellisten, Umlauftischen Angedenkens, Besuche bei
großen Männern, die er niemals gemacht hatte.

Ludwig Friedrich Lippmann machte seine Pläne für die Zu¬
kunft, vertrieb sich aber indessen die Zeit mit mündlichen Kritiken.
— Er perorirte bei Schech gegen Alfred Meissnerö glänzende
Verse und ergriff Partei für Moritz Hartmanns einfachere. —
Keiner von beiden aber hatte damals vielleicht mehr als zwei oder
drei Gedichte in Ost und West drucken lassen. — Polemisiren, ta¬
deln, witzig spötteln war Lippmanns Bedürfniß; eS war das der
Trommelschlag, die schreiende Janitscharenmusik mit welchen er die
Rede seines innern Menschen, der sich gerichtet fühlte, übertäuben
wollte. — Lippmann wäre auch ohne sein trauriges Ende, das an
Leßmann erinnert, eine der tragischsten Figuren. Eine reicher Erbe
besaß er frühzeitig alle die Mittel, deren Erwerb gewöhnlich das
Beste im Menschen untergräbt, bevor er an den eigentlichen Zweck
seines Strebens gelangt.


Sander.

Hätte Lippmann die Harmlosigkeit des wahrhaft Glücklichen
besessen, er wäre mit seinem gesegneten reichen Naturell da gewe¬
sen, wohin er mit allem verzehrenden Ehrgeiz nicht gelangen
konnte. Er wäre kein Poet geworden, aber er wäre ein Poet
gewesen, ein Poet por so, ein Poet von Gottes Gnaden. —
Aber diese Harmlosigkeit, die eigentlich nichts anderes ist als ein
weiteres Fortträumen oder eine lebendige Erinnerung der Kindheit,
diese fehlte ihm. — Im überfüllten Sinnengenuß, in raffinirter
geistiger Wollust, ging sie ihm verloren. — Nur noch verurtheilen,
zersetzen, vernichten konnte er, schaffen konnte er nicht mehr; nur
sein Verstand konnte noch anerkennen und lieben, sein Herz, sein
Gemüth blieben kalt dabei und wußten nichts von den Proceduren
des Kopfes. — Ein Poet wollte er sein rind konnte seinen Ge-


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[0075] beschrieb in, Novellisten, Umlauftischen Angedenkens, Besuche bei großen Männern, die er niemals gemacht hatte. Ludwig Friedrich Lippmann machte seine Pläne für die Zu¬ kunft, vertrieb sich aber indessen die Zeit mit mündlichen Kritiken. — Er perorirte bei Schech gegen Alfred Meissnerö glänzende Verse und ergriff Partei für Moritz Hartmanns einfachere. — Keiner von beiden aber hatte damals vielleicht mehr als zwei oder drei Gedichte in Ost und West drucken lassen. — Polemisiren, ta¬ deln, witzig spötteln war Lippmanns Bedürfniß; eS war das der Trommelschlag, die schreiende Janitscharenmusik mit welchen er die Rede seines innern Menschen, der sich gerichtet fühlte, übertäuben wollte. — Lippmann wäre auch ohne sein trauriges Ende, das an Leßmann erinnert, eine der tragischsten Figuren. Eine reicher Erbe besaß er frühzeitig alle die Mittel, deren Erwerb gewöhnlich das Beste im Menschen untergräbt, bevor er an den eigentlichen Zweck seines Strebens gelangt. Sander. Hätte Lippmann die Harmlosigkeit des wahrhaft Glücklichen besessen, er wäre mit seinem gesegneten reichen Naturell da gewe¬ sen, wohin er mit allem verzehrenden Ehrgeiz nicht gelangen konnte. Er wäre kein Poet geworden, aber er wäre ein Poet gewesen, ein Poet por so, ein Poet von Gottes Gnaden. — Aber diese Harmlosigkeit, die eigentlich nichts anderes ist als ein weiteres Fortträumen oder eine lebendige Erinnerung der Kindheit, diese fehlte ihm. — Im überfüllten Sinnengenuß, in raffinirter geistiger Wollust, ging sie ihm verloren. — Nur noch verurtheilen, zersetzen, vernichten konnte er, schaffen konnte er nicht mehr; nur sein Verstand konnte noch anerkennen und lieben, sein Herz, sein Gemüth blieben kalt dabei und wußten nichts von den Proceduren des Kopfes. — Ein Poet wollte er sein rind konnte seinen Ge- 9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/75>, abgerufen am 23.12.2024.