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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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mung der reichen und höheren Stände. Da nun bei diesen die Hof¬
meister Mode sind, so darf man auch hierin nicht zurückbleiben, und,
wie die kleine Kaufmannsfrau einen Paradiesvogel auf ihren Hut
steckt, weil es die Fürstin X. oder die Gräfin Y. gethan, so legt
sie ihrem Hauswesen auch einen Hofmeister bei. Da aber die Hof¬
meister eine theure Waare sind und man doch auch das Geld auf
Hüte, Putz und Equipagen ersparen will, so nimmt man den ersten
besten, wenn er nur wohlfeil ist. Man kann auch hier leicht denken,
welcher Art diese Erzieher sind, gewöhnlich Menschen, die zu nichts
anderem mehr taugen. Glücklich, wenn es ein armer Student
ist, der doch etwas Wissen hat und seine Zeit in Lern- und Lehrstun¬
den theilt, um sein Leben zu fristen. Aber selbst unter diesen --
welche Massen Exemplare von Ignoranten findet man da oft! Auf
der Universität sind sie gesetzlich und ausschließlich mit ihrer Brod¬
wissenschaft beschäftigt, und was kann Medicin oder das römische Recht
die Kinder von zehn bis zwölf Jahren fördern? Wie groß die
humanitäre Bildung ist, die man auf österreichischen Gymnasien ge¬
winnen kann, ist genugsam bekannt.

Trotzdem ist es selbst bei diesen Lehrern ein Glück zu nennen,
wenn man ihnen allein den Unterricht der" Kinder überlaßt- Sehr
oft wird ein Theil desselben den Gouvernanten übertragen, damit die
Knaben mehr Uebung in der französischen Sprache bekommen. Nun
denke man sich künftige deutsche Männer, die von solchen Damm den
ersten Unterricht in der Weltgeschichte erhalten.. Alles was ich von
den französischen Gouvernanten gesagt habe, gilt auch von den fran¬
zösischen Gouverneurs, die in den sehr nobeln Hausern schon Mode
sind und in wenigen Jahren vielleicht auch schon beim Kaufmann
Mode sein werden. Es sind gewöhnlich Menschen, die mit keiner an¬
dern Kenntniß, als mit der ihrer Muttersprache ausgerüstet in die
Welt laufen, um einen Platz zu suchen und ihr Glück zu machen.
Sie wissen höchstens etwas von Frankreich. Einen kannte ich, der
auch das nicht wußte, denn er war, bevor er Lehrer in Wien wurde,
ganz gemeiner Arbeiter in einer Champagnerfabrik bei Neufchatel. --
Halten Sie das für übertrieben? nun so kann ich Sie versichern, daß
jene Wäscherin, von der ich Ihnen oben erzählte, als sie sah, wie gut
es sei,, zu lehren, ihren Bruder, einen Tischlergesellen, als Hofmeister
für die Prinzen berief, deren Schwestern sie selbst unterrichtete und
erzog. Noch heute sind Bruder und Schwester an ihrem Platze, die
zarten Sprößlinge sind ganz und gar in ihre weise Obhut gegeben
und es geht ihnen ganz wohl und sie lassen vielleicht nächstens ihre
Cousine, die Handschuhmacherin, und ihren Cousin, den Schuster¬
gesellen, nachkommen, um ihnen die Sprößlinge eines erlauchten Hauses
zur Erziehung zu übergeben.'

Nun ich Ihnen ungefähr die Lehrer charakterisire habe, wäre es


Srenzwen I. 71

mung der reichen und höheren Stände. Da nun bei diesen die Hof¬
meister Mode sind, so darf man auch hierin nicht zurückbleiben, und,
wie die kleine Kaufmannsfrau einen Paradiesvogel auf ihren Hut
steckt, weil es die Fürstin X. oder die Gräfin Y. gethan, so legt
sie ihrem Hauswesen auch einen Hofmeister bei. Da aber die Hof¬
meister eine theure Waare sind und man doch auch das Geld auf
Hüte, Putz und Equipagen ersparen will, so nimmt man den ersten
besten, wenn er nur wohlfeil ist. Man kann auch hier leicht denken,
welcher Art diese Erzieher sind, gewöhnlich Menschen, die zu nichts
anderem mehr taugen. Glücklich, wenn es ein armer Student
ist, der doch etwas Wissen hat und seine Zeit in Lern- und Lehrstun¬
den theilt, um sein Leben zu fristen. Aber selbst unter diesen —
welche Massen Exemplare von Ignoranten findet man da oft! Auf
der Universität sind sie gesetzlich und ausschließlich mit ihrer Brod¬
wissenschaft beschäftigt, und was kann Medicin oder das römische Recht
die Kinder von zehn bis zwölf Jahren fördern? Wie groß die
humanitäre Bildung ist, die man auf österreichischen Gymnasien ge¬
winnen kann, ist genugsam bekannt.

Trotzdem ist es selbst bei diesen Lehrern ein Glück zu nennen,
wenn man ihnen allein den Unterricht der" Kinder überlaßt- Sehr
oft wird ein Theil desselben den Gouvernanten übertragen, damit die
Knaben mehr Uebung in der französischen Sprache bekommen. Nun
denke man sich künftige deutsche Männer, die von solchen Damm den
ersten Unterricht in der Weltgeschichte erhalten.. Alles was ich von
den französischen Gouvernanten gesagt habe, gilt auch von den fran¬
zösischen Gouverneurs, die in den sehr nobeln Hausern schon Mode
sind und in wenigen Jahren vielleicht auch schon beim Kaufmann
Mode sein werden. Es sind gewöhnlich Menschen, die mit keiner an¬
dern Kenntniß, als mit der ihrer Muttersprache ausgerüstet in die
Welt laufen, um einen Platz zu suchen und ihr Glück zu machen.
Sie wissen höchstens etwas von Frankreich. Einen kannte ich, der
auch das nicht wußte, denn er war, bevor er Lehrer in Wien wurde,
ganz gemeiner Arbeiter in einer Champagnerfabrik bei Neufchatel. —
Halten Sie das für übertrieben? nun so kann ich Sie versichern, daß
jene Wäscherin, von der ich Ihnen oben erzählte, als sie sah, wie gut
es sei,, zu lehren, ihren Bruder, einen Tischlergesellen, als Hofmeister
für die Prinzen berief, deren Schwestern sie selbst unterrichtete und
erzog. Noch heute sind Bruder und Schwester an ihrem Platze, die
zarten Sprößlinge sind ganz und gar in ihre weise Obhut gegeben
und es geht ihnen ganz wohl und sie lassen vielleicht nächstens ihre
Cousine, die Handschuhmacherin, und ihren Cousin, den Schuster¬
gesellen, nachkommen, um ihnen die Sprößlinge eines erlauchten Hauses
zur Erziehung zu übergeben.'

Nun ich Ihnen ungefähr die Lehrer charakterisire habe, wäre es


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[0565] mung der reichen und höheren Stände. Da nun bei diesen die Hof¬ meister Mode sind, so darf man auch hierin nicht zurückbleiben, und, wie die kleine Kaufmannsfrau einen Paradiesvogel auf ihren Hut steckt, weil es die Fürstin X. oder die Gräfin Y. gethan, so legt sie ihrem Hauswesen auch einen Hofmeister bei. Da aber die Hof¬ meister eine theure Waare sind und man doch auch das Geld auf Hüte, Putz und Equipagen ersparen will, so nimmt man den ersten besten, wenn er nur wohlfeil ist. Man kann auch hier leicht denken, welcher Art diese Erzieher sind, gewöhnlich Menschen, die zu nichts anderem mehr taugen. Glücklich, wenn es ein armer Student ist, der doch etwas Wissen hat und seine Zeit in Lern- und Lehrstun¬ den theilt, um sein Leben zu fristen. Aber selbst unter diesen — welche Massen Exemplare von Ignoranten findet man da oft! Auf der Universität sind sie gesetzlich und ausschließlich mit ihrer Brod¬ wissenschaft beschäftigt, und was kann Medicin oder das römische Recht die Kinder von zehn bis zwölf Jahren fördern? Wie groß die humanitäre Bildung ist, die man auf österreichischen Gymnasien ge¬ winnen kann, ist genugsam bekannt. Trotzdem ist es selbst bei diesen Lehrern ein Glück zu nennen, wenn man ihnen allein den Unterricht der" Kinder überlaßt- Sehr oft wird ein Theil desselben den Gouvernanten übertragen, damit die Knaben mehr Uebung in der französischen Sprache bekommen. Nun denke man sich künftige deutsche Männer, die von solchen Damm den ersten Unterricht in der Weltgeschichte erhalten.. Alles was ich von den französischen Gouvernanten gesagt habe, gilt auch von den fran¬ zösischen Gouverneurs, die in den sehr nobeln Hausern schon Mode sind und in wenigen Jahren vielleicht auch schon beim Kaufmann Mode sein werden. Es sind gewöhnlich Menschen, die mit keiner an¬ dern Kenntniß, als mit der ihrer Muttersprache ausgerüstet in die Welt laufen, um einen Platz zu suchen und ihr Glück zu machen. Sie wissen höchstens etwas von Frankreich. Einen kannte ich, der auch das nicht wußte, denn er war, bevor er Lehrer in Wien wurde, ganz gemeiner Arbeiter in einer Champagnerfabrik bei Neufchatel. — Halten Sie das für übertrieben? nun so kann ich Sie versichern, daß jene Wäscherin, von der ich Ihnen oben erzählte, als sie sah, wie gut es sei,, zu lehren, ihren Bruder, einen Tischlergesellen, als Hofmeister für die Prinzen berief, deren Schwestern sie selbst unterrichtete und erzog. Noch heute sind Bruder und Schwester an ihrem Platze, die zarten Sprößlinge sind ganz und gar in ihre weise Obhut gegeben und es geht ihnen ganz wohl und sie lassen vielleicht nächstens ihre Cousine, die Handschuhmacherin, und ihren Cousin, den Schuster¬ gesellen, nachkommen, um ihnen die Sprößlinge eines erlauchten Hauses zur Erziehung zu übergeben.' Nun ich Ihnen ungefähr die Lehrer charakterisire habe, wäre es Srenzwen I. 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/565>, abgerufen am 27.07.2024.