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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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lieber, am liebsten übers Meer, in einer andern, in der neuen Welt
suchen. Die Auswanderung in die neue Welt ist eine praktischere
Form, eine materiellere Wendung der Einkehr in den Himmel deS
Gemüthes. Wie viele wohlhabende Leute sehen wir nicht noch alle
Tage auswandern, Leute die kein Neligionsdruck, nicht Nahrungs¬
sorge, nicht unbefriedigter Ehrgeiz dazu treibt: fraget sie, weshalb sie
das Vaterland fliehen, sie werden nach allerlei Gründen suchen, ihr
könnt bald merken, daß sie eben Gründe suchen, daß sie selber das
Warum nicht wissen -- was sie zieht, es ist eben nur jenes deutsche
Erbgut, oder, wenn ihr wollt, Erbübel, die unnennbare Sehnsucht
nach einem unbekannten Etwas, einem Jenseits, einem bessern, schö¬
nern Lande, von wo die süßen, mit der Phantasie vorgeschmeckten
und ewig von der nüchternen Wirklichkeit verkümmerten und verlei¬
deten Herrlichkeiten stammen, diese zauberischen Blumen und Früchte

Angedeutet hat unser Franzose etwas von diesem wichtigsten Ge¬
sichtspunkt allerdings, aber wie ein Franzose; es ist um so interes¬
santer zu sehen wie er die Sache anzufassen weiß. "Es ist übrigens
zu bemerken," sagt er, "daß das innerliche und verschlossene Leben der
Deutschen einer Einbildungskraft, der die Unwissenheit nicht allzu
enge Schranken setzt, mehr Kühnheit und Schwung verleiht, und
daß der insich zurückgezogene Mensch weniger an das was ihn äu¬
ßerlich umgiebt, gebunden ist. Wie der Weise, trägt er alles bei
sich: der Deutsche der mit seiner Bibel, seinem Weib und seinen
Kindern auszog, nahm so gewissermaßen sein Deutschland mit." --
"Wie dem nun sei," fahrt er fort, "es ist immerhin merkwürdig die¬
sen Strom zu sehen, welchen Deutschland nach allen Himmelsgegen¬
den ergießt. Es ist ein Fehler, daß die Handelstabellen diesen wich¬
tigen Ausfuhrartikel, in welchem die Bilanz stets so unmäßig
zu Gunsten Deutschlands ausfällt, vermissen lassen."

Man wird, denke ich, noch einige der Bemerkungen unseres
Verfassers hier mit Vergnügen lesen. "Kein deutscher Staat", sagt
er, "hat überseeische Besitzungen, und dennoch fließt mehr deutsches
Blut in den Adern der Bewohner Amerikas, als z. B. französisches;
Polen, Nußland, Ungarn sind mit Deutschen überschwemmt;..... in
England, selbst bis in solche Gegenden hinein, wo die Uebervölkerung
und der Mangel an Verdienst so große Klagen verursachen, leben
deutsche Handwerkercc-lonien und finden ihr Fortkommen; in Paris
sind die Werkstätten aller Art voll von ihnen und die deutschen Na¬
men überschwemmen schon fast die Aushängeschilder der Stadt. Wo¬
her das, und wie fangt es der Deutsche an, im fremden Lande sich
sein Fortkommen mit in der That größerer Sicherheit als der Ein-


lieber, am liebsten übers Meer, in einer andern, in der neuen Welt
suchen. Die Auswanderung in die neue Welt ist eine praktischere
Form, eine materiellere Wendung der Einkehr in den Himmel deS
Gemüthes. Wie viele wohlhabende Leute sehen wir nicht noch alle
Tage auswandern, Leute die kein Neligionsdruck, nicht Nahrungs¬
sorge, nicht unbefriedigter Ehrgeiz dazu treibt: fraget sie, weshalb sie
das Vaterland fliehen, sie werden nach allerlei Gründen suchen, ihr
könnt bald merken, daß sie eben Gründe suchen, daß sie selber das
Warum nicht wissen — was sie zieht, es ist eben nur jenes deutsche
Erbgut, oder, wenn ihr wollt, Erbübel, die unnennbare Sehnsucht
nach einem unbekannten Etwas, einem Jenseits, einem bessern, schö¬
nern Lande, von wo die süßen, mit der Phantasie vorgeschmeckten
und ewig von der nüchternen Wirklichkeit verkümmerten und verlei¬
deten Herrlichkeiten stammen, diese zauberischen Blumen und Früchte

Angedeutet hat unser Franzose etwas von diesem wichtigsten Ge¬
sichtspunkt allerdings, aber wie ein Franzose; es ist um so interes¬
santer zu sehen wie er die Sache anzufassen weiß. „Es ist übrigens
zu bemerken," sagt er, „daß das innerliche und verschlossene Leben der
Deutschen einer Einbildungskraft, der die Unwissenheit nicht allzu
enge Schranken setzt, mehr Kühnheit und Schwung verleiht, und
daß der insich zurückgezogene Mensch weniger an das was ihn äu¬
ßerlich umgiebt, gebunden ist. Wie der Weise, trägt er alles bei
sich: der Deutsche der mit seiner Bibel, seinem Weib und seinen
Kindern auszog, nahm so gewissermaßen sein Deutschland mit." —
„Wie dem nun sei," fahrt er fort, „es ist immerhin merkwürdig die¬
sen Strom zu sehen, welchen Deutschland nach allen Himmelsgegen¬
den ergießt. Es ist ein Fehler, daß die Handelstabellen diesen wich¬
tigen Ausfuhrartikel, in welchem die Bilanz stets so unmäßig
zu Gunsten Deutschlands ausfällt, vermissen lassen."

Man wird, denke ich, noch einige der Bemerkungen unseres
Verfassers hier mit Vergnügen lesen. „Kein deutscher Staat", sagt
er, „hat überseeische Besitzungen, und dennoch fließt mehr deutsches
Blut in den Adern der Bewohner Amerikas, als z. B. französisches;
Polen, Nußland, Ungarn sind mit Deutschen überschwemmt;..... in
England, selbst bis in solche Gegenden hinein, wo die Uebervölkerung
und der Mangel an Verdienst so große Klagen verursachen, leben
deutsche Handwerkercc-lonien und finden ihr Fortkommen; in Paris
sind die Werkstätten aller Art voll von ihnen und die deutschen Na¬
men überschwemmen schon fast die Aushängeschilder der Stadt. Wo¬
her das, und wie fangt es der Deutsche an, im fremden Lande sich
sein Fortkommen mit in der That größerer Sicherheit als der Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/602>, abgerufen am 02.09.2024.