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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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tung, um den es die größten Staaten zu beneiden Ursache hatten.
Nach Robert Peel ist vielleicht Nothomb der größte Arbeiter, der ">n-
ermüdlichste Geschäftsmann den ein europäischer Staat aufzuweisen
hat. Nothomb gehört seinen Principien, wie seinem Glauben nach
der liberalen Partei an, er ist der eigentliche Verfasser der belgischen
Constitution, der liberalsten Verfassung in ganz Europa. Aber No¬
thomb ist zugleich ein praktischer Staatsmann, der nicht, die starre
Theorie auf der Fahne, mit dem Kopfe gegen die Wand rennt, son¬
dern klug zu steuern versteht, die persönlichen Eitelkeiten und die
eingewurzelten Vorurtheile der Parteien klug zu umschiffen suchte und
auf diese Weise innerhalb fünf Jahren eine treffliche, belebte und
fortschreitende Administration unterhielt. Nothomb gehörte als Mi¬
nister zu keiner Partei und daher hatte er endlich alle Parteien
gegen sich; in jeder Kammersitzung fragte man ihn, zu welcher Fahne
er schwöre, und da er sich keiner in die Arme werfen wollte, so endete
er endlich damit, daß er sich zurück zog. Jetzt kam Herr Van de
Weyer an die Spitze. Dasselbe Examen, dasselbe Manöver fand
Statt. So lange Van de Wever in die Fußta fer Nothombs trat
und sich nicht entschieden erklärte, wurde er bekriegt, verhöhnt, ge¬
stoßen, obschon Jedermann wußte, daß er einer der ehrenwerthesten
Charaktere ist. Aber sanguinischer und weniger ausdauernd als sein
Vorgänger, warf er sich endlich, müde der heftigen Angriffe, der äußer¬
sten Linke in die Arme und von diesem Tage an hatte sein Reich
ein Ende. Die Linke hatte einen Sieg in der Person des Ministers
errungen, aber sie hatte einen viel wichtigern Verlust erlitten, nehm¬
lich den der Praxis. Statt einen der Ihrigen im Ministerium zu
haben, der die Uebergriffe der Katholiken in Schach hielt, hat sie
durch den Rücktritt Van de Weyers die Gewalt ganz in den Handen
der Gegner gelassen und das Ministerium das jetzt in Aussicht steht,
wird allem Anscheine nach ein ultrakatholisches sein. Bis zu den
nächsten Kammerwahlen, d, h. noch anderthalb Jahre, wird die Ge¬
walt in den Händen der Katholiken bleiben und während dieser Zeit
werden viele Jesuiteninstitute reich dotirr werden, werden vielen un¬
abhängigen Schulen ihre Substdien von der Negierung entzogen werden,,
und wenn dann auch die neuen Wahlen den Liberalen eine entschiedene
Majorität in den Kammern sichern, so wird indessen so viel Terrain
verloren gegangen sein, daß der Kampf von neuem wird beginnen
müssen, und zwar um Dinge, die man im jetzigen Augenblicke besitzt.
Der Kampf gegen die Katholiken, der entschiedene gewaltsame Kampf
wird in Belgien immer von der höchsten Gefahr sein. Denn wenn
die Liberalen auch die Intelligenzen und die meisten großen Städte für
sich haben, so besitzen dagegen die Katholiken die Massen, das Land¬
volk, den Fanatismus in ihrer Gewalt, und wehe der Unabhängigkeit
des jungen Staates, wenn diese beiden Gewalten erst thatsächlich ein-


tung, um den es die größten Staaten zu beneiden Ursache hatten.
Nach Robert Peel ist vielleicht Nothomb der größte Arbeiter, der »>n-
ermüdlichste Geschäftsmann den ein europäischer Staat aufzuweisen
hat. Nothomb gehört seinen Principien, wie seinem Glauben nach
der liberalen Partei an, er ist der eigentliche Verfasser der belgischen
Constitution, der liberalsten Verfassung in ganz Europa. Aber No¬
thomb ist zugleich ein praktischer Staatsmann, der nicht, die starre
Theorie auf der Fahne, mit dem Kopfe gegen die Wand rennt, son¬
dern klug zu steuern versteht, die persönlichen Eitelkeiten und die
eingewurzelten Vorurtheile der Parteien klug zu umschiffen suchte und
auf diese Weise innerhalb fünf Jahren eine treffliche, belebte und
fortschreitende Administration unterhielt. Nothomb gehörte als Mi¬
nister zu keiner Partei und daher hatte er endlich alle Parteien
gegen sich; in jeder Kammersitzung fragte man ihn, zu welcher Fahne
er schwöre, und da er sich keiner in die Arme werfen wollte, so endete
er endlich damit, daß er sich zurück zog. Jetzt kam Herr Van de
Weyer an die Spitze. Dasselbe Examen, dasselbe Manöver fand
Statt. So lange Van de Wever in die Fußta fer Nothombs trat
und sich nicht entschieden erklärte, wurde er bekriegt, verhöhnt, ge¬
stoßen, obschon Jedermann wußte, daß er einer der ehrenwerthesten
Charaktere ist. Aber sanguinischer und weniger ausdauernd als sein
Vorgänger, warf er sich endlich, müde der heftigen Angriffe, der äußer¬
sten Linke in die Arme und von diesem Tage an hatte sein Reich
ein Ende. Die Linke hatte einen Sieg in der Person des Ministers
errungen, aber sie hatte einen viel wichtigern Verlust erlitten, nehm¬
lich den der Praxis. Statt einen der Ihrigen im Ministerium zu
haben, der die Uebergriffe der Katholiken in Schach hielt, hat sie
durch den Rücktritt Van de Weyers die Gewalt ganz in den Handen
der Gegner gelassen und das Ministerium das jetzt in Aussicht steht,
wird allem Anscheine nach ein ultrakatholisches sein. Bis zu den
nächsten Kammerwahlen, d, h. noch anderthalb Jahre, wird die Ge¬
walt in den Händen der Katholiken bleiben und während dieser Zeit
werden viele Jesuiteninstitute reich dotirr werden, werden vielen un¬
abhängigen Schulen ihre Substdien von der Negierung entzogen werden,,
und wenn dann auch die neuen Wahlen den Liberalen eine entschiedene
Majorität in den Kammern sichern, so wird indessen so viel Terrain
verloren gegangen sein, daß der Kampf von neuem wird beginnen
müssen, und zwar um Dinge, die man im jetzigen Augenblicke besitzt.
Der Kampf gegen die Katholiken, der entschiedene gewaltsame Kampf
wird in Belgien immer von der höchsten Gefahr sein. Denn wenn
die Liberalen auch die Intelligenzen und die meisten großen Städte für
sich haben, so besitzen dagegen die Katholiken die Massen, das Land¬
volk, den Fanatismus in ihrer Gewalt, und wehe der Unabhängigkeit
des jungen Staates, wenn diese beiden Gewalten erst thatsächlich ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/560>, abgerufen am 28.07.2024.