Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.Hier liegt Einer, der unverdrossen Ich habe den festen Glauben, daß er den Himmel, der sich ihm Da bin ich wieder in der alten wundervollen Stadt, wo jeder Hier liegt Einer, der unverdrossen Ich habe den festen Glauben, daß er den Himmel, der sich ihm Da bin ich wieder in der alten wundervollen Stadt, wo jeder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181882"/> <quote> Hier liegt Einer, der unverdrossen<lb/> Gelitten, wo Andre genossen.</quote><lb/> <p xml:id="ID_127" prev="#ID_126"> Ich habe den festen Glauben, daß er den Himmel, der sich ihm<lb/> freudig aufgethan, verschmäht, und zu Mephistos größtem Verdruß<lb/> den Weg zur Hölle eingeschlagen. Was soll er bei Virginia und<lb/> Frau von S6pigro ? — In der Hölle kann er seinem Berufe weiter<lb/> leben, lind er kehrt nicht eher zum Himmel ein, als bis Messaline<lb/> und Frau von Pompadour züchtig verhüllt an seinen Armen hän¬<lb/> gen und mit ihm einziehen zur ewigen Seligkeit. Was Bossuet<lb/> und Pascal nicht gelungen, wird ihm gelungen sein, dem guten,<lb/> weisen, armen Dr. Kneip. — Noch einen feuchten Blick auf sein<lb/> stilles Grab da draußen unweit der stillvergnügter Fliedermühle,<lb/> und fort voll dem Todten zu seinen und meinen noch im heitern<lb/> Sonnenlichte athmenden Freunden. —</p><lb/> <p xml:id="ID_128" next="#ID_129"> Da bin ich wieder in der alten wundervollen Stadt, wo jeder<lb/> Stein eine Geschichte zu erzählen weiß. — Es ist späte Nacht; nur<lb/> wenige Menschen auf den Straßen, nur hier und da eine Kncipen-<lb/> geige, die durch die Stille jammert, nur hier und da Geräusch der<lb/> schläfrig auf und ab gehenden Soldaten, die den Schlaf der alten<lb/> Stadt bewachen. — Ich glaube nur, sie ist schlaflos und hat manch¬<lb/> mal schlechte Nächte und träumt unruhvoll von ihrer Jugend, wie<lb/> das wohl bei alten Leuten zu sein pflegt. Von jedem dieser Häu¬<lb/> ser, von jedem dieser Thürme könnte ich ganze Legenden erzählen.<lb/> Da ist der alte schwarze Rathhausthurm. Wie ein schwarzes Aus-<lb/> rufungszeichen hebt er sich gen Himmel über dem großen, nur<lb/> dem Geisterauge sichtbaren Blutflecke an seinem Fuße, der der<lb/> Schlußpunkt der böhmischen Geschichte ist. Oben, stille, friedlich,<lb/> idyllisch brennt „daS Licht im Thurme", von welchem Jsidor Heller<lb/> so schöne Geschichten erzählte. — Das ist einer der tollsten und<lb/> sonderbarsten Poeten, die jemals unbekannt geblieben sind. — Die<lb/> Poeten seiner Gattung bleiben unbekannt, weil sie wie verrufene,<lb/> spukhafte Thürme sind, die nur in waldiger Wildniß stehen, dahin<lb/> sich selten ein Gesegneter verirrt, oder weil sie wie zauberhafte Ru¬<lb/> nensteine sind, die man nicht findet, da sie von Dickicht, Dornen<lb/> und Unkraut überwachsen sind, wohl auch eine gefährliche Zauber¬<lb/> schlange über ihnen wacht. — Da ging einmal an einem schönen<lb/> Abende Jsidor Heller am Arme eines Redacteurs einher, der ihn</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
Hier liegt Einer, der unverdrossen
Gelitten, wo Andre genossen.
Ich habe den festen Glauben, daß er den Himmel, der sich ihm
freudig aufgethan, verschmäht, und zu Mephistos größtem Verdruß
den Weg zur Hölle eingeschlagen. Was soll er bei Virginia und
Frau von S6pigro ? — In der Hölle kann er seinem Berufe weiter
leben, lind er kehrt nicht eher zum Himmel ein, als bis Messaline
und Frau von Pompadour züchtig verhüllt an seinen Armen hän¬
gen und mit ihm einziehen zur ewigen Seligkeit. Was Bossuet
und Pascal nicht gelungen, wird ihm gelungen sein, dem guten,
weisen, armen Dr. Kneip. — Noch einen feuchten Blick auf sein
stilles Grab da draußen unweit der stillvergnügter Fliedermühle,
und fort voll dem Todten zu seinen und meinen noch im heitern
Sonnenlichte athmenden Freunden. —
Da bin ich wieder in der alten wundervollen Stadt, wo jeder
Stein eine Geschichte zu erzählen weiß. — Es ist späte Nacht; nur
wenige Menschen auf den Straßen, nur hier und da eine Kncipen-
geige, die durch die Stille jammert, nur hier und da Geräusch der
schläfrig auf und ab gehenden Soldaten, die den Schlaf der alten
Stadt bewachen. — Ich glaube nur, sie ist schlaflos und hat manch¬
mal schlechte Nächte und träumt unruhvoll von ihrer Jugend, wie
das wohl bei alten Leuten zu sein pflegt. Von jedem dieser Häu¬
ser, von jedem dieser Thürme könnte ich ganze Legenden erzählen.
Da ist der alte schwarze Rathhausthurm. Wie ein schwarzes Aus-
rufungszeichen hebt er sich gen Himmel über dem großen, nur
dem Geisterauge sichtbaren Blutflecke an seinem Fuße, der der
Schlußpunkt der böhmischen Geschichte ist. Oben, stille, friedlich,
idyllisch brennt „daS Licht im Thurme", von welchem Jsidor Heller
so schöne Geschichten erzählte. — Das ist einer der tollsten und
sonderbarsten Poeten, die jemals unbekannt geblieben sind. — Die
Poeten seiner Gattung bleiben unbekannt, weil sie wie verrufene,
spukhafte Thürme sind, die nur in waldiger Wildniß stehen, dahin
sich selten ein Gesegneter verirrt, oder weil sie wie zauberhafte Ru¬
nensteine sind, die man nicht findet, da sie von Dickicht, Dornen
und Unkraut überwachsen sind, wohl auch eine gefährliche Zauber¬
schlange über ihnen wacht. — Da ging einmal an einem schönen
Abende Jsidor Heller am Arme eines Redacteurs einher, der ihn
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