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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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öffentliche Meinung annimmt, war der Plan sicherlich nicht ent¬
worfen; dazu war er zu weit verzweigt, zu lange voraus bedacht
und berechnet. Offenbar fehlt noch das letzte Wort. Alle Jndi-
cien zeigen darauf hin, daß ein gemeinsamer Tag des Ausbruchs
besprochen war und daß an diesem Tage ein Ereigniß Statt ge¬
funden hätte, welches nicht blos in der polnischen Angelegenheit,
sondern in der Ordnung Europas von ungeheurer Bedeutung ge¬
wesen wäre. In zweiter Linie scheinen die Polen in der Stimmung
des preußischen Volkes sich verrechnet zu haben. Der Jnsurrections-
plan, im Auslande entworfen, hatte die Lage Preußens eben mit
ausländischen Augen betrachtet und die Folgen der letzten Landtags-
abschiede zu hoch angeschlagen. Dies geht schon daraus hervor,
daß die Verschworenen so verschiedenerlei Proklamationen an das
preußische Volk erließen und wovon die eine minder bekannte
mit den Worten beginnt: Männer des preußischen Volkes! eure
Herren haben euch befohlen, unsere Feinde zu sein:c. :c. Auf
diese falsche Berechnung gründete sich wahrscheinlich auch der Plan
zur Überrumpelung der Festung Posen. Das leitende Comite
rechnete offenbar darauf, daß seine That andere Bewegungen zur
Folge haben werde, welche die Streitkräfte des Staates theilen
und abziehen müßten. Im Ganzen läßt sich aus den vorliegenden
Acten ersehen, daß die Nevolutionspläne in erster Linie gegen
Nußland, in zweiter (und mehr als Mittel, denn als Zweck) gegen
Preußen und erst in dritter Reihe gegen Oesterreich sich wandten,
da Gallicien ein schlechter strategischer Punkt für einen Aufstand
ist und auf die bäuerliche Bevölkerung nicht zu rechnen war, um
so weniger, als eines der Hauptmittel zur Bewegung, der religiöse
Unterschied zwischen Volk und Regierung, hier wegfällt.

Wenn Oesterreich nichts desto weniger bei den letzten Ereig¬
nissen fast allein das Bad ausgießen mußte, wenn seine Soldaten
in Krakau, wenn so viele harmlose Reisende, Gutsbesitzer und
Pfarrer in der Umgegend von Tamow den traurigsten Tod fanden,
wenn es unter allen drei bedrohten Staaten der einzige war, in
dessen Mitte Blut strömte und eine Art Bürgerkrieg stattfand, so
ist dies Unglück um so gräßlicher, als es, wie gesagt, erst in dritter
Reihe dem Streiche ausgesetzt war, der es in erster Reihe traf.
Um so weniger loyal ist es von der preußischen Presse, wenn sie


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öffentliche Meinung annimmt, war der Plan sicherlich nicht ent¬
worfen; dazu war er zu weit verzweigt, zu lange voraus bedacht
und berechnet. Offenbar fehlt noch das letzte Wort. Alle Jndi-
cien zeigen darauf hin, daß ein gemeinsamer Tag des Ausbruchs
besprochen war und daß an diesem Tage ein Ereigniß Statt ge¬
funden hätte, welches nicht blos in der polnischen Angelegenheit,
sondern in der Ordnung Europas von ungeheurer Bedeutung ge¬
wesen wäre. In zweiter Linie scheinen die Polen in der Stimmung
des preußischen Volkes sich verrechnet zu haben. Der Jnsurrections-
plan, im Auslande entworfen, hatte die Lage Preußens eben mit
ausländischen Augen betrachtet und die Folgen der letzten Landtags-
abschiede zu hoch angeschlagen. Dies geht schon daraus hervor,
daß die Verschworenen so verschiedenerlei Proklamationen an das
preußische Volk erließen und wovon die eine minder bekannte
mit den Worten beginnt: Männer des preußischen Volkes! eure
Herren haben euch befohlen, unsere Feinde zu sein:c. :c. Auf
diese falsche Berechnung gründete sich wahrscheinlich auch der Plan
zur Überrumpelung der Festung Posen. Das leitende Comite
rechnete offenbar darauf, daß seine That andere Bewegungen zur
Folge haben werde, welche die Streitkräfte des Staates theilen
und abziehen müßten. Im Ganzen läßt sich aus den vorliegenden
Acten ersehen, daß die Nevolutionspläne in erster Linie gegen
Nußland, in zweiter (und mehr als Mittel, denn als Zweck) gegen
Preußen und erst in dritter Reihe gegen Oesterreich sich wandten,
da Gallicien ein schlechter strategischer Punkt für einen Aufstand
ist und auf die bäuerliche Bevölkerung nicht zu rechnen war, um
so weniger, als eines der Hauptmittel zur Bewegung, der religiöse
Unterschied zwischen Volk und Regierung, hier wegfällt.

Wenn Oesterreich nichts desto weniger bei den letzten Ereig¬
nissen fast allein das Bad ausgießen mußte, wenn seine Soldaten
in Krakau, wenn so viele harmlose Reisende, Gutsbesitzer und
Pfarrer in der Umgegend von Tamow den traurigsten Tod fanden,
wenn es unter allen drei bedrohten Staaten der einzige war, in
dessen Mitte Blut strömte und eine Art Bürgerkrieg stattfand, so
ist dies Unglück um so gräßlicher, als es, wie gesagt, erst in dritter
Reihe dem Streiche ausgesetzt war, der es in erster Reihe traf.
Um so weniger loyal ist es von der preußischen Presse, wenn sie


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[0575] öffentliche Meinung annimmt, war der Plan sicherlich nicht ent¬ worfen; dazu war er zu weit verzweigt, zu lange voraus bedacht und berechnet. Offenbar fehlt noch das letzte Wort. Alle Jndi- cien zeigen darauf hin, daß ein gemeinsamer Tag des Ausbruchs besprochen war und daß an diesem Tage ein Ereigniß Statt ge¬ funden hätte, welches nicht blos in der polnischen Angelegenheit, sondern in der Ordnung Europas von ungeheurer Bedeutung ge¬ wesen wäre. In zweiter Linie scheinen die Polen in der Stimmung des preußischen Volkes sich verrechnet zu haben. Der Jnsurrections- plan, im Auslande entworfen, hatte die Lage Preußens eben mit ausländischen Augen betrachtet und die Folgen der letzten Landtags- abschiede zu hoch angeschlagen. Dies geht schon daraus hervor, daß die Verschworenen so verschiedenerlei Proklamationen an das preußische Volk erließen und wovon die eine minder bekannte mit den Worten beginnt: Männer des preußischen Volkes! eure Herren haben euch befohlen, unsere Feinde zu sein:c. :c. Auf diese falsche Berechnung gründete sich wahrscheinlich auch der Plan zur Überrumpelung der Festung Posen. Das leitende Comite rechnete offenbar darauf, daß seine That andere Bewegungen zur Folge haben werde, welche die Streitkräfte des Staates theilen und abziehen müßten. Im Ganzen läßt sich aus den vorliegenden Acten ersehen, daß die Nevolutionspläne in erster Linie gegen Nußland, in zweiter (und mehr als Mittel, denn als Zweck) gegen Preußen und erst in dritter Reihe gegen Oesterreich sich wandten, da Gallicien ein schlechter strategischer Punkt für einen Aufstand ist und auf die bäuerliche Bevölkerung nicht zu rechnen war, um so weniger, als eines der Hauptmittel zur Bewegung, der religiöse Unterschied zwischen Volk und Regierung, hier wegfällt. Wenn Oesterreich nichts desto weniger bei den letzten Ereig¬ nissen fast allein das Bad ausgießen mußte, wenn seine Soldaten in Krakau, wenn so viele harmlose Reisende, Gutsbesitzer und Pfarrer in der Umgegend von Tamow den traurigsten Tod fanden, wenn es unter allen drei bedrohten Staaten der einzige war, in dessen Mitte Blut strömte und eine Art Bürgerkrieg stattfand, so ist dies Unglück um so gräßlicher, als es, wie gesagt, erst in dritter Reihe dem Streiche ausgesetzt war, der es in erster Reihe traf. Um so weniger loyal ist es von der preußischen Presse, wenn sie 72»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/575>, abgerufen am 02.09.2024.